© Günter Hack, Router an der Uni Wien

20 Jahre Internet in Österreich: Die Zukunft

NETZGESCHICHTE
18.05.2010

Am 10. August 1990 wurde eine Standleitung vom Genfer Kernforschungszentrum CERN zur Universität Wien auf das Internet-Protokoll TCP/IP umgestellt. Seit diesem Tag ist Österreich permanent mit dem Netz der Netze verbunden. ORF.at sprach mit dem Internet-Pionier Peter Rastl darüber, vor welchen alten und neuen Herausforderungen die Netzgemeinde steht.

Teil eins des Interviews:

Das ist der zweite Teil eines Interviews, das ORF.at mit Peter Rastl geführt hat. Den ersten Teil, in dem es um den Aufbau der Standleitung zum Kernforschungszentrum CERN geht, können Sie mit dem Link in der Marginalienspalte aufrufen.

Veranstaltungen zum Jubiläum

Das österreichische Wissenschaftsnetz ACOnet veranstaltet am 8. Juni ab 14.00 Uhr an der Universität Wien eine Feier zu 20 Jahren Internet in Österreich. Am 9. Juni findet von 10.00 bis 17.00 Uhr an der Universität Wien ein Symposium zum Thema "Wissenschaftsnetze: gestern, heute morgen" statt.

Zur Person:

ORF.at: Sie waren auch bei der Gründung des Provider-Verbands ISPA dabei. Wie hat sich das abgespielt?

Rastl: Die ISPA ist eigentlich auch indirekt ins Leben gerufen worden. Ausgangspunkt dafür war ein Streit über die Domain-Verwaltung. Wir haben einen Nameserver für .at aufgebaut, das war notwendig, damit das Internet hier funktionieren konnte. 1996 habe ich dann aber festgestellt, dass wir ein Entgelt verlangen mussten, um die Kosten für Personal und technische Infrastruktur irgendwie hereinzubekommen. Wir haben zum 1. Jänner 1997 ein Domain-Entgelt eingeführt. Der Aufschrei in der Community war gewaltig. Das war für sie so, als ob man für die Atemluft plötzlich Geld verlangt hätte. Es ist aber nicht schwer gewesen, der Community auf der noch im Jänner 1997 einberufenen Protestveranstaltung zu erklären, dass wir da ein ganz gutes Service erbringen. Wir haben uns am Ende darauf geeinigt, dass eine Domain 500 Schilling im Jahr kosten solle. Gleichzeitig haben wir die Vergaberegeln liberalisiert und die Verpflichtung aufgelassen, sich in eine Subdomain von .at einordnen zu müssen. Die Wirkung dieser Liberalisierung haben wir unterschätzt und nicht gesehen, welches exponentielle Wachstum an Domain-Anträgen da auf uns zukommen würde. In den Monaten Jänner und Februar 1997 sind so viele Domain-Anträge über uns hereingebrochen wie in den ganzen Jahren vorher. Wir haben dann gefunden, dass die Internet-Community diese Aufgabe lieber selber in Angriff nehmen sollte. Bei dieser Protestveranstaltung wegen des Domain-Entgelts habe ich deshalb vorgeschlagen, einen Verband der Internet-Provider zu gründen. Denn es ist klar geworden, dass es nicht nur den Wettbewerb unter den Providern gibt, sondern auch Anliegen von gemeinsamem Interesse. Alle haben wir uns gefürchtet, dass vielleicht die Oberste Fernmeldebehörde die Domain-Vergabe an sich reißen könnte. Denn wir kannten die Oberste Fernmeldebehörde. Wir haben über ein Jahr warten müssen, bis wir diese Datenleitung von Wien zum CERN bekommen haben. Die staatlichen Einrichtungen haben nicht so einen guten Leumund bei uns gehabt, eigentlich haben wir befürchtet, die machen das Internet kaputt. Es ist besser, dem Internet zu entsprechen und das in der Branche selber zu regeln. Also kam die Idee auf, einen Verband der Internet-Provider zu gründen. Im September 1997 hat dann die Gründungsversammlung der ISPA stattgefunden, hier an der Universität Wien. Ich habe zugesagt, dass wir die Inhaberschaft an der .at-Domain, die urprünglich beim ACOnet-Verein gelegen ist, an die ISPA übertragen werden. Die ISPA wiederum hat die Nic.at GesmbH gegründet, und Mitte 1998 hat die Übertragung der .at-Domain stattgefunden. Wir haben allerdings Vereinbarungen getroffen, nach denen die Services für die Domain-Verwaltung, die Pflege der Registry-Datenbank und die Software-Entwicklung an der Universität Wien bleiben, wo sie auch noch heute angesiedelt sind. Wir haben einen Vertrag mit Nic.at, in dem diese Fragen geregelt sind. Wir haben natürlich auch unseren Anteil an den Einkünften an der Domain-Verwaltung. Der Gewinn, der aus der Domain-Verwaltung erzielt wird, wird zum Teil zur Förderung von IT-Aktivitäten an der Universität Wien verwendet und zum anderen Teil für die Verwaltung der ISPA und für gemeinnützige Projekte in Österreich wie die Netidee. Wir verwenden die Einnahmen aus der Domain-Verwaltung zur Förderung des Internets.

ORF.at: Die österreichischen Provider hatten sich auch schon früh mit Kinderporno-Vorwürfen seitens der Behörden herumzuschlagen.

Rastl: Ostern 1997, noch bevor es die ISPA gegeben hat, ist der kleine Provider VIP von der Polizei besucht worden wegen Verdachts auf Verbreitung von Kinderpornografie. Es wurden alle Server dort beschlagnahmt, und der Provider hat nicht mehr arbeiten können. Das war ein großer Schock in der Community, man fürchtete sich, dass das auch anderen Unternehmen passieren könnte. Die Frage lautete, welche Verantwortung der Provider für die Inhalte hat, die seine Kunden ins Netz bringen. Ich kann mich noch gut erinnern. Es war der Samstag vor dem Palmsonntag 1997. Ich habe über E-Mail von dem Fall Kenntnis erlangt und habe mich dann erst gefragt, ob ich auf Tauchstation bleiben oder mich einbringen sollte. Ich habe mich fürs Einbringen entschieden. Es gab dann eine Versammlung in den Räumen der EUnet. Ich habe mich in meinem Leben noch nie so alt gefühlt wie bei diesem Meeting, denn da waren alle die jungen Burschen, die das Internet in Österreich betrieben haben, und mir ist die Rolle des Elder Statesman zugefallen, der da sagen musste: Gemach! Kinderpornografie ist illegal, auch im Internet. Es geht nicht an, dass man jetzt so tut, als könne man illegale Aktivitäten im Internet ungeschoren betreiben. Aber gleichzeitig war die Reaktion der Ermittler auch inadäquat, weil die damals noch nicht so gut über das Netz Bescheid wussten. Wir haben dann einen kurzen Internet-Streik beschlossen, sehr behutsam, in den späten Nachmittagsstunden, wo man nicht mehr viel Schaden anrichtet, der wurde weithin in Österreich befolgt und hat großes internationales Aufsehen erregt. "Austria goes offline" hieß die Initiative. Ziel war, mit der Politik in Kontakt zu treten und zu sagen: Es reicht nicht, einfach nur auf das Internet zu zeigen nach dem Motto: Da geschehen Schweinereien, und das Internet ermöglicht die, und deswegen ist das Internet böse. Das Internet ist eine gute Sache, und die Provider wollen nicht mit Kriminalität ihr Geld verdienen, sondern sie wehren sich dagegen. Wir wollten mit Politik und Exekutive zusammenarbeiten, um illegale Inhalte im Netz zu bekämpfen. Wir haben viele Schulungsveranstaltungen für die Ermittler bei der Polizei gemacht. Mit der Zeit hat sich da eine gute Zusammenarbeit ergeben. Die Konsequenz war dann auch, dass die ISPA die Stopline ins Leben gerufen hat, die Meldestelle, bei der man anonym Kinderporno-Inhalte im Internet melden kann. Wobei dazuzusagen ist, dass das ja im Allgemeinen nicht in Österreich, sondern in den USA entsteht und diese Meldestelle sowohl mit den Strafverfolgungsbehörden als auch mit den Meldestellen anderer Staaten gut vernetzt ist. Das ist ein probates Mittel, auch im Ausland gegen solche Inhalte vorzugehen.

ORF.at: Das Thema Kinderpornos ist derzeit wieder aktuell, weil EU-Justizkommissarin Cecilia Malmström europaweit DNS-Sperrlisten einführen will. Halten Sie das für ein probates Mittel im Kampf gegen Kindesmissbrauch?

Rastl: Kinderpornografie herzustellen und zu vertreiben ist ein schlimmes Verbrechen, insbesondere dann, wenn Kinder nachhaltig zu Schaden kommen. Das gilt für Fälle, in denen das Material über das Internet oder auch über andere Medien vertrieben wird. Wir sind in der letzten Zeit auch mit Missbrauchsfällen in anderen Bereichen der Gesellschaft konfrontiert. Dagegen ist zu kämpfen. Es ist offenbar nicht sehr leicht, dagegen zu kämpfen. Aber es gibt zweifellos international einen weitgehenden Konsens darüber, dass man dieses Phänomen bekämpfen möchte. Hier ist es also nicht besonders schwer, internationalen Gleichklang zu finden, um das zu verurteilen. Es ist beispielsweise wesentlich schwieriger, nationalsozialistische Wiederbetätigung im Internet zu bekämpfen, weil das zwar in Österreich und Deutschland ein Delikt ist, aber nicht in den USA. Die Kinderpornografie ist überall geächtet. Die Kinderpornografie wird auch gern als Totschlagargument für Netzsperren verwendet. Man muss das Problem aber an der Wurzel bekämpfen, also dort, wo sie entstehen oder wo sie gespeichert werden, aber nicht dort, wo sie sichtbar werden. Es kann nicht funktionieren, durch irgendwelche Filter diese Sachen aus der Welt zu schaffen. Das ist, als ob man Schminke über eine Wunde legen würde. Diejenigen, die an dieses Material herankommen wollen, kommen nicht zufällig daran. Die tauschen diese Daten in geschlossenen Usergruppen aus. Und da haben diese Filter überhaupt keinen Einfluss. Das über das DNS machen zu wollen ist dermaßen leicht zu umgehen, jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung hat, weiß sofort, wie man das umgehen kann. Gleichzeitig hat diese Sperrtechnologie eine beängstigende Nebenwirkung. Wenn man diese Technologie dazu einsetzt, kinderpornografische Abbildungen zu filtern, dann gibt es eine Stelle, die diese Sperrlisten verwaltet. Und natürlich werden diese Sperrlisten typischerweise nicht öffentlich bekanntgemacht. Es ist zu vermuten, dass es auch nicht leicht kontrollierbar ist, was dann sonst noch alles auf dieser Liste sein könnte. Es ist dann technisch die Infrastruktur geschaffen, mit der nicht nur Kinderpornografie, sondern auch andere Inhalte gefiltert werden können, unerwünschte politische Meinungen zum Beispiel. Internet-Filter gehören zum Repertoire von Staaten wie Saudi-Arabien oder China, und jeder, der diese Szene dort verfolgt, weiß, dass es einerseits nicht wirklich wirkungsvoll ist und andererseits doch zu Repressionen gegen die Bürger führt. Ich glaube, dass es ein großer Fehler wäre, diese Filtertechnologien einzusetzen, weil wir so daran mitwirken würden, die Infrastruktur aufzubauen, mit der ein künftiges Diktatorenregime, vor dem wir nie ganz sicher sein können, die Leute unterdrücken kann. Wir bauen uns also die Fesseln, mit denen unsere Gesellschaft in Zukunft drangsaliert werden kann. Man könnte das eigentlich nur dann tun, wenn die Filtermaßnahmen in einem Verhältnis zum Erfolg stehen würden. Der Erfolg dieser Filtermaßnahmen ist aber nirgendwo nachgewiesen.

ORF.at: Unternehmen und Staat haben in den letzten 20 Jahren sehr viel dafür getan, die Infrastruktur des Internets aufzubauen. Heute scheint es mir eher einen Gegentrend zu geben. In Frankreich wird mit der HADOPI eine eigene Behörde geschaffen, die auf Zuruf der Medienindustrie Leute vom Internet kappen soll. In Großbritannien geht man mit der Digital Economy Bill ähnliche Wege. Die Politik hat zum Internet als öffentlichem Raum ein durchgängig ambivalentes Verhältnis.

Rastl: Das stimmt. Das Internet lässt sich für mich auch dadurch charakterisieren, dass es immer wieder Entwicklungen gegeben hat, die für die Masse der Beobachter völlig unerwartet gekommen sind. Es war eben nicht absehbar, dass so etwas wie das World Wide Web entstehen würde. Das ist mehr oder weniger zufällig dem Tim Berners-Lee untergekommen, und er hat sicher auch nicht gewusst, was das für eine Entwicklung auslösen würde. Heute kann man sich das nicht wegdenken. Und es hat wieder und wieder solche Entwicklungen gegeben. Eine andere Entwicklung, die vollkommen unerwartet gekommen ist, war das Peer-to-Peer-Filesharing. Das ist so eine Bottom-up-Entwicklung von einigen Leuten, die gut programmieren konnten, und es hat sich verbreitet. Und gerade das Beispiel des Peer-to-Peer-Filesharings zeigt, wie so eine Entwicklung einer Industrie wie der Medienindustrie auch in die Quere kommen kann. Die Medienindustrie ihrerseits hat nicht begriffen, dass sie ihre Geschäftsmodelle an die Möglichkeiten des Internets adaptieren muss. Sie versucht auch heute noch, die tradierten Geschäftsmodelle aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert im Zeitalter des Internets am Leben zu erhalten. Deswegen wurde Peer-to-Peer-Filesharing kriminalisiert. Derzeit geht die Ära des Filesharings auch wieder zu Ende. Oder hätte irgendjemand geglaubt, dass Wikipedia so ein Erfolg werden würde? Haben sich die Lexikonverlage von der Encyclopedia Britannica bis hin zum Brockhaus richtig positioniert? Die haben nicht diese Lobby dahinter, mit der sie die Entwicklung im Internet verhindern können. Die Filmindustrie hat diese Lobby aber und nutzt sie auch. Gerade die Beziehungen zwischen einflussreichen Politikern und einflussreichen Positionen in der Medienindustrie sind stark, wie das Beispiel Nicolas Sarkozy zeigt. Es geht ihnen nur darum, die Urheberrechtsproblematik im Internet mit dieser Methode "Three Strikes Out" zu lösen.

ORF.at: Die unerwarteten Innovationen im Netz waren ja auch nur deshalb möglich, weil es das Prinzip der Netzneutralität gibt. Auch hier hat sich die Debatte in jüngster Zeit wieder verschärft: Einige Großprovider wollen verstärkt Einfluss darauf nehmen, was sich in ihren Netzen an Diensten und Inhalten abspielt.

Rastl: Netzneutralität ist ein wichtiges Prinzip. Das Thema kam ja in der Vergangenheit dadurch auf, dass die Bandbreiten teilweise nicht ausgereicht haben und daher Provider dazu gezwungen waren, für ihre Hauptdienste Beschränkungen bei den Nebendiensten einzurichten, also beispielsweise den Peer-to-Peer-Verkehr einzuschränken, damit der Mailverkehr nicht darunter leidet. Die Bandbreitenproblematik ist heute mehr oder weniger erledigt. Man hat genügend Bandbreite zur Verfügung, und die Preise dafür sind niedrig. Der Versuch, die Netzneutralität einzuschränken, würde aber die Gefahr mit sich bringen, dass Provider entscheiden könnten, welche Inhalte ihnen willkommen sind und welche nicht. Ich sehe das auch im Zusammenhang mit der großen Lobbying-Macht der Filmindustrie. Netzneutralität ist nur ein weiterer Aspekt des Problems: Wer entscheidet hier eigentlich darüber, wer womit mit wem kommunizieren darf? Es ist ja nicht mehr so, dass das Internet so ein Gimmick ist, mit dem man vielleicht auch kommunizieren kann, so wie ich, wenn ich den öffentlichen Verkehr nicht habe, vielleicht sagen kann: Reiten Sie doch mit dem Pferd! Das Internet ist zu dem wesentlichen Mittel geworden, über das alle Kommunikation in den entwickelten Ländern funktioniert. Es geht nichts mehr ohne Internet. Daher ist es zu einem Menschenrecht geworden, das Internet benutzen zu dürfen. Aus kommerziellen und zivilrechtlichen Interessen heraus den Menschen das Recht zu kommunizieren zu nehmen halte ich für völlig daneben.

ORF.at: Wie haben Sie den Crash um die Jahrtausendwende erlebt? Ihr Artikel zu zehn Jahren Internet in Österreich erschien ja kurz davor.

Rastl: Das ist ein sehr trauriges Thema. In den 1990er Jahren war das von uns mitgegründete EBONE ja das führende europäische Internet-Backbone. Und ich habe selbst eine lange Zeit im Vorstand von EBONE gewirkt, in der Zeit von 1997 bis 1999 war ich sogar Aufsichtsratsvorsitzender von EBONE. Die Konstruktion sah so aus: Es gab einen Verein, der ein Unternehmen, die EBONE Incorporated, besessen hat, und diesem Verein konnten die kommerziellen Internet-Provider beitreten. Alle renommierten Telekoms waren Teilnehmer von EBONE. Wir haben allerdings gesehen, dass durch die Mitgliederbeiträge nicht genug Geld hereinkam, um die Infrastruktur zu betreiben. Also musste man auf dem Kapitalmarkt Geld finden. Im Gegensatz zu einer traditionellen Firma, die beispielsweise Autos oder Maschinen herstellt, hatte die Internet-Wirtschaft keine Sicherheiten wie Maschinen oder Grundstücke zu bieten. Wir sind dann eine Partnerschaft mit einem paneuropäischen Leitungsanbieter namens Hermes Railtel eingegangen. Die haben Anteile an EBONE erworben, nur Hermes Railtel ist dann 1999 von Global TeleSystems (GTS) gekauft worden, die das weitergeführt und die EBONE Association als Minderheitseigentümer herausgekauft haben. Das war in der Phase, in der ich die Verantwortung in den Verhandlungen hatte. Die Universitäten waren dann nicht mehr beteiligt, alles war in den Händen dieser US-Firma GTS. Die ist dann 2001 ihrerseits gekauft worden, und zwar von KPNQwest. Das wiederum war ein Konstrukt von KPN und Qwest, die es dann Konkurs gehen lassen haben. Es hat in der damaligen Zeit an den Mitteln gefehlt, um das finanzieren zu können. Die Mitarbeiter von EBONE haben das noch eine Zeit lang aus Engagement und Begeisterung weiterbetrieben, aber letzten Endes hat das kein kommerzielles Überleben ermöglicht. Der Zusammenbruch dieses EBONE-Netzes, im Jahr 2002 ist eine traurige Erinnerung. Ich habe dabei die traurige Beobachtung gemacht, dass die Technik und die Dienste nicht so viel zählen wie die Wertsteigerungen für die Aktionäre. Das mit EBONE war eine tolle Konstruktion, weil sie über den Verein bestehen konnte, ohne kartellrechtliche Probleme aufzuwerfen. Das hat gerade in der Internet-Anfangszeit eine Konzentration auf technische Fragestellungen ermöglicht, abseits von firmenpolitischen Gesichtspunkten.

ORF.at: Wo sehen Sie die nächsten Herausforderungen bei der Weiterentwicklung des Internets?

Rastl: Ich bin davon überzeugt, dass es in naher Zukunft tatsächlich zu dem Problem kommen wird, dass die IPv4-Adressen zur Neige gehen und dass man deswegen einen größeren Adressraum braucht. Gerade dann, wenn auch Geräte, die man nicht als Computer bezeichnen würde, IP-Adressen haben. Wenn künftig jedes Auto eine IP-Adresse hat, dann gehen irgendwann die Adressen aus, das kann man auch nicht mehr mit dem Network-Address-Translation-Protokoll abfangen. Es ist allerdings unheimlich schwer, in einer eingeführten Technologie, wie es IPv4 nun einmal ist, Migrationen zu machen. Global gesehen liegt der Verkehr, der weltweit über IPv6 läuft, noch unter der Einprozentgrenze. Es gibt immer wieder Forschungsprojekte zum Thema "Future Internet", bei denen jemand neue Ideen entwickelt. Manches von dem ist sicher fantastisch und könnte erfolgreich sein - wenn man frisch starten würde.

ORF.at: Der akademische Bereich hat bei der Entwicklung des Internets in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt. Wird das in Zukunft auch so sein?

Rastl: In der Anfangszeit hat der akademische Bereich eine so große Rolle gespielt, weil es dort die kundigen Benutzer gegeben hat. Mit der Verbreiterung der Benutzerbasis sinkt auch der Einfluss des akademischen Bereichs. Ein Beispiel dafür sind Games, die an den Universitäten, bis auf bestimmte Ausnahmen, keine so große Rolle spielen wie in der restlichen Gesellschaft. Andererseits ist der akademische Bereich besonders innovativ. Wir betreiben mit ACOnet ein Wissenschaftsnetz, so wie jedes entwickelte Land der Welt, aus dem Grund, weil die kommerziellen Internet-Provider nicht diese Innovationsfähigkeit besitzen. Sie können nicht die neuesten Möglichkeiten aus dem wissenschaftlichen Bereich einsetzen. Wenn wir darüber sprechen, was die Wissenschaft braucht: Es gibt in der Naturwissenschaft experimentelle Einrichtungen wie den LHC am CERN, bei denen in einem unvorstellbaren Ausmaß Daten anfallen, die verarbeitet werden müssen, die an einem Ort nicht verarbeitet werden können, weil die Kapazitäten nicht ausreichen, die weltweit verteilt werden müssen. So etwas muss über Wissenschaftsnetze laufen, das ist ihr Zweck. Unser letztes ACOnet-Backbone-Netz, das vor zwei Jahren fertiggestellt worden ist, hat eine Infrastruktur geschaffen, mit der wir in der Lage wären, hundert Gigabit Daten pro Sekunde zu transportieren. In der ersten Hälfte der 1990er Jahre habe ich hochgerechnet, dass wir im Jahr 2000 im Gigabit-Bereich angekommen sein werden - eine Vorstellung, die zu Zeiten, in denen ein Megabit eine große Bandbreite war, unrealistisch erschienen ist. Die Realität hat die Prognose überholt. Die Probleme verlagern sich daher auch. Bandbreite ist heute nicht mehr wirklich ein Problem. Content ist ein wesentliches Thema. Da ist noch viel zurückzulegen. Die Urheberrechtsfrage, die gesetzlichen Rahmenbedingungen, gerade im Zusammenhang mit Inhalten, bedürfen noch großer Nachbesserungen.

ORF.at: Sie wollen keine Prognosen anstellen. Aber Sie können sich etwas wünschen. Was wären denn Ihre Wünsche für die Zukunft des Internets?

Rastl: Oh Gott, das ist wie der Wunsch an die gute Fee. Ich würde mir wünschen, dass man der Kriminalität im Internet Herr wird - das ist ein unrealistischer Wunsch, glaube ich. Ich sehe das als eine der großen Bedrohungen, auch aus gesellschaftspolitischer Sicht, nicht nur aus technischer. Daher habe ich mich auch sehr dafür eingesetzt, dass Nic.at das Sicherheitszentrum CERT.at gegründet hat. Ich würde mir auch wünschen, dass das Internet-Verständnis bei den Entscheidungsträgern vertieft wird, da gibt es auch noch Nachholbedarf. Man sieht vielfach in der internationalen Politik einen Aktionismus, der dem Internet überhaupt nicht gerecht werden kann. Technische Wünsche will ich eigentlich gar nicht äußern. Da ist die Technik viel innovativer, als ich mir das vorstellen kann.

ORF.at: Was ist das Internet eigentlich für Sie? Ist es ein öffentlicher Raum?

Rastl: Ich sehe das Internet als eine Kulturtechnik, so wie irgendwann Schreiben und Lesen zu Kulturtechniken geworden sind und durch die Entwicklung des Buchdrucks in der weiteren Folge eine enorme Aufwertung dieses ganzen Bereichs erfolgt ist. Irgendwann wird man feststellen, dass das Internet eine ähnliche Bedeutung hat wie der Buchdruck.

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(futurezone/Günter Hack)