© Reuters/Fred Prouser, Frau vor Monitor

Kontrollierte Action mit "Project Natal"

GAMES
06.05.2010

Mit "Project Natal", einem Zusatzsystem für die Xbox 360, will Microsoft den Körper des Spielers zum Videospielcontroller machen und Nintendos Erfolgskonsole Wii konkurrenzieren. Derzeit präsentiert der Konzern die neueste Fassung des Systems, das zum Weihnachtsgeschäft auf den Markt kommen soll. Anatol Locker hatte die Gelegenheit, die neueste "Natal"-Fassung anzusehen, und sprach mit dem Controller-Experten Winnie Forster über die Zukunftschancen des Projekts.

Microsoft präsentierte am Mittwoch in München eine neue, erweiterte Fassung seines "Project Natal"-Ballspiels "Ricochet". Erstmals wurde dabei gezeigt, dass "Natal" auch problemlos mit mehreren Spielern funktioniert. Eines der größten Probleme des Systems scheint Microsoft mittlerweile in den Griff bekommen zu haben: die Latenz, also die Geschwindigkeit, in der das Gerät auf Eingaben des Users reagiert. Auf der ersten größeren "Natal"-Demo auf der deutschen Spielemesse Gamescom im vergangenen August hinkte die Bilddarstellung den Spieleraktionen noch deutlich hinterher. Inzwischen reagiert das System flotter, organischer.

Den eingeladenen Testpersonen war es nicht erlaubt, Fotos der Hard- und Software zu machen. Allerdings hat die etwa 25 Zentimeter lange, acht Zentimeter hohe und zwölf Zentimeter tiefe Sensorleiste auch noch nicht ihr endgültiges Design erhalten. Im Inneren befindet sich eine RGB-Videokamera, die Bewegungen des Spielers analysiert. Ein Tiefensensor vermisst den Raum, Mikrofone nehmen die Stimmen der Spieler auf.

Große und kleine Gesten

Die Software baut aus den Videodaten im Rechner ein 42-Punkte-Skelett des Spielers auf. Das funktionierte auch im schlecht beleuchteten Demoraum effektiv. Das System analysierte nicht nur die großen Gesten, sondern auch kleinere Bewegungen. Damit diese zuverlässig erfasst werden, muss der Spieler näher an den Controller rücken, zum Beispiel um in einem Spiel mit seinen Fingerbewegungen einen Safe zu öffnen.

Microsoft bestätigte auf der Präsentation, dass "Natal" Stimme und Sprachbefehle seines Besitzers erkennen könne. Damit ist die Konsole in der Lage, Befehle wie "Öffne Facebook", "Lade neue Filme" und "Pausiere Spiel" zu verstehen.

Der Videospielexperte und Fachbuchautor Winnie Forster hat sich in seinem Buch "Joysticks" ausführlich mit der Geschichte der Games-Controller auseinandergesetzt. Nach der "Natal"-Demo traf ihn ORF.at zum Gespräch und bat ihn um eine erste Einschätzung des Systems.

ORF.at: Ist "Project Natal" wirklich eine Revolution des Controllers?

Winnie Forster: Eine Revolution ist die Microsoft-Hardware wohl nicht, eher ein konsequenter nächster Schritt. Der Controller war schon immer ein paradoxes Videospiel-Schlüsselelement: Als Schnittstelle zwischen Mensch und Spiel muss er alle denkbaren Aktionen vom Spieler zur Konsole bringen, dabei aber möglichst unsichtbar bleiben. Der Spieler benötigt den Controller für jede Bildschirmhandlung, soll das Gerät in seinen Händen aber nicht bemerken, sich nicht um die Belegung der Knöpfe, Tastaturen und Sticks kümmern müssen. Während sich Hardcore-Spieler über drei Jahrzehnte an immer komplexere Joysticks und Joypads gewöhnten und kein Problem damit haben, mit einem Dutzend Buttons zu hantieren, kamen Neueinsteiger immer weniger mit. Für ungeübte Hände wurden die mit jedem Spiel wechselnden Belegungen irgendwann zu kompliziert. Man kann "Natal" als Verbeugung vor dem Rivalen Nintendo sehen, der mit der Wii den Weg 'Neuartige Kontrolle statt immer besserer Grafik' mutig einschlug und damit gegen die HD-Kraftwerke Xbox360 und PS3 erfolgreich ist. Auch der Erfolg von Sonys "EyeToy"-Spielen - und der generelle rasante Fortschritt und Preisverfall auf dem Gebiet von Kamera- und Sensortechnik - rüttelte Microsoft wach. Die Sony- und Nintendo-Ideen funktionierten nicht nur im Labor, sondern auf dem Markt. Somit folgt Microsoft den japanischen Vorgaben.

ORF.at: Welche Zielgruppe wird zu "Natal" greifen? Ist es nur für Gelegenheitsspieler interessant?

Forster: Das hängt natürlich von den Spielen ab, die Microsoft und seine Partner austüfteln. Vorstellbar sind sowohl actionbetonte Spiele für Kids und junge Leute als auch bedächtige, die langsame und deutliche Bewegungen erfordern und auch älteren Spielern Spaß machen. Theoretisch können "Natal" und Co. das Videospiel sowohl einfacher machen - durch die Abschaffung komplizierter Joypad-Layouts -, was den Gelegenheitsspielern entgegenkommt, als auch anstrengender - indem komplizierte oder artistische Bewegungen vom Spiel gefordert werden. Somit ist die Technik nicht per se auf eine Zielgruppe festgelegt. Es darf nicht übersehen werden, dass "Natal"-mäßige Steuerung längst nicht für alle Videospiele sinnvoll ist und dass herkömmliche Controller in den nächsten Jahren nicht überflüssig oder verschwinden werden. Videospielcontroller werden nicht immer einheitlicher, sondern immer vielfältiger.

Der nächste Schritt - zwischen Körper- und Gedankenabfrage - ist wohl "Eye-Tracking", die Erfassung und Einbeziehung der Pupillenbewegung. Das funktionierte bereits im letzten Jahrtausend ganz gut, ist aber immer noch nicht verlässlich und billig genug für den Spielkonsolen-Massenmarkt.

ORF.at: Wie sind die Reaktionen von Sony und Nintendo einzuordnen?

Forster: Ich denke, es ist nicht richtig, Sonys "Move" und die angekündigte tragbare 3-D-Konsole DS3D von Nintendo als Reaktionen auf "Natal" abzutun. Sowohl Sony und Nintendo forschen schon lange (und unabhängig von Microsoft-Innovationen) an entsprechenden Ansätzen, also dem Motion-Capturing in Echtzeit als Game-Controller und dem stereoskopischen, "räumlichen" Spielerlebnis. Die zeitliche Ballung ganz neuer Game-Technologien, die wir seit ein paar Jahren erleben, ist darauf zurückzuführen, dass sich andere, drei Jahrzehnte beherrschende Technikfragen mit der PS3 und Xbox 360 endlich klärten. Seit HD-Auflösung, Raumklang und DSL-Anbindung Standard sind und den Chips trotzdem noch Rechenpower bleibt, ist die Zeit für fundamental neue Ansätze gekommen: die Steuerung durch den gesamten Körper und andere Körperteile als unsere Hände sowie die stereoskopische Darstellung der Spielgrafik. Zwischen beiden besteht ein Zusammenhang, der unter anderem an Nintendos DS3D deutlich werden könnte: Würde man Körpereingabe und "echtes" 3-D kombinieren, ist es möglich, hinter Objekte in der Videospielwelt zu blicken, ohne den Kamerawinkel manuell wechseln zu müssen. Die intuitive Kopfbewegung des Spielers wird zum schnellen Ballerspielblick nach rechts oder zum neugierigen Linsen unters Mobilar eines Adventure- oder Rollenspiels. Dass nicht nur ein Marktführer, sondern alle Videospielakteure beständig an neuen Techniken forschen, macht unser Hobby so spannend. Ein Blick in die Videospielgeschichte zeigt aber auch, dass sich nur ein Teil der Technikideen und -Add-ons durchsetzt, der Rest als saisonale Gimmicks schnell vergessen wird. Jede der drei Firmen hat Technikleichen im Keller: Nintendo etwa das 90er-Jahre-3-D-System "Virtual Boy", das kein Mensch haben wollte, Sony aktuell das Download-Handheld PSPGo, das sich als Ladenhüter herausstellte. Preis und Vermarktungspolitik sowie das "Natal"-Software-Angebot werden bestimmen, ob es als Gimmick endet oder ob es tragfähig genug ist, um als nächste Stufe der Konsolenevolution zu taugen.

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(Anatol Locker)