© USAF, Active Denial System der US Air Force auf Lastwagentrailer

Irak: Strahlenkanonen statt Satellitentelefone

ANALYSE
07.05.2010

Überlebenswichtige Ausrüstungsgegenstände, für die "dringender Nachschubbedarf" angemeldet ist, treffen teils mit jahrelanger Verspätung bei den US-Truppen im Irak und Afghanistan ein. Neben technischen Problemen ist dafür die umständliche Beschaffungsmaschinerie der US-Militärbürokraten verantwortlich. Auch die monströsen Millimeterwellenwerfer des Active Denial System warten noch auf ihren Einsatz.

Das Marine Corps habe die Komponenten des Active Denial System 2, namentlich das Gyrotron, die supraleitenden Magneten, die Antenne und andere wichtige Subsysteme "für zu komplex erachtet, um vor Ort repariert werden zu können". Überdies habe man festgestellt, "dass die Mobilität des Systems wegen seiner Größe und des Gewichts eingeschränkt" sei.

So heißt es in einem aktuellen Bericht des US-Rechnungshofs, der anhand von 19 Fallbeispielen den Einsatz neuer Technologien in Afghanistan und im Irak evaluiert. Dabei handelt es sich um "Urgent Need Requests", also um dringenden Nachschubbedarf. In erster Linie geht es dabei um Hightech-Ausrüstung, mit der man den besonderen Umständen dieser beiden asymmetrischen Kriege gerecht zu werden versucht.

Da es nicht möglich war, diese auf einem schweren Vierachser montierte Waffe, deren Aufgabe es ist, "Gegner oder Menschenmengen durch elektromagnetische Strahlung zu entmutigen", im operativen Einsatz zu testen, wurde sie laut Angaben der Militärs bis jetzt nicht eingesetzt.

Das Active Denial System des Militärzulieferers Raytheon - eine Art Strahlenflammenwerfer mit nichttödlicher Wirkung - feuert 100.000 Watt auf 95 GHz über eine Antenne, die einer flach gepressten Satellitenschüssel ähnelt. Wenn die gebündelten Millitermeterwellen auf die Haut der Bestrahlten treffen, entsteht bei diesen ein Gefühl, als ob die Hautoberfläche zu brennen beginne. Das Resultat ist erst Panik, dann Flucht.

Tücken der Beschaffung

Das ist nicht das einzige Stück neuer Technologie, mit dem es Probleme gibt - und die sind nicht unbedingt immer technischer Natur. Im Fall der ebenfalls mit "dringendem Nachschubbedarf" ausgewiesenen Iridium-Satellitentelefone sind es, wie der Rechnungshof feststellte, die eigenen Regeln des Militärapparats, die für die Verzögerung verantwortlich sind.

Nachbar Nacktscanner

Im selben Frequenzbereich wie der Millimeterwellenwerfer, aber mit nur einem Bruchteil der Sendeleistung arbeiten auch die meisten Nacktscanner. Beide Geräte emittieren Strahlen, die nur wenig unter die Haut dringen sollen. Der Scanner soll die Konturen des Körpers abbilden, der Wellenwerfer attackiert die Nervenenden, indem er sie "entflammt".

Obwohl die US-Armee die Sattelefone aus den eigenen Budgets finanziert, muss die Bestellung einen kompletten Evaluierungs- und Genehmigungsprozess durch mehrere Armeeinstanzen absolvieren, bis hinauf zum Direktorat "Informationsmanagement", das letztlich die Genehmigung erteilt. Evaluiert wird in erster Linie nur, ob tatsächlich akuter Bedarf besteht.

Die gerade im gebirgigen Afghanistan, das aus terrestrisch schwer zu verbindenen Funkinseln besteht, dringend benötigte Kommunikationsmöglichkeit nach oben komme so auf Lieferzeiten von fünf Monaten nach Bestellung, merkt der Rechnungshof an. Die Taktik der Aufständischen dominieren Hinterhalte, angegriffen werden vor allem Nachschublinien. Bei jedem solchen Angriff ist eine gut funktionierende Funkverbindung lebenswichtig, um Luftunterstützung anfordern zu können.

Bodenradar, Räumgeräte

Durch die Umstellung in der taktischen Funkkommunikation - von der die Marines "extrem abhängig" seien, schreibt der Rechnungshof - auf datenfunktaugliche "Software Defined Radios" vom Typ Harris RF 5800-RC111 kam es zu einer fast einjährigen Wartezeit. Die zentralen Funkstationen der Truppen werden nämlich ferngesteuert, da sie aufgrund ihrer starken Emissionen vom Gegner gut angepeilt werden können und somit ein primäres Ziel darstellen. Diese Fernbedienbarkeit erwies sich beim Datenfunk als nicht ausgereift.

Auf schweres Räumgerät mit Bodenradar vom Typ HDMS, das in der Lage ist, die Bombenfallen vor allem entlang den Straßen zu entdecken und zur Explosion zu bringen, mussten die US-Soldaten nach Bestellung eineinhalb Jahre warten. Erst im Februar 2009 traf das erste "Husky Mounted Detection System" auf der Airbase Bagram (Afghanistan) ein. Diese selbst gebauten Bomben sind die weitaus tödlichste Waffe der Aufständischen im Irak wie in Afghanistan und für das Gros der Kriegstoten auf US-Seite verantwortlich.

Nachtblinde Aufklärer

Die "Angel Fire Platform", ein bemannter zweimotoriger Flieger, der zur taktischen Aufklärung des Gefechtsfelds dient und dafür lange in der Luft bleiben kann, erwies sich als nicht nachteinsatztauglich, die Auflösung der Infrarotsensoren war zu schwach. Die Erkenntnis kam, nachdem die Truppen 357 Tage auf den ersten Flieger hatten warten müssen. Zwei Jahre dauerte es wiederum, bis die benötigten Nachtsichtgeräte verfügbar waren, und obwohl sich die Spezialabteilung US Army Rapid Equipping Force eingeschaltet hatte, kamen neue Videosysteme zur Aufklärung ebenfalls mit einem Jahr Verspätung bei der kämpfenden Truppe an.

Die genannte Abteilung versucht, die Verfahren zu beschleunigen, indem - wie im Fall der tragbaren VSAT-Satellitenterminals - abseits der üblichen Beschaffungsvorgänge ziviles Equipment bestellt wird. Aber auch das dauerte seine Zeit, nämlich 14 Monate. Noch länger (504 Tage) wartete die Army auf einen (realen) fahrbaren Flammenwerfer, der dazu dienen soll, bombenverdächtiges Terrain von Büschen zu säubern.

Camp Bucca, Abu Ghoraib

Was die Entscheidung über den Millimeterwellenwerfer angeht, so wurden die Bestellungen offiziell zurückgezogen, hier spielten nämlich ganz andere als technische oder finanzielle Faktoren mit. Neben den Marines hatte auch die 800th Military Police Brigade, die das Gefangenenlager Camp Bucca im Südirak verwaltet, um einen Millimeterwellenwerfer angesucht.

In Testversuchen der Army wurden ausschließlich Personen, die keinerlei metallische Gegenstände am Leib trugen, dem Beschuss dieser Strahlenwaffe ausgesetzt. Dezidiert nicht getestet wurde die Wirkung auf menschliche Körper, die sich nicht aus dem Strahlungskegel entfernen können, weil sie zum Beispiel in einer Massendemonstration eingekeilt sind. Experten warnen zudem davor, den 100 Kilowatt starken Millimeterwellenwerfer auf Menschen mit durchschwitzter Kleidung anzuwenden, weil dauerhafte Verbrennungen die Folge seien.

Das Gerät wird vom California Center for Strategic Studies als Folterinstrument eingestuft, da es auschließlich dazu geeignet sei, Schmerzen zu verursachen. Camp Bucca ist neben Abu Ghoraib das zweitgrößte Gefangenenlager im Irak.

Während sich der Rechnungshof noch mit den Problemen bei der Einführung der Funkgeräte vom Typ RF-5800 beschäftigt, ist längst das leistungsfähigere Modell 7800 der Harris Corporation auf dem Markt.

Tote nicht eingerechnet

Was den Bericht des Rechnungshofs angeht, so wurden die Dauer der Beschaffungsvorgänge und die Gründe für die Verzögerung penibel aufgelistet: von Produktions- und anderen Lieferschwierigkeiten über unerwartete technische Probleme bis hin zu Verzögerungen durch fehlende Budgets und die hochbürokratischen Beschaffungsvorgänge.

Eine Rechnung wurde in diesem Bericht, der ausschließlich solche militärische Ausrüstung behandelt, die für die kämpfende Truppe im Irak und in Afghanistan buchstäblich überlebenswichtig ist, jedoch nicht angestellt. Nicht eingerechnet wurde, wie viele der insgesamt etwa 5.500 in erster Linie durch Bombenfallen und andere Hinterhalte getöteten US-Soldaten starben, weil Minenräum- und Satellitenfunkgeräte eine "Bedarfsevaluation" nach der anderen absolvierten und deshalb mit jahrelanger Verspätung ausgeliefert wurden.

(futurezone/Erich Moechel)