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Mashups: Datencocktail mit Nebenwirkungen

SOZIALES NETZ
15.05.2010

Mashups führen Daten aus verschiedenen Quellen so zusammen, dass sie für den einzelnen Nutzer interessant werden. Damit entstehen im Sozialen Netz zahllose neue Anwendungen. In Europa fehlt aber mangels "Fair Use"-Regelungen und noch seltenem Einsatz von Creative-Commons-Lizenzen oft die rechtliche Grundlage für die Weiterverwendung von Daten. Teil fünf der futurezone.ORF.at-Serie über das Soziale Netz.

Das Prinzip, aus verschiedenen Anwendungen Daten zu entnehmen, selbst auszuwerten und als neuen, eigenen Dienst auf einer Website zu präsentieren, nennt man Mashup. Der Begriff ist der Popkultur entnommen: Ein Mashup ist hier ein Song, der aus den Vokal- und Instrumentaltonspuren unterschiedlichen Ursprungs entstanden ist.

Die meisten Mashups basieren auf Daten, die über die offenen Schnittstellen von Angeboten seitens Google, eBay, Amazon, AOL, Windows Live, Yahoo und unzähliger anderer Unternehmen, Behörden und Institutionen zur Verfügung stehen.

Zur Person:

Christiane Schulzki-Haddouti ist freie IT- und Medien-Journalistin. Sie war von 2007 bis 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Hochschule Darmstadt, um die Innovations- und Technikanalyse "Kooperative Technologien in Arbeit, Ausbildung und Zivilgesellschaft (kooptech)" zu erstellen.

Die futurezone.ORF.at-Serie "Soziales Web" wird unter dieser Adresse gesammelt.

Kartendienste als Pioniere

Mit Mashups ist das World Wide Web nicht mehr nur ein Archiv vernetzter Texte, sondern ermöglicht über die Spiegelung und Nutzung von Informationsflüssen neue Nutzungsmöglichkeiten von Daten: Nutzer können eigene Bilder, Videos und Musik veröffentlichen, sie können sich auch mit anderen Nutzern vernetzen. Sie können auch Informationsdienste abonnieren und sie selbst zusammenstellen. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass die Daten frei verfügbar sind.

Es sind vor allem Kartenanwendungen, die die Entwicklung von Mashups massiv vorangetrieben haben. Zu den ersten Kartenanwendungen, die mit offenen Schnittstellen arbeiteten, gehört Google Maps. Offene Schnittstellen (Open APIs) ermöglichen Programmierern, die Daten eines Dienstes für neue Anwendungen zu benutzen. Noch heute zählen laut Programmableweb.com die Kartenanwendungen mit 27 Prozent zu den führenden Mashups, gefolgt von Sport-, Foto- und Musikanwendungen mit jeweils elf Prozent.

Von der Crime Map zum Lokaljournalismus

Legendär ist ChicagoCrime.org, die zu den ersten Crimemaps im Netz zählt. Entwickelt wurde sie von dem Journalisten und Web-Developer Adrian Holovaty. Sie wertete öffentliche Daten der Polizei von Chicago aus und zeigte den Nutzern, wo genau welche Verbrechen wann stattfanden. Mittlerweile hat sich die Website zu dem Angebot "Everyblock Chicago" weiterentwickelt, das nicht mehr auf Google Maps, sondern auf eine eigene Kartenanwendung aufsetzt. Die Website bietet heute nicht nur aktuelle Kriminalitätsdaten, sondern auch lokale Nachrichten, Verkehrsdaten, Informationen über Geschäftslizenzen und Bilder. Mit ihrem iPhone können sich Nutzer die ortsbezogenen Daten zu ihrem Viertel anzeigen lassen. Everyblock gibt es auch nicht nur für Chicago, sondern zahlreiche andere amerikanische Großstädte wie Atlanta, Boston, Miami und New York City.

Auch im deutschsprachigen Raum gibt es eine Reihe von Anbietern, die ihre Dienste mit Hilfe der Google-Maps-Schnittstelle verfeinern. Die Immobiliensuche des "Standard" etwa zeigt mit Hilfe von Google Maps an, wo sich die zum Verkauf stehenden Häuser befinden, ähnlich auch UndWo.de und Mapits.de für Deutschland und Zoopla für Großbritannien. Auch Google selbst hat eine Immobiliensuche in seinen Dienst integriert. Auch im journalistischen Bereich gibt es Verlage, die mit ortsbezogenen Daten arbeiten. Zu den ersten Angeboten dieser Art gehörte das Zeitungsportal DerWesten.de, das über Ortsmarker auf Google Maps zeigt, wo genau die Ereignisse stattgefunden haben, über die berichtet wurde. Etliche Anwendungen setzen aber auch wie Everyblock auf eigenes oder offenes Kartenmaterial, da Google nur eine bestimmte Anzahl von Abfragen pro Tag zulässt.

Neue Anwendungen mit freien Daten

Entwickler im deutschsprachigen Raum können für ihre Mashup-Dienste auf bereits frei verfügbare Daten wie die der Wikipedia, OpenStreetMaps und Qype zugreifen. Im Umfeld der Open-Data-Bewegung gibt es bereits ebenfalls einige Projekte, die mit Karten arbeiten. Zu den neueren Diensten dieser Art in Deutschland gehört Frankfurt-gestalten.de, die der Politikwissenschaftler Christian Kreutz entwickelt hat. Es verwendet die Daten der Parlis-Datenbank der Stadt Frankfurt und reichert sie mit Schlagworten und Ortsdaten an. Dabei geht das Projekt Fragen nach wie: Was entscheiden Politiker in meiner Nachbarschaft? Was passiert in meiner Straße? Bürger können Vorlagen wie die Anfrage zur geplanten Entfernung der Radaranlage Offenbacher Landstraße online kommentieren und diskutieren.

Der Berliner Software-Entwickler Stefan Wehrmeyer hat eine Kartenanwendung namens "Mapnificent" gebaut, die neben Kriminalitätsdaten auch Nahverkehrs- und Finanzdaten enthält. Inspiriert wurde er von dem britischen Projekt Mapumental, das sich noch im Privat-Beta-Zustand befindet. Entwickelt von der britischen Non-Profit-Organisation Mysociety.org, berechnet Mapumental für ganz Großbritannien die Pendlerzeiten und zeigt, wo man wohnen kann, wenn man beispielsweise eine Stunde Fahrtzeit in die Londoner City akzeptabel findet, aber nur einen begrenzten Betrag in einen Hauskauf investieren und dennoch in ansprechender Umgebung wohnen möchte. Alle das ist möglich, weil auf unterschiedliche Datensätze zugegriffen werden kann, die größtenteils im Rahmen der Open-Data-Initiative der britischen Regierung freigegeben wurden.

Mashups für Mobilsysteme

Das österreichische Start-up Mobilizy wiederum hat den Wikitude World Browser für Smartphones entwickelt. Wikitude kann, ähnlich wie Layar, Informationen zu einem Ort auf dem Handybildschirm anzeigen. In der Basisversion verwendet es dafür Wikipedia-Artikel sowie Einträge in das Ortsinformationssystem Qype, das Daten und Nutzerbewertungen über Sehenswürdigkeiten, Restaurants, Hotels und Geschäfte liefert. Wikitude versteht sich damit als eine Art mobiler Reiseführer, der aber auch von Ortsansässigen inzwischen gerne genutzt wird. Mit Wikitude.me können Nutzer wie bei Wikipedia oder dem offenen Kartensystem OpenStreetMap nämlich selbst Informationen zu interessanten Orten auf der Karte einzeichnen. Es gibt inzwischen weitere Wikitude-Anwendungen, die auf Datensätze zurückgreifen, die Dritte erstellt haben. Für die Schweiz gibt es beispielsweise seit kurzem einen Wikitude-Toilettenführer, der anzeigt, wo sich das nächste öffentliche WC befindet – und ob es auch rollstuhltauglich ist.

Video- und Foto-Mashups sind ebenfalls sehr beliebt. Viele Mashups basieren auf den Daten des Fotodienstes Flickr, der nicht nur die Bilder selbst, sondern auch deren Metadaten speichert. Diese Daten geben unter anderem Aufschluss über den Fotografen, über den Inhalt des Bildes oder auch wo und wann es aufgenommen wurde. Diese Daten können mit anderen Daten verknüpft werden. So zeigen Mashups etwa die sozialen Beziehungen zwischen den Fotografen, wie sie aus den Kontaktdaten hervorgehen, sie verknüpfen Bilder mit Google-Maps oder analysieren Bilder nach ihren Farbwerten und collagieren sie in einer neuen Darstellung. Auch lassen sich die Bilder etwa mit Nachrichtenseiten wie CNN über benutzte Stichwörter zueinander in Verbindung bringen.

Personalisierte Nachrichtenangebote

Auch Konsumenten können offene Schnittstellen für eigene Zwecke nutzen. Zu den ersten Werkzeugen zählen BizRate und Googles Froogle, die Preisvergleiche ermöglichen. Seitdem eBay und Amazon ihre Schnittstellen offenlegen, entstehen auch hier viele neue Auswertungswerkzeuge. Bei eBay etwa lassen sich zwar einzelne Produkte schnell finden. Weniger einfach hingegen ist es herauszufinden, welcher Verkäufer vertrauenswürdig ist, weil Programmierer hierfür die Daten von der Website maschinell extrahieren bzw. scrapen müssten, was eBay allerdings untersagt.

Ebenfalls weitverbreitet sind Mashups, die Nachrichten verschiedener Nachrichten-Websites wie Spiegel.de, Heise.de und CNN.com auf einer einzigen Website zu bestimmten Themenbereichen zusammenführen. Auf diese Weise entstehen personalisierte Zeitungen. Unterstützt wird das mit Ticker-Techniken wie RSS und Atom. Im deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen auch einige Dienste, wie etwa Nachrichten.de und Finanzen100.de aus dem Haus Burda, die Nachrichten aggregieren und dabei über Anzeigen Einnahmen generieren oder den bis heute quasi ehrenamtlich betriebenen Dienst Rivva.de des Entwicklers Frank Westphal, der nicht nur Nachrichtensites und Blogs auswertet, sondern auch Twitter-Meldungen.

Probleme bei der Übernahme

Ohne Zweifel ermöglicht die Mashup-Technik den Aufbau mächtiger Informationsdienste. Gleichwohl müssen die Entwickler mehrere Hürden meisten. So ist beispielsweise die Datenqualität eine entscheidende Herausforderung. Die Daten müssen aus unterschiedlichen Formaten konvertiert werden, manche Daten lassen sich zunächst nicht maschinell auswerten und müssen erst von Hand aufbereitet werden.

Die zur Verfügung gestellten Daten können unvollständig oder gar falsch sein, was unter Umständen Haftungsprobleme mit sich bringen kann. Auch verlangen Inhalteanbieter für die Nutzung ihrer offenen Schnittstellen zunehmend Authentifikationen. Auf diese Weise können Abo- und Subskriptionsmodelle ermöglicht und unterstützt werden, was die Aufrechterhaltung der Dienste ermöglicht. Einer kommerziellen Nutzung müssen Nutzer, die eigene Daten zur Verfügung gestellt haben, jedoch zustimmen. Außerdem müssen die Betreiber etwaige vertrauliche Daten der Nutzer schützen.

Rechtliche Schwierigkeiten

Die Entwicklung von Mashups bewegt sich in einem Spannungsfeld zwischen frei verfügbaren und urheberrechtlich geschützten Daten sowie zwischen gemeinnützigen und kommerziellen Interessen. Im angelsächsischen Raum ermöglicht das Prinzip des "Fair Use" eine wesentlich umfangreichere Nutzung der Daten für den nicht-kommerziellen Bereich als das kontinentaleuropäische Urheberrecht.

Das ist ein Grund dafür, dass es im deutschsprachigen Raum vergleichsweise wenige Mashups gibt. Über die Nutzung von Creative-Commons-Lizenzen könnten aber auch hier Datenströme ausgezeichnet und unproblematischer in Mashups integriert werden. Auch wenn also die Open-Data-Bewegung hier erst am Anfang steht, könnte dies die Entwicklung neuer innovativer Anwendungen schon wesentlich befördern.

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(Christiane Schulzki-Haddouti)