EU: Die Kriminalisierung der Privatkopie
Französische Konservative und einige Liberale machen Druck im EU-Parlament: Sie wollen Produktpiraterie und unlizenziertes Filesharing künftig stärker bekämpfen. Sozialdemokraten und Grüne wollen aber das Recht auf Privatkopie sichern und lehnen daher die Positionen des Gallo-Berichts ab. Die nächste Runde im Kampf um Netzfreiheit und geistiges Eigentum ist eingeläutet.
Der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments (JURI) verabschiedete am Dienstag einen Initiativbericht, der sich mit der Zukunft des Rechts auf geistiges Eigentum befasst. Der unter der Ägide der konservativen französischen Berichterstatterin Marielle Gallo erstellte Bericht fordert, Produktpiraterie und Online-Rechtsverstöße mit "angemessenen und fairen Sanktionen" zu bekämpfen. Hierfür sollen insbesondere Europol, nationale Behörden und Unternehmen sowie internationale Organisationen eng zusammenarbeiten.
Das Parlament wird voraussichtlich Anfang Juli über den Bericht abstimmen. Obwohl er keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gesetzgebung hat, ist die damit geäußerte Position des Parlaments doch stark relevant für das weitere Vorgehen bei der Reform des EU-Urheberrechts im Rahmen der "digitalen Agenda", in deren Rahmen auch die Regeln des Binnenmarkts und des EU-Datenschutzes an die Anforderungen des Internet-Zeitalters angepasst werden sollen.
Produktpiraterie und Privatkopie
Der Hauptstreitpunkt zwischen Konservativen und Liberalen auf der einen Seite und den Sozialdemokraten und Grünen auf der anderen Seite besteht in der Frage, inwieweit man die Themen Produktpiraterie und den Austausch urheberrechtlich geschützter Dateien über Filesharing-Plattformen, die vor allem von Jugendlichen genutzt werden, voneinander trennen sollte.
Die sozialdemokratische Abgeordnete Evelyn Regner zeigte sich "sehr enttäuscht", da der Bericht nicht zwischen jugendlichen Kopierern und Produktpiraterie unterscheide. Es werde damit auf ein "obsoletes Wirtschafts- und Rechtsmodell" gesetzt, das neue Wertschöpfungsketten im digitalen Raum für Unternehmen verkenne. Adäquate Alternativvorschläge wie etwa die Einrichtung einer Kulturflatrate, bei der Kreative und Künstler über Pauschalbeiträge, die über Internet-Provider bei den Nutzern erhoben werden, entschädigt werden, berücksichtige der Bericht erst gar nicht.
Verlässliche Daten fehlen
Ein weiterer Streitpunkt besteht in der Einrichtung einer Beobachtungsstelle für Piraterie, die innerhalb der Dienststellen der EU-Kommission angesiedelt werden soll. Sie soll Zahlen zu illegalen Filesharing-Aktivitäten getrennt von Zahlen zur Produktpiraterie erheben und bewerten. Der Vorschlag hierfür stammt denn auch ursprünglich von der EU-Kommission und wurde von dem Bericht aufgegriffen. Die Kommission will verlässliche Daten über Medienpiraterie erheben, bevor sie weitere Maßnahmen in Erwägung zieht. Bis 2012 will sie darüber "berichten", inwieweit zusätzliche Maßnahmen zum Schutz des geistigen Eigentums im Online-Raum notwendig sind. Im Zuge der "digitalen Agenda" will sie außerdem Ungleichheiten im europäischen Urheberrecht beseitigen. Schon bis Ende dieses Jahres will sie einen Vorschlag für ein europaweites Online-Lizenzrecht vorlegen.
Evelyn Regner beklagt die "starke Klientelpolitik" der Konservativen. Sie sieht außerdem in der im Ausschuss geführten Debatte im Wesentlichen ein "französisches Match": "In Frankreich wird die Debatte sehr hitzig geführt, Alternativen kaum aufgezeigt. Die Berichterstatterin Gallo kommt aus Frankreich, ebenso die Schattenberichterstatterin der Sozialdemokraten – das hat auch die Diskussion im Ausschuss geprägt." Gallo gehört der konservativen Partei des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy an, die in Frankreich ein Gesetz verabschiedet hat, das es ermöglicht, mutmaßlichen Raubkopierern den Internet-Zugang zu sperren.
Erinnerung an Software-Patente
Die grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger setzt darauf, dass das Plenum wie bereits in der Debatte über die Software-Patente zu einer anderen Haltung als die entsprechenden Fachausschüsse kommen wird. Die Konservativen konnten sich im Rechtsausschuss mit ihrer harten Linie, die keinerlei Unterscheidungen vorsieht, letztlich durchsetzen. Ihre Vorstellungen entsprechen dabei, so eine Analyse der europäischen Bürgerrechtsinitiative La Quadrature du Net, denen der Unterhaltungsindustrie, die seit Jahren versucht, die Nutzung von urheberrechtlich geschützten Dateien strafrechtlich und nicht wie bisher zivilrechtlich zu behandeln. Hierzu gab es bereits einen entsprechenden Richtlinienentwurf (IPRED 2), der aber wieder zurückgestellt wurde. Er könnte mit dem Gallo-Bericht neuen Rückenwind erfahren, da dieser für die Meinungsbildung im Parlament wichtig ist.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Bernhard Rapkay erinnert im Gespräch mit ORF.at daran, dass der Gallo-Bericht keine rechtsverbindliche Wirkung hat. Sobald die Kommission Legislativvorschläge vorlegt, werde sich auch das Engagement der Abgeordneten verändern, ist sich Rapkay sicher: "Dann wird neu und mit einer ganz anderen Beteiligung gearbeitet, denn dann geht's um wirkliche Entscheidungen."
Ambivalenter Status des Berichts
Der Gallo-Bericht ist ein einfacher Initiativbericht, den das Plenum des EU-Parlaments ohne Änderungen annehmen oder ablehnen kann. Weil Sozialdemokraten und Grüne glauben, dass die Meinung des Rechtssauschusses nicht der des Parlaments entspricht, versuchen sie, eine Änderung zu erreichen.
Das wäre aber nur dann möglich, wenn die Kommission der Fraktionsvorsitzenden zu der Meinung kommen würde, dass es sich bei dem Bericht nicht um einen einfachen, sondern um einen strategischen Initiativbericht handelt. In diesem Falle könnten Fraktionen im Plenum Änderungsanträge einreichen. Weil die Liberalen im Ausschuss nicht einheitlich für den Bericht gestimmt haben, könnte im Plenum eventuell nicht der wirtschaftsliberale, sondern bürgerrechtsorientierte Flügel den entscheidenden Ausschlag für etwaige Änderungen geben.
Trend zur Internet-Sperre
Obwohl also der Bericht keinerlei verbindliche Wirkung hat, zeigt er nicht nur dem europäischen Parlament, sondern auch den nationalen Gesetzgebern eine Marschrichtung auf. Nachdem in Frankreich ein Sperrgesetz vom Parlament verabschiedet wurde, muss noch der Conseil d'Etat in den nächsten Wochen darüber beraten, das ist das oberste französische Regierungsberatungsgremium im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens. Dieses soll sich Beobachtern zu Folge in seiner Entscheidung auch am europäischen Parlament orientieren wollen. In Spanien wird derzeit ein Sperrgesetz diskutiert, wonach ein Richter Websites schließen lassen kann, wenn sie Nutzern unlizenzierte Downloads ermöglicht haben.
In Irland hingegen wird seit Ende Mai ohne einen separaten Gesetzgebungsprozess eine "Three Strikes"-Politik umgesetzt: Nachdem das oberste Zivil- und Strafgericht Irlands, der High Court, entschieden hatte, dass IP-Adressen keine personenbezogenen Daten sind, hat der irische Provider Eircom ein entsprechendes Verfahren eingeführt. Demnach erhalten Kunden, die illegales Filesharing betreiben, drei Mahnungen, bevor der Provider ihren Internetzugang für ein Jahr sperrt. Das Vorgehen basiert auf einem außergerichtlichen Vergleich zwischen Eircom und der Irish Recorded Music Association. Unterstützt wird Eircom von der Firma Dtectnet, die im Auftrag des Musikverbands IP-Adressen identifiziert.
(Christiane Schulzki-Haddouti)