Filesharing und der Neustart der Musikindustrie
Bei den Wiener Tagen der Musikwirtschaftsforschung wurde die Frage erörtert, "wie böse Musik-Filesharing ist". Harvard-Professor Felix Oberholzer-Gee sprach sich für ein Überdenken des Urheberrechts aus. Sony-Music-Manager Philipp Ginthör sieht die Bedeutung des unautorisierten Tausches von Musik abnehmen: "Filesharing ist ein Old-School-Phänomen."
Studien zu den Auswirkungen des Musik-Filesharings auf Musikverkäufe hätten alle gemeinsam, dass sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, sagte Peter Tschmuck. Ob durch den Musiktausch im Netz ein Schaden enstehe, sei nicht wirklich belegt, so der Professor an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst am Mittwochabend bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Musik-Filesharing in Wien.
Die Diskussionsveranstaltung fand im Rahmen der Wiener Tage der Musikwirtschaftsforschung statt, bei denen noch bis Donnerstag Auswirkungen des Filesharings und alternative Vergütungsmodelle für Musiker untersucht werden.
"Unheimlich populär"
Mit Gewissheit sagen lasse sich nur, dass Filesharing "unheimlich populär" sei, so Oberholzer-Gee. "Filesharing ist ein Massenphänomen", so der Professor an der Harvard Business School, der seit Jahren zu dem Thema forscht. Daran hätten auch die Klagen der Musikindustrie und verschärfte Urheberrechtsgesetze nichts geändert.
Die alten Geschäftsmodelle der Musikindustrie, die auf der Kontrolle des Vertriebs basierten, hätten ausgedient. Er sprach sich für eine Überdenken der rechtlichen Rahmenbedingungen aus: "Die Gesetze zum Filesharing gehören zum Dümmsten, das wir uns in den letzten 15 Jahren einfallen haben lassen."
"Auch gute Seiten"
Der unautorisierte Tausch von Musik-Files im Netz richte massiven Schaden an und beeinträchtige die Chancen "legaler" Angebote, meinte hingegen Ginthör, General Manager von Sony Music Austria.
Das Filesharing habe aber auch gute Seiten, so der Musikmanager. Die Musikindustrie sei in einen massiven Strukturwandel gedrängt worden. Dabei habe sie sehr viel über sich selbst gelernt und auch Hausaufgaben gemacht, "die längst überfällig waren". Aus Musikkonzernen seien Entertainment-Unternehmen geworden, so Ginthör: "Filesharing ist aus unternehmerischer Sicht heute ein Old-School-Phänomen."
Mehr Einnahmen aus Konzerten
Am Einkommen der Künstler habe sich durch den unautorisierten Musiktausch im Netz wenig geändert, stellte Oberholzer-Gee unter Verweis auf Studien in den USA und Schweden fest. Diese seien in den vergangenen zehn Jahren sogar gewachsen.
Zwar seien die Einnahmen aus Tonträgerverkäufen zurückgegangen, so der Harvard-Professor: "In dem Moment, wo Musik günstig oder gratis wird, steigt aber die Zahlungsbereitschaft für Konzerte und Merchandising. Komplementäre Güter profitieren von der Steigerung der Nachfrage."
Darauf haben sich inzwischen auch die Labels eingestellt. "Ein Drittel unserer Umsätze kommen nicht mehr aus dem klassischen Tonträgergeschäft", sagte Ginthör. Dass Musiker heute mehr verdienen als vor der Filesharing-Welle, wollte er jedoch nicht glauben.
Urheberrecht überdenken
Oberholzer-Gee sprach sich dafür aus, das Urheberrecht für Musik zu hinterfragen. Gehe man davon aus, dass es das Ziel des Urheberrechts sei, eine Vielfalt an Werken zu generieren, dann habe es sich eigentlich überlebt.
Mit dem Aufkommen von Musik-Filesharing habe der Urheberschutz stark abgenommen, die jährliche Produktion von Alben habe sich seit dem Jahr 2000 aber mehr als verdoppelt, gab Oberholzer-Gee zu bedenken: "Die meisten Leute tun es aus Begeisterung."
"Dafür haben wir den Sozialstaat"
Den Einwand, dass das Urheberrecht Kreativen auch dabei helfen solle, mit ihren Arbeiten Geld zu verdienen, ließ Oberholzer-Gee nicht gelten: "Dafür haben wir den Sozialstaat."
Bei den anwesenden Branchenvertretern erntete Oberholzer-Gee für seine Aussagen Kopfschütteln. Franz Medwenitsch vom Verband der Österreichischen Musikwirtschaft (IFPI Austria) sprach von einem "Irrweg". Auch Alexander Hirschenhauser vom österreichischen Indie-Verband VTMÖ tat sich schwer damit, die Argumentation des Harvard-Professors nachzuvollziehen. Er sei nicht dafür, Tauschbörsennutzer zu verdammen. Es müssten aber Wege gefunden werden, damit für faire Leistung auch ein faires Entgelt erbracht werde.
"Dramatische Veränderungen"
Er wolle nicht bagatellisieren, wie dramatisch die Veränderungen für Leute seien, die in der kulturellen Produktion tätig sind, antwortete Oberholzer-Gee. "Die Gesellschaft muss sich aber überlegen, ob zusätzliche ökonomische Anzreize nötig sind, um die Produkte zu bekommen, die sie will."
Im Musikbereich könne er wenige Anzeichen dafür erkennen, dass es ein Problem mit der Produktionseite gebe. Die Möglichkeiten, mit komplementären Gütern Geld zu verdienen, seien darüber hinaus sehr vielfältig, so Oberholzer-Gee.
"Musikalisches Umfeld"
"Das zukünftige Geschäftsmodell eines Musikunternehmens ist es, musikalische Umfelder herzustellen", sagte Sony-Music-Manager Ginthör. Wer am Ende dafür bezahlt, sei offen - das könnten Mobilfunker ebenso sein wie Internet-Anbieter und Werbetreibende. Filesharing werde es zwar weiterhin geben, der Musiktausch werde aber an Bedeutung verlieren, zeigte sich Ginthör überzeugt. Mit Streaming-Diensten und anderen neuen Modellen würden "viel interessantere technologische Möglichkeiten" entstehen.
Oberholzer-Gee riet der Industrie abschließend, ihre Rolle neu zu definieren und ihren Kunden bei der Orientierung in der Angebotsvielfalt zu helfen: "Dann gibt es eine tolle Zukunft."
(futurezone/Patrick Dax)