Geistiges Eigentum: Das Micky-Maus-Monopoly
Während Unterhändler aus USA und EU im Rahmen der Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) strengere Bestimmungen zur Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte fordern, werden zunehmend Stimmen laut, die das bestehende Copyright auf den Prüfstand hieven wollen. Eine davon gehört dem US-Juristen James Boyle. Er wirft den Copyright-Verschärfern die Unterstützung monopolistischer Strukturen vor.
Zur Person:
James Boyle unterrichtet an der Duke University im US-Bundesstaat North Carolina Rechtswissenschaft. Er ist Mitbegründer der Creative Commons und Science Commons, beides Plattformen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Informationen, Daten und Wissen im Netz benutzbar und möglichst vielen zugänglich zu machen. James Boyle setzt sich mit Urheberrechten, geistigem Eigentum und Software-Patenten auseinander.
Boyle machte vor einiger Zeit in Wien auf sich aufmerksam, als er bei einer Veranstaltung der Information Retrieval Facility (IRF) behauptete: "Wissenschaftsvermittlung im Netz funktioniert nicht." Das Netz arbeite nicht mehr für die Wissenschaft, sondern sei nur noch eine Plattform für kommerzielle Aktivitäten. Seiner Ansicht nach prägen Missverständnisse, Paradoxien und überholte Konzepte die Diskussion über geistiges Eigentum im Netz.
"Es gibt hinsichtlich des geistigen Eigentums die Auffassung, dass mehr Inhalte in Kultur und Wissenschaft produziert werden, wenn das Copyright stark ist", so Boyle, "man nennt diesen Ansatz Maximierung. Aber der Ansatz ist genauso dumm wie die Annahme: 'Pflanzen brauchen Wasser. Also gießen wir sie noch mehr, damit sie sich prachtvoll entwickeln.' Dabei tritt genau das Gegenteil ein. Pflanzen sterben ab, wenn man sie überwässert."
Wem geistiges Eigentum nützt
Boyle, der an der Duke-Universität das Center for the Study of the Public Domain mitaufgebaut hat, plädiert für mehr Ausgewogenheit und eine differenzierte Betrachtung, wenn einmal mehr Forderungen danach laut werden, dass Schutzfristen für geistiges Eigentum verlängert und gestärkt werden sollen. In solchen Diskussionen sollten vor allem zwei Fragen gestellt werden: Wem nützt geistiges Eigentum? Und was wird damit geschützt?
"Zu wenig Schutz kann sich in manchen Fällen auf Kreativität und Erfindungen durchaus negativ auswirken. Wenn wir wirklich Patente dafür verwenden wollen, um die Forschung an Medikamenten zu fördern, dann bedeutet das, dass wir den Firmen auch ein gewisses Maß an Exklusivität über ihre Produkte einräumen müssen, als Ansporn dafür, dass sie noch mehr Medikamente produzieren", so Boyle, "wenn das unser Ansatz ist, dann müssen wir auch für die richtigen Schutzmechanismen sorgen. Aber nur, weil wir in einem Bereich die Schutzfristen erhöhen, kann das kein Freibrief für alle sein. Das Problem in der heutigen Diskussion ist, dass manche Personen in der Öffentlichkeit die Behauptung aufstellen: Je stärker der Schutz von geistigem Eigentum ausfällt, desto kreativer wird unsere Gesellschaft sein."
Vom 28. Juni bis 1. Juli findet in Luzern die neunte Runde der Verhandlungen über das Anti-Piraterie-Abkommen (ACTA) statt. ACTA wird nach Ansicht von Konsumentenschützern schwere Eingriffe in die Grundrechte der Bürger der Unterzeichnerstaaten haben. Auch die EU-Kommission sitzt mit am Verhandlungstisch.
Problem Software-Patente
Für Boyle ist diese Annahme fatal und durch nichts zu begründen. Immer längere Schutzfristen für Werke und Erfindungen führen laut Boyle dazu, dass jede Weiterentwicklung einer Idee, jedes Aufgreifen einer Entwicklung, nicht die Kreativität fördert, sondern nur den Preis steigert. So werden durch die Einführung von Software-Patenten die Einstiegshürden für kleine Unternehmen immer größer, die Angebotsvielfalt leidet.
"Wenn Sie sagen: Ich bin der Besitzer dieses speziellen Programmcodes, dann steigern Sie die Kosten für jeden weiteren Entwickler, der diesen Code verwenden möchte", erläutert Boyle, "wenn Sie sagen, Sie sind der Besitzer einer bestimmten Gensequenz, dann erhöhen Sie damit die Kosten für den nächsten Wissenschaftler. Wir müssen beim Schutz von geistigem Eigentum eine Mischung aus offenen und geschlossenen Systemen finden, um Innovation zu fördern. Gehen wir noch stärker in die Richtung geschlossener Systeme, dann laufen wir Gefahr, die Balance zu verlieren."
Apples fatale Erfolge
Derzeit gibt es im Netz die Tendenz zu einer Rückkehr zu geschlossenen und zentralisierten Systemen. Apple hat das Geschäftsmodell mit iTunes und iPad vorgegeben, und der Rest der Industrie träumt von Cloud Computing und "Software as a Service" wie Google Docs. Man gibt sich im Netz wieder überwiegend traditionell und kehrt zu Modellen zurück, die man mit der Erfindung des Internets, des PCs, der Open-Source-Bewegung und des World Wide Webs überwunden glaubte. Boyle beschreibt diese Entwicklung auch in seinem neuen Buch "The Public Domain – enclosing the commons of the mind".
"Die geschlossene Alternative erscheint immer sicherer, verlässlicher, geschäftsorientierter und vertrauenswürdiger zu sein", so Boyle, "1992 hätte niemand daran geglaubt, dass irgendwer im offenen Web Geld verdienen kann. Heute wissen wir, dass das nicht stimmt. Man kann damit Milliarden Dollar verdienen. Ich argumentiere daher in meinem Buch, dass wir wie Piloten in einer Wolke uns lieber auf unsere Geräte verlassen und weniger auf unser eigenes Gespür setzen. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir neben den traditionellen Ansätzen auch die Vorzüge von offenen Systemen in unsere Überlegungen miteinbeziehen. Das heißt nicht, dass offene Systeme immer die richtige Antwort auf alle Probleme liefern, aber wir sollten mittlerweile in der Lage sein, zu beurteilen, wann sie sinnvoll sind und wann nicht."
Fallweise Entscheidungen
Welches System für welche Situation Vorteile bringe, könne jeder Einzelne mit Hilfe eines Experiments und der Suche nach Beweisen beurteilen. Ein Wissenschaftsverlag zum Beispiel könnte einen Blick auf seine Ladenhüter werfen, und einige davon unter der Creative-Commons-Lizenz im Netz zugänglich machen. Nach einiger Zeit wird er in der Lage sein, zu belegen, ob sich diese Maßnahme verkaufsfördernd auf das Geschäft ausgewirkt hat oder nicht.
"Es geht dabei nicht um Religion und Glauben, sondern um empirische Daten", sagt Boyle, "es geht darum, herauszufinden, was funktioniert und was nicht. Ich glaube, dass man sich jeden einzelnen Fall ansehen muss. Es gibt hier keine universelle Antwort. Aber ich glaube, dass unsere Lebenserfahrung von Kind an geprägt ist von physischen Dingen, die greifbar sind. Uns fehlt der Instinkt, wie wir mit Dingen wie geistiges Eigentum umgehen sollen, mit Dingen, die nur in Netzwerken existieren. Wir müssen daher verstehen, dass unsere Reflexe zuallererst in die Irre geführt werden. Deswegen können wir nicht anders, als zu sagen: Ich glaube nicht, dass das funktioniert. Auf der anderen Seite hätte ich auch nie geglaubt, dass Wikipedia funktionieren könne und das World Wide Web. Wir müssen also unseren eigenen Vorurteilen mit einer gehörigen Portion Skepsis entgegentreten."
Rückführung auf den Zweck
Bei aller Skepsis ist Boyle kein Fundamentalist, der sämtliche geistigen Eigentumsrechte abschaffen will. In manchen Fällen seien sie durchaus sinnvoll, so der Jurist. Schließlich wurden Patente, Urheberrechte und Markenzeichen einst erfunden, um einen Zweck zu erfüllen: Sie sollten die Produktion und Verbreitung von Wissen, Kunst, und Erfindungen fördern, genauso wie den Konsumenten dabei helfen, Produktmarken wiederzuerkennen.
"Wir sollten den Sinn dieser Einrichtungen vergegenwärtigen und sie daran messen, ob sie ihren ursprünglichen Zweck für die Gesellschaft erfüllen", fordert Boyle, "wir sollten uns fragen: Ist die Laufzeit des Urheberrechts zu lange? Ich meine: Ja! Wir sollten uns auch fragen, ob Software-Patente sinnvoll sind oder ob sie den Fortschritt behindern. Oder ob ein Markenschutz gerechtfertigt ist oder es sich nur um die Verstärkung einer bestimmten Sorte Fetischismus ist. Wenn der Schutz geistigen Eigentums seinen Sinn verliert, dann entwickeln wir uns in eine falsche Richtung. Deswegen ist es wichtig, sich die Bedeutung dieser Schutzrechte vor Augen zu führen und sie nicht um ihrer selbst Willen anzubeten."
Lex Micky Maus
Werke werden in den USA wie in Europa bis 70 Jahre nach dem Tod des Autors als schutzwürdig angesehen. Von dieser Regelung profitieren in den USA die Verlage und in Kontinentaleuropa die Erben. In den USA gibt es noch zwei weitere Eigenheiten, die derzeit auch die Diskussion in Europa bestimmen: Für Werke, die vor dem 1. Jänner 1978 erschienen sind, wurde in den USA die Schutzfrist auf 95 Jahre angehoben. Durchgesetzt hat das vor allem das Medienhaus Disney, dass seine Micky Maus einfach nicht in die Public Domain entlassen wollte.
Boyle macht auch noch auf ein weiteres Paradox aufmerksam, das in jedem Wirtschaftszweig verpönt, aber im Bereich des geistigen Eigentums unangefochten akzeptiert wird: das Monopol. Patente sind im Grunde genommen nichts weiter als ein vom Staat gewährtes Monopol auf Zeit. Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen werden sie in diesem Zusammenhang aber nicht hinterfragt, sondern als zwingend erachtet.
Problem des Monopols
Am Sonntag in "matrix"
Das Gespräch mit James Boyle hören Sie am Sonntag, dem 27. Juni 2010, um 22.30 Uhr im Ö1-Netzkulturmagazin "matrix".
"Wenn heute jemand kommt und sagt: Ich brauche ein Monopol für die Telekommunikationssysteme oder für Züge oder Fluglinien, dann wären wir sehr skeptisch und würden sagen: Zeigen Sie mir, dass die Wirtschaftslage so ist, dass nur ein vom Staat garantiertes Monopol hier funktionieren kann", so Boyle, "im Fall der Energieversorgung kann das durchaus sinnvoll sein. Aber in anderen Fällen würden wir sagen: Nein, das kommt nicht infrage. Die Bürde des Beweises liegt bei der Person, die den Antrag stellt. Im Bereich des geistigen Eigentums passiert genau das Gegenteil. Wir gehen davon aus, dass hier die Monopolstellung außer Frage steht und immer die richtige Antwort ist. Wir nehmen das an, obwohl uns dafür die Beweise fehlen. Wir dehnen dieses Monopol sogar noch aus, ohne dass die Menschen, die das verlangen, irgendeine Begründung dafür vorlegen müssen. Der Unterschied liegt also darin, dass wir gegenüber Monopolen an sich extrem skeptisch eingestellt sind. Aber wir vergessen unsere Skepsis, wenn es dabei ums geistige Eigentum geht."
(matrix/Mariann Unterluggauer)