Die Nebel von Echelon
Vom Abhören von Fernschreibern bis zur Überwachung des Datenverkehrs im Internet: Geheimdienste der USA und Großbritanniens konnten 40 Jahre lang weitestgehend unbemerkt so gut wie alle Informationen abschöpfen, die sich in den weltweiten Kommunikationssystemen bewegten. Erst mit dem Verdacht auf Wirtschaftsspionage begannen sich die Nebel um das Abhörsystem Echelon zu lüften.
Um an Personal, das besser im operativen Abhörbereich eingesetzt werden sollte, für Kommunikation und Kryptographie zu sparen, sowie um Geschwindigkeit und Genauigkeit zu verbessern, "sollte das ultimative Ziel sein, das gesamte COMINT-Material in Online-Kryptosysteme zu übertragen", so heißt es in der Neufassung des UKUSA-Geheimvertrags zwischen Großbritannien und den USA vom 10. Mai 1956.
Dieser und eine Anzahl von Vorgängerverträgen, die bis in das Jahr 1940 zurückdatieren, waren Ende Juni von der National Security Agency (NSA) und dem Government Communications Headquarters (GCHQ) freigegeben worden. Dass beide Geheimdienste die Unterlagen synchron veröffentlichten, ist symptomatisch für den vormaligen Geheimvertrag, der ein strikt bilaterales Abkommen zum Austausch von Geheimdienstdaten, also Communications Intelligence (COMINT), zum Inhalt hat.
Wiederholt wird in diesem Vertrag betont - er ist in seinen Prinzipien bis heute gültig - dass sämtliche Vereinbarungen ausschließlich die USA und Großbritannien betreffen. Die übrigen Mitglieder des British Commonwealth - Australien, Kanada und Neuseeland - wurden zwar etwas besser als "Drittstaaten" eingestuft, die nicht einmal von der Existenz des Abkommens wissen durften, die Informationsflüsse waren jedoch stark eingeschränkt.
"Nur relevante Informationen"
Die Briten durften ohne Zustimmung der USA keine aus amerikanischen Quellen stammenden Informationen an die engsten Verbündeten weitergeben und umgekehrt. "Über die vereinbarten COMINT-Kanäle sollen nur solche Informationen an Commonwealth-Nationen weitergeben werden, welche für sie relevant sind", heißt es in Paragraf 9, Absatz b.
Über die "Relevanz" entscheidet dann entweder der NSA-Direktor oder jener des GCHQ. Werden von der Partnernation abgefangene Informationen angefordert, so ist deren Konsens vorab einzuholen.
Was aber bedeutet "Online-Kryptosysteme" im Kontext des Jahres 1956?
Es handelte sich dabei um Fernschreiber, die durch gesicherte Leitungen verbunden waren oder via Radio Teletype (RTTY) funkten. Übertragen wurden typischerweise zuvor verschlüsselte Fünferblöcke bestehend aus Buchstaben. Lochstreifen, Speicherkarten aus Karton und Magnetbänder waren die hauptsächlichen Speichermedien.
Die Vorgeschichte
Bereits gegen Ende des Zweiten Weltkriegs richteten sich die Antennen des im Rahmen des UKUSA-Vertrags gegründeten Überwachungssystems in Richtung Osten, wo sich mit der Sowjetunion ein neuer Feind am Horizont manifestierte. Praktisch alle Überwachungsaktivitäten spielten sich während dieser Jahre fast ausschließlich auf den kurzen Wellen ab, deren physikalischen Eigentümlichkeiten diese Überwachungstätigkeit zu einer Art von vernetzter Wellenjagd machten.
RTTY und Baudot
Diese RTTY-Kommunikationssysteme sendeten über analoge Funkmodems in "Baudot", dem gängigen Fünf-Bit-Code für Fernschreiber, mittels Betätigung der Shift-Taste konnten freilich auch Zahlen und Sonderzeichen dargestellt werden.
Während der folgenden 40 Jahre war das erst später Echelon genannte weltweite Überwachungssystem ein mächtiges Instrument. Während der Kuba-Krise Anfang der 60er Jahre verfolgten die Antennen von Echelon die russischen Raketenfrachter vom Auslaufen über den Atlantik. Welche brisante Fracht an Bord war, wussten die beiden UKUSA Staaten lange vor dem Einlaufen der Flotte in Kuba.
Abgehört wurde schlichtweg alles, was elektromagnetische Wellen zum Übertragen von Informationen nutzte. Das betraf die analogen Richtfunkstrecken aus den Wählämtern der Postverwaltungen rund um den Globus ebenso wie den gesamten Funkverkehr über den Weltmeeren, die Funkfernschreiber in den Botschaften, wie alle militärischen Aktivitäten von Drittstaaten.
Die Entstehung der Radome
Der in den 1970er Jahren begonnene Umstieg von Kurzwellen- auf Satellitenkommunikation verstärkte die Dominanz des Echelon-Systems dann zusätzlich. Die sozusagen "free on air" übertragenen Telefonate via Satellit stellten wie auch der Telexdatenverkehr kein technisches Problem dar. Dem rasanten Anstieg der Weltkommunikation kam der Umstand entgegen, dass es bereits Rechner gab, die automatische Auswertungen fahren konnten, von denen man 1956 allenfalls zu träumen wagte.
Um diese Zeit entstanden die Radome, die riesigen, weißen "Champignons" aus Plastikwaben, unter denen sich große Parabolantennen verbargen. Natürlich schützten die Hüllen auch vor Witterungseinflüssen, wichtiger aber war, dass sie verbargen, wohin diese Antenne "blickte". Von den militärischen Zielen abgesehen waren das zivile Kommunikationssatelliten, und von denen holten sich NSA und GCHQ immer mehr Informationen, die einfach zu bekommen, aber aufgrund ihrer schieren Zahl zunehmend schwieriger auszuwerten waren.
Echelon und das ARPAnet
Andererseits verbesserte sich die interne Kommunikation durch die Vernetzung der Informationen. Eine frühe Karte des ARPAnet aus dem Jahr 1977 zeigt bereits, dass der Netzknoten der NSA über den NORSAR-Satellitenlink mit Norwegen und London verbunden war, eine zweiter Link sorgte für die Anbindung Hawaiis. Schon damals bewegte sich das Echelon-System in Richtung paketvermittelte Datenkommunikation, die eigenen Telefon- und Fernschreiberverbindungen der NSA waren aus Sicherheitsgründen da längst schon digitalisiert.
Das wohl bestgehütete Geheimnis aber waren die "Wörterbücher" von Echelon, die Stichworte und Phrasen enthielten, nach denen bald schon Maschinen weitgehend automatisch in abgefangenen Nachrichten suchten.
Diese laufend umgeschriebenen und ergänzten "Wörterbücher" waren in ihrer "Gesamtausgabe" nur Briten und Amerikanern zugänglich, die Commonwealth-Staaten erhielten eigene "Editionen", die grundsätzlich weit weniger Umfang hatten. Zudem wurden sie auf die jeweilige Weltregion adaptiert, was bedeutet, dass etwa die Australier in abgefangenem COMINT-Material aus China nach anderen Begriffen und Kriterien suchte als die Briten in russischer Information.
Telexe und Faxe
Vor allem Telexe und später Faxe wurden routinemäßig nach Stichworten durchkämmt, NSA und GCHQ waren damit auch stets informiert, wer was in welche Weltgegend lieferte. Es waren die Zeiten, als die USA über den internationalen COCOM-Vertrag die Lieferung von Hochtechnologie wie etwa Computern in die Sowjetunion und andere kommunistische Staaten weltweit blockierte.
In den ersten vierzig Jahren seiner Existenz, also bis Anfang der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts, war in der Öffentlichkeit generell unbekannt, dass die UKUSA-Verträge und ein System wie Echelon überhaupt existierten.
Enthüllt, wieder verschwunden
Als James Bamfords Enthüllungsbuch über die NSA, "The Puzzle Palace", im Jahr 1982 veröffentlicht wurde, ging ein Raunen um die Welt, denn zum damaligen Zeitpunkt mutete sein Inhalt wie Science-Fiction an. Alsbald interessierte sich die Weltöffentlichkeit mehr für Ronald Reagans "Star Wars" genanntes weltallgestütztes Abwehrprogramm gegen Interkontinentalraketen. Echelon aber verschwand wieder aus den Schlagzeilen, und das sollte bis Mitte der 90er Jahre auch so bleiben.
Im Appendix A zum UKUSA-Vertrag von 1956 wird der Begriff "Foreign Communications" (Kommunikation von Drittstaaten), also was unter die Abhörlizenz von GCHQ und NSA fällt, so definiert: sämtliche Kommunikationen von Regierungen und Militär, von Parteien, Abteilungen, Büros und Agenturen eines Drittstaats, sowie von allen Personen die für staatliche Stellen arbeiten.
Wirtschaft und Spionage
Im Nachsatz heißt es: "Darin eingeschlossen sind (...) Kommunikationen der Bürger von Drittstaaten", wenn diese (Kommunikationen) von Wert sein könnten". Bei der Veröffentlichung des erweiterten UKUSA-Abkommens in der vergangenen Woche - 54 Jahre nach der Unterzeichnung - wurden in diesem Satz genau jene drei oder vier Wörter unkenntlich gemacht, die näher definieren, um welche Kommunikationen es sich dabei handelt.
Mehr als ein halbes Jahrhundert danach erschien es den Herren der Echelon-"Wörterbücher" dies- und jenseits des Atlantiks ratsam, Worte wie "Wirtschaft" und "Handel" aus dem freigegebenen Vertragswerk zu entfernen.
Wegen des Verdachts auf Wirtschaftsspionage war die Existenz des Überwachungsnetzwerks vor genau zehn Jahren auch offiziell bestätigt worden, als sich das EU-Parlament damit befasste. Eine Schlüsselrolle kam dabei ausgerechnet jenen Staaten zu, die nach dem Willen von NSA und GCHQ jahrzehntelang nur für sie "relevante" Informationen erhalten hatten: Australien und Neuseeland.
Über das Auffliegen des Echelon-Systems im Jahr 2000 und was zwei ehemalige Echelon-Oberbefehlshaber mit den Daten der Finanztransferzentrale SWIFT zu tun haben, lesen Sie im dritten Teil der Serie zum Thema.
(futurezone/Erich Moechel)