Regierungsdaten sollen Journalismus retten
Die Rettung des Journalismus liegt nicht unbedingt in einem Leistungsschutzrecht, einem strengeren Urheberrecht oder staatlichen Subventionen. Neue Geschäftsmodelle ergeben sich vielmehr aus der Offenlegung staatlicher Informationsmonopole, meint die US-Handelsbehörde FTC.
Wie sieht die Zukunft des Journalismus aus? In den USA mussten in den letzten drei Jahren zahlreiche Redaktionen von Lokalzeitungen schließen - nicht selten ohne einen adäquaten Ersatz. Vor allem die Abwanderung der Werbebranche ins Netz übt einen starken ökonomischen Druck auf die Zeitungsverlage aus.
Die amerikanische Bundeshandelsbehörde Federal Trade Commission (FTC) beschäftigt sich in mehreren Expertenrunden damit, wie dem Medienwandel mit Änderungen des Wettbewerbrechts, des Steuerrechts und des Copyrights sowie einer anderen staatlichen Informationspolitik zu begegnen ist. In einem 47-seitigen Papier stellte sie nun eine Reihe von Empfehlungen für die "Neuerfindung des Journalismus" zur Diskussion. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nicht um ihre eigenen, sondern lediglich um Handlungsoptionen, die von den Experten erörtert wurden.
Blogs in den Fußnoten
Die Ausgangslage ist alles andere als rosig: "Zeitungen haben noch kein neues, tragfähiges Geschäftsmodell gefunden", schreibt die FTC in ihrem Diskussionspapier. Es gebe "Anlass zur Sorge, dass ein solches Geschäftsmodell gar nicht entsteht". Es sei daher nicht zu früh, über Methoden nachzudenken, "die Innovationen möglicherweise anregen können und Journalismus in der Zukunft unterstützen helfen".
Diverse Vorschläge zur Änderung des Urheberrechts und zur Einführung neuer Mediensteuern in der US-Medienszene stießen auf teils harsche Kritik. Der New Yorker Journalismusprofessor Jeff Jarvis etwa empfand das Papier als rückwärtsgewandt, da es neuere Medienphänomene wie Blogs lediglich in Klammern und einer Fußnote erwähnte. Ein Vorschlag der FTC löste hingegen nahezu überall Begeisterung aus: Sie schlug vor, die Regierung könne noch mehr staatliche Daten im Rahmen ihrer Open-Data-Politik für die journalistische Berichterstattung freigeben - und dafür das Informationsfreiheitsgesetz Freedom of Information Act (FOIA) anpassen.
Teure Informationsfreiheit
Hintergrund hierfür ist die technische Entwicklung: Interessierte Bürger und Journalisten können große Mengen öffentlich verfügbarer Informationen mit Internet-Suchmaschinen durchforsten und Daten mit oftmals bereits kostenlos verfügbarer Datenbanken - und Tabellenkalkulationssoftware zusammenführen und analysieren. "Diese Technologien unterstützen Journalisten dabei, Geschichten zu finden und sie effizienter zu untersuchen", meint die FTC in ihrem Bericht.
Die Behörde weist allerdings auch auf einige Barrieren hin: Noch seien die meisten der digital verfügbaren Dokumente im reinen Textformat nur begrenzt durchsuchbar. Entsprechend kann das Durchsuchen von Dokumenten etwas zeitaufwendig werden. Außerdem kann auch die Inanspruchnahme des Informationsfreiheitsgesetzes teuer werden: Eine Anfrage des Center for Public Integrity etwa ergab, dass es 90.000 Dollar kosten würde, bestimmte Daten von der bundesstaatlichen Krankenversicherung Medicare zu fordern, da das Aussondern nicht-öffentlicher Daten schwierig ist. Nach einem Jahr hatte die Organisation jedoch 1,5 Milliarden Medicare-Datensätze erhalten, die sich auf einen Zeitraum von zehn Jahren bezogen.
Nachvollziehbare Politik
Es gibt mehrere Optionen, den Zugang zu Regierungsdaten zu erleichtern. Zum einen können Behörden den Anteil ihrer Online-Informationen "maximieren" und darüber regelmäßig berichten. Dazu gehört es, dass alle öffentlichen Treffen, Anhörungen und Ereignisse im Netz per Video oder Audio übertragen und später samt ihren Transkripten und dazu gehörigem Material archiviert werden. Derzeit bieten alle Bundesstaaten Video- oder Audioübertragungen aus den Plenarsäalen an, aber nur 60 Prozent aller Bundesstaaten archivieren diese. Nur 50 Prozent bieten einen Audio- oder Video-Webcast aus Ausschussanhörungen an, wobei nur 40 Prozent diese für spätere Nachprüfungen archivieren.
Außerdem sollten die IT-Systeme bei Behörden so ausgelegt werden, dass personenbeziehbare und andere nicht-öffentliche Informationen einfach und schnell aus jeder Datenbank herausgezogen werden können, damit die restlichen Daten veröffentlicht werden können. Des Weiteren könnte ein verbesserter FOIA-Freigabeprozess die Notwendigkeit teurer und zeitraubender Rechtstreitigkeiten vermeiden. Schließlich sollten die Bundesstaaten, die noch keine Informationsfreiheitsgesetze haben, welche einführen.
Transparenz schafft Verantwortlichkeit
Für Journalisten und Redaktionen bedeutet das, dass sie schneller und zu geringeren Kosten an staatliche Informationen kommen. Damit würde eine solche Informationspolitik, so die FTC, einen Journalismus fördern, der wiederum Transparenz und Verantwortlichkeit in den Behörden unterstützen könnte. Das setze zwar erhebliche staatliche Investitionen und auch gesetzgeberische Eingriffe voraus, doch wenn diese Systeme einmal eingerichtet sind, funktionierten sie relativ preiswert: Der Senat des Staates New York beispielsweise hatte 2009 seine Website mit einem Kostenaufwand von rund 100.000 Dollar in wenigen Monaten überholt, um seine Aktivitäten dort besser dokumentieren zu können.
Über hundert Beschäftigte wurden angewiesen, wie sie Dokumente, Webcasts und anderes Material auf der Website im Zuge ihrer Arbeit veröffentlichen können. Weil der Senat eine Open-Source-Software verwendet, fallen keine Lizenzgebühren an. Außerdem will der Senat das Software-Template samt den Code der überholten Website anderen Behörden kostenlos zur Verfügung stellen. Einen Wehrmutstropfen für Verlage gibt es gleichwohl: Die vom Senat produzierten Inhalte werden zwar unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlicht, doch erlaubt ist nur eine nicht-kommerzielle Weiterverwendung.
Freigabe von Regierungsdaten
Die US-Regierung startete aber auch ganz neue Projekte, um staatliche Daten zu veröffentlichen: USASpending.gov wurde bereits 2007 aufgesetzt und zeigt, wie Bundesgelder verwendet werden. Die Website Data.gov veröffentlicht seit 2009 Tausende von behördlichen Datensätzen. Recovery.gov zeigt ebenfalls seit 2009, wie Gelder aus dem Konjunkturprogramm verwendet werden. Diese Projekte weisen bereits in die Richtung eines Webs, in dem verschiedene Interessensgruppen zusammenarbeiten, um Informationen über Metadaten in einem semantischen Web verfügbar und maschinenlesbar zu machen. Das würde eine Überprüfung und Auswertung der Daten wesentlich erleichtern und möglicherweise investigativen Journalismus fördern.
Die SEC ist gerade dabei, ihre Finanzdaten mit entsprechenden "interaktiven Datentechnologien" zu versehen. Die meisten der SEC-Daten werden bisher nämlich unstrukturiert gespeichert und sind damit einer automatisierten Auswertung nicht zugänglich. Seit 2009 verpflichtet die Börsenaufsichtsbehörde große Unternehmen, Fonds und Auskunfteien ihre Daten in einem bestimmten Datenformat, nämlich in der "eXtensible Business Reporting Language" XBRL abzuliefern. Nicht nur Investoren, sondern auch Journalisten könnten dann rasch Fakten und Zahlen innerhalb der umfangreichen Dokumente identifizieren und auswerten. Auf einen Schlag wäre damit zwischen Einzelpersonen und großen Institutionen eine Art Waffengleichheit in Sachen Informationsauswertung hergestellt.
Alexander Howard von O’Reilly Media zeigte sich begeistert: Wenn die SEC ihre interaktiven Daten freigebe, ergäben sich zahlreiche neue wirtschaftliche Möglichkeiten für programmierende Journalisten und innovative Online-Nachrichtendienste, meint Howard. Er ist überzeugt, dass "eine innovative und intelligente Nutzung von Regierungsdaten neue journalistische Ökosysteme ermöglichen könnte, die dem Gemeinwohl dienen."
(Christiane Schulzki-Haddouti)