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Medienkompetenz als Schulaufgabe

SOCIAL WEB
28.07.2010

83 Prozent der österreichischen Kinder zwischen sechs und 14 Jahren haben laut einer aktuellen Studie Zugang zum Internet. Doch nur die Hälfte der Befragten wurde darüber aufgeklärt, wie sie sich im Internet verhalten sollen. Die Schulen sollen den Kindern mehr Medienkompetenz vermitteln, meint die Kommunikationswissenschaftlerin Ingrid Paus-Hasebrink im Gespräch mit ORF.at.

Vor allem Soziale Netzwerke spielen bei den Aktivitäten von Kindern im Netz eine große Rolle. 34 Prozent nutzen derartige Netzwerke, 19 Prozent der befragten Kinder zwischen sechs und 14 nutzen Facebook täglich, 16 Prozent YouTube. Knapp ein Fünftel lernte bereits Freunde über das Internet kennen.

Doch nur 56 Prozent der Kinder wurden über mögliche Risiken wie Mobbing und sexuelle Belästigung durch Erwachsene aufgeklärt. Meist sind es die Eltern, die ihre Kinder informieren, rund ein Fünftel erhält Informationen von Geschwistern und Freunden, 13 Prozent werden von Lehrern eingeschult. Ein Fünftel der befragten Kinder muss ohne Ansprechperson auskommen. Das ergab eine aktuelle Studie von A1 Telekom Austria, für die 507 Kindern zwischen sechs und 14 Jahren interviewt wurden.

Medienexperten wollen jetzt vermehrt die Schule in die Verantwortung nehmen und sprechen sich für einen maßvollen Umgang der Kinder mit Webinhalten und Sozialen Netzwerken aus. Doch dieses Verhalten müsse man den Kindern erst beibringen, so Paus-Hasebrink, Universitätsprofessorin im Fachbereich Kommunikationswissenschaft, die seit Jahren die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen erforscht und selbst zahlreiche Studien, unter anderem eine Langzeitstudie zur Mediensozialisation sozial benachteiligter Kinder, durchgeführt hat.

Ingrid Paus-Hasebrink ist Vizedekanin der Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Salzburg. Sie hat dort am Fachbereich Kommunikationswissenschaft eine Professur für Audiovisuelle Kommunikation inne und leitet den Kompetenzbereich Audiovisuelle Kommunikation und Onlinekommunikation.

ORF.at: Kann man Kinder und Jugendliche eigentlich als einheitliche Gruppe betrachten, wenn es um Medienkompetenz geht?

Ingrid Paus-Hasebrink: Nein, da muss man sehr stark trennen, weil die Umgangsweisen mit Medien sehr viel mit dem Alter, mit dem Geschlecht, dem formalen Bildungsgrad und den lebensweltlichen Hintergründen von Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Deswegen kann man nie von den Kindern und den Jugendlichen sprechen. Die empirischen Studien, die ich durchgeführt habe, zeigen sogar sehr unterschiedliche Umgangsweisen. In der Studie zum Heranwachsen mit dem Social Web habe ich etwa sechs Handlungstypen generieren können, die deutlich machen, wie unterschiedlich junge Menschen mit Social-Web-Angeboten umgehen.

ORF.at: Wie unterscheiden sich diese Handlungstypen voneinander?

Paus-Hasebrink: Ein Handlungstypus besteht aus sehr neugierigen, selbstbewussten Jugendlichen, bei denen Bildung keine entscheidende Rolle spielt. Diese gehen kreativ mit den Social-Web-Angeboten um, drehen eigene Videos und spüren Websites auf, die gegen diverse Richtlinien verstoßen. Ein zwölfjähriger Junge etwa meldet rechtsextreme Inhalte beim Betreiber und setzt sich dafür ein, dass diese aus dem Netz genommen werden. Ein anderer Typus besteht hauptsächlich aus jungen Mädchen, die auch sehr initiativ mit den Social-Web-Angeboten umgehen und eigene Gruppen gründen. Dennoch bleibt die Nutzung sehr konventionell, es kommt ihnen vor allem drauf an, Beziehungen aufzubauen. Dieser Typus ist eher formal höher gebildet, kritisch und informiert sich auch, wie es um den Datenschutz steht. Zu einem breiten Typus gehören sogenannte Mitläufer, die einfach dabei sein wollen. Diese stammen aus verschiedenen Bildungsschichten und sind eher weniger aktiv. Dann gibt es noch einen Typus, der vorwiegend aus männlichen Jugendlichen besteht, die Probleme in ihrer Lebenswelt haben. Diese sind meist Opfer und Täter von Mobbing, und da zeigt sich, dass das Social Web in erster Linie dazu dient, eine Art Kompensationshilfe für Probleme im Alltag zu sein.

ORF.at: Sie sprechen von einer breiten Gruppe, die einfach "dabei sein" möchte. Können sich Kinder und Jugendliche diesem Trend eigentlich noch verweigern?

Paus-Hasebrink: Natürlich kann man sich abkoppeln. In unserer Studie waren es elf Prozent, die Social-Web-Angebote nicht nutzen – und die leben auch.

ORF.at: Dann haben Sie noch eine Gruppe von Jugendlichen erwähnt, die im Social Web versuchen, ihre Alltagsprobleme zu kompensieren.

Paus-Hasebrink: In meiner Langzeitstudie zur Mediensozialisation bei sozial benachteiligten Kindern zeigt sich, dass die Eltern in so einem Fall keine Hilfestellung geben können, weil sie mit eigenen Problemen überlastet sind. Die Studie geht bereits über fünf Jahre, die Kinder sind jetzt elf Jahre alt. Sie holen sich ihre Orientierung fast ausschließlich aus Medienangeboten. Hier müssen Schulen und vor allem Lehrer helfen, diese Kinder in ihrer Sozialisation zu unterstützen.

ORF.at: Laut der vorliegenden Kinderstudie sind es aber vorwiegend die Eltern, die ihren Kindern Hilfestellungen zur Internetnutzung geben. Sie plädieren also dafür, die Schule stärker in die Verantwortung zu nehmen?

Paus-Hasebrink: Ja. Die Schule muss heutzutage zwar vieles leisten, aber sie ist auch ein wichtiger Teil der Lebenswelt. Schüler dürfen nicht an den Rand geraten. Die Schule muss hier in einer Art und Weise helfen, die Freude macht. Es sollen nicht nur Medien als Techniken eingesetzt werden, sondern diese auch selbst zum Thema gemacht werden. Es bedarf hier einer Brücke zwischen Lebensfeld und Schule. Man soll etwa Wikis zur Unterstützung von Lehrthemen einsetzen, aber auch über die Vorlieben der Kinder sprechen und neue Medien zur Gestaltung von ihnen gewählten Themen heranziehen. Dadurch steigt auch die Lernmotivation der Schüler. Dazu wäre freilich ein Projektunterricht sinnvoll, und dieser muss von den Lehrplänen her gewollt sein. Auch die Lehrer brauchen dazu eine entsprechende Unterstützung.

ORF.at: Was meinen Sie mit entsprechender Unterstützung?

Paus-Hasebrink: Weiterbildende Workshops, die Lehrern helfen sollen, nicht wie Ochsen vorm Berg zu stehen. Schüler können ja technisch viel mehr.

ORF.at: Sollte Medienerziehung Ihrer Meinung nach ein eigenes Schulfach sein?

Paus-Hasebrink: Medien sind ein Teil der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen. Daher halte ich es für klug, diese nicht zu gettoisieren und in Unterrichtsfächern, in denen es sinnvoll erscheint, als Teil vom Unterricht einzusetzen. Das kann man im Philosophieunterricht ebenso machen wie im Französischunterricht. Hier könnte man etwa mit französischsprachigen Schülern über Facebook Kontakt halten.

ORF.at: Man kann aber niemanden dazu verpflichten, sich auf Facebook zu registrieren. Wäre es nicht sinnvoller, das in einem unabhängigen oder schulspezifischen Netzwerk einzurichten?

Paus-Hasebrink: Das soll natürlich auf keinen Fall verpflichtend sein, sondern ein Angebot, das Freude macht. Ein unabhängiges Netzwerk ist vielleicht für jüngere Kinder interessant, damit sie üben und reinkommen können, aber das ist wie mit dem Fahrradfahren. Wir können auch nicht ewig nur im kleinen Hof herumfahren, wir müssen schon auf die Straße.

ORF.at: Ab welchem Alter würden Sie eine generelle Förderung von Medienkompetenz empfehlen?

Paus-Hasebrink: Die muss bereits im Kindergarten anfangen. Medien sind so tief in den Alltag eingedrungen, dass schon Kinder im Kindergartenalter das Internet nutzen und - sehr vereinzelt - auch schon das Social Web. Daher ist es wichtig, das auch früh zum Thema zu machen.

ORF.at: Glauben Sie, dass Soziale Netzwerke ein Teil des Webs bleiben oder ob sie nur ein vorübergehendes Phänomen sind?

Paus-Hasebrink: Das Social Web wird kein vorübergehendes Phänomen sein, weil sich da auf eine ungeahnte Art und Weise Massenkommunikation und Individualkommunikation miteinander treffen können. Soziale Netzwerke werden Teil unseres Alltags sein. Wir haben auch in anderen Bereichen Regeln entwickelt, wie wir damit umgehen. Dieser bedarf es auch bei diesen Netzwerken.

ORF.at: Sie sprechen sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Medien und dem Social Web aus. Wie sieht dieser Ihrer Meinung nach aus?

Paus-Hasebrink: Ein verantwortungsvoller Umgang wäre es, wenn jemand selbstbewusst, aber auch sehr kritisch mit Social-Web-Angeboten umgeht. Das heißt, dass er auch wirklich reflektiert, was dabei passiert, dass er sich bewusst ist über Chancen und Risiken. Man kann die Chancen nicht nutzen, wenn man die Risiken nicht in gewisser Weise in Kauf nimmt. Das ist aneinandergekoppelt. Wir können nicht alle Risiken außen vor halten.

ORF.at: Was sind Ihrer Meinung nach die größten Gefahren für Jugendliche in Sozialen Netzwerken?

Paus-Hasebrink: Jugendliche unterschätzen die Zeit, mit der sie an die Sache herangehen und verlieren sich dabei. Ein zweites Risiko ist die Datensicherheit. Viele agieren nach dem Motto: "Ich stell da mal was rein, so schlimm wird es schon nicht sein." Doch das ist es, das Internet vergisst nichts. Natürlich gibt es auch Risiken durch Mobbing und sexuelle Annäherungsversuche durch Erwachsene, doch diese sind nicht so extrem, wie man uns oft glauben machen will. Hier sind die Betreiber der Plattformen gefordert, der Verbraucherschutz muss greifen. SchülerVZ und Facebook haben sich darum zu kümmern, dass Beschwerden ernst genommen werden.

ORF.at: In manchen Netzwerken ist es Pflicht, sich mit dem echten Namen zu registrieren. Finden Sie das gut?

Paus-Hasebrink: Ich finde es ganz wichtig, dass es geschützte Räume für Jugendliche gibt, in denen sie eine Community aufbauen können, die ihre eigene ist und in der Leute, die nicht dazugehören, keinen Zugang haben. In so einer geschlossenen Gemeinschaft kann man sich ruhig mit dem echten Namen registrieren.

ORF.at: Ein Netzwerk, bei dem die Jugendlichen unter sich bleiben, ist zwar eine gute Idee, aber viele wollen, wie Sie bereits angesprochen haben, vorwiegend dabei sein - und die größte Community hierzulande ist Facebook.

Paus-Hasebrink: Hier liegt die Verantwortung der Betreiber, dass junge Menschen so gut wie möglich ihren Interessen nachkommen können und dass dabei mit den Daten sorgfältig umgegangen wird. Datenskandale wie etwa bei schülerVZ dürfen nicht stattfinden, hier darf man die Anbieter nicht aus ihrer Verantwortung entlassen.

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(futurezone/Barbara Wimmer)