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Echelon und die SWIFT-Treuhänder

KONTROLLE
12.07.2010

Zwischen dem US-Überwachungssystem Echelon und dem jüngst verabschiedeten SWIFT-Abkommen gibt es einen Zusammenhang. Überwacht wurde der Umgang der US-Finanzfahnder mit den europäischen Daten von der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton, die ihrerseits enge Kontakte zu US-Geheimdienstkreisen unterhält.

"Ja, liebe kontinentaleuropäische Freunde, wir haben euch ausspioniert. Es stimmt auch, dass wir Computer benützen, um die Daten nach Stichworten zu durchsuchen (...) Wir haben euch ausspioniert, weil ihr bestecht. Die Produkte eurer Firmen sind sehr oft teurer und/oder technisch weniger ausgereift, als die eurer amerikanischen Mitbewerber. Deshalb müsst ihr viel Schmiergeld zahlen", so schrieb der ehemalige CIA-Direktor James Woolsey in einem aufsehenerregenden Gastkommentar für das "Wall Street Journal" im März 2000.

In diesen ersten Monaten des neuen Jahrtausends strebte die Auseinandersetzung zwischen den USA und Europa um das weltumspannende Überwachungssystem Echelon ihrem Höhepunkt zu. Im Auftrag des EU-Büros für Technikfolgenabschätzung (STOA) arbeitete der schottische Journalist Duncan Campbell, der bereits 1988 einen ersten Artikel über Echelon in der britischen Tageszeitung "Guardian" verfasst hatte, an einem neuen Bericht über die Aktivitäten des militärischen Netzes.

Den Boden dafür hatten eine vierteilige STOA-Berichtsserie 1999 und eine Reihe medialer Paukenschläge bereitet, deren lautester aus Australien kam. Am 24. Mai 1999 war Martin Brady, Direktor des australischen Geheimdienstes Defence Signals Directorate (DSD), vor die Kameras des australischen Senders Channel 9 getreten und hatte mitgeteilt, dass seine Organisation mit anderen "Signals Intelligence"-Organisationen im Rahmen des UKUSA-Vertrags systematisch abgefangene Daten austausche.

Die frühen Jahre, Serie Teil 1

Die von den Militärgeheimdiensten der USA und Großbritanniens Ende Juni veröffentlichten Dokumente zur Gründung des weltumspannenden Funküberwachungssystems UKUSA 1956 offenbaren tiefe Einsichten in das bis heute bestehende "besondere Verhältnis" der beiden Staaten. UKUSA ist rein bilateral, nur gegenseitige Wirtschaftsspionage ist ausgeschlossen.

Unzufriedenheit "down under"

Das war die erste offizielle Bestätigung der Existenz der UKUSA-Verträge und des Überwachungssystems Echelon, und es ist kein Wunder, dass sie ausgerechnet aus "down under" kam. In Australien und Neuseeland waren die Geheimdienste mit der Informationspolitik der Briten und Amerikaner seit jeher unzufrieden.

Beide Staaten lieferten laufend wichtige Informationen über Indien, China und ganz ?üdostasien, waren aber von deren Auswertung ausgeschlossen und erhielten nur dann ausgesuchte Resultate, wenn das die Hauptbeteiligten National Security Agency (NSA; USA) und Government Communications Headquarters (GCHQ; UK) als "relevant" erachteten.

Im Sommer 1999 löste Campbell eine heftige diplomatische Verstimmung zwischen Großbritannien und Irland aus. Von einem Kran aus filmten Campbell und ein Kameramann in den Kontrollraum eines militärischen Überwachungsturms, der als "Man in the Middle" eine zivile Richtfunkverbindung von England nach Irland überwachte.

Aufdecker Nicky Hager

Die weitaus wichtigsten Informationen aber stammten aus "down under", denn ins Rollen gebracht hatte sämtliche STOA-Berichte und den darauf folgenden Untersuchungssauschuss des EU-Parlaments ein Buch des austro-neuseeländischen Journalisten Nicky Hager.

Der Publikation von "Secret Power - Neuseelands Rolle im internationalen Spionagenetzwerk" im Jahre 1996 waren zwölf Jahre Recherche vorausgegangen. Er sei durch einen Zufall darauf gekommen, als er 1984 mit Freunden den Antennenpark von Tangimoana besichtigt hatte, sagte Hager im Sommer 2000 zu ORF.at .

"Da uns keiner verjagt hat, haben wir uns umgesehen", sagte Hager. Neigung und Ausrichtung der Antennen sowie sämtliche Autokennzeichen wurden bei mehreren Besuchen notiert. Die Wagen gehörten allesamt Militärs, die mit Namen und Dienstrang zusammen mit 80 anderen einer obskuren Abteilung des Verteidigungsministeriums zugeordnet waren.

Abgleich von Listen

Diese Informationen stammten aus einer öffentlichen Quelle, dem voluminösen, jährlich erscheinenden Verzeichnis aller neuseeländischen Staatsangestellten. Und dort fand Hager auch "einen lachhaft einfachen Weg, die Spione unter den Militärs herauszusuchen".

Er glich ein offizielles Telefonverzeichnis des neuseeländischen Verteidigungsministeriums mit den Listen öffentlich Bediensteter ab, sämtliche Angehörige des bis dahin unbekannten Geheimdienstes Government Communications Security Bureau (GCSB) waren in den Listen ausgewiesen, fehlten jedoch im Telefonverzeichnis.

Kurzwelle und Telex, Serie Teil 2

Der in den 1970er Jahren begonnene Umstieg von Kurzwellen- auf Satellitenkommunikation verstärkte die Dominanz des Echelonsystems zu dieser Zeit. Die sozusagen "free on air" übertragenen Telefonate via Satellit stellten wie auch der Telexdatenverkehr kein technisches Problem dar. Dem rasanten Anstieg der Weltkommunikation kam der Umstand entgegen, dass es bereits die ersten Rechner gab, die automatische Auswertungen fahren konnten.

Durch Abgleich mit Verzeichnissen älteren Jahrgangs gelang Hager nicht nur ein komplettes Organigramm des GCSB, er konnte auch dessen personelle und historische Entwicklung über die Jahre verfolgen. Zwischen 1980 und 1989 war ein regelrechter Personalschub von 80 auf 240 Mitarbeiter zu verzeichnen, der mit dem Bau der beiden Echelonstationen Tangimoana und Waihopai zusammenfiel.

6. Juli 2000

Mit einer ähnlichen "Re-Engineering"-Methode fand Hager nicht nur heraus, dass die beiden neuseeländischen Stationen die zivilen Intelsats überwachten, anhand der Positionen der übrigen zivilen Kommunikationssatelliten rund um den Äquator fand Hager im Alleingang die mutmaßlichen Positionen der meisten bis dahin unbekannten Echelonbodenstationen heraus.

Als Reaktion auf Campells Report, dem Hagers zwölfjährige Recherchearbeit zugrunde lag, setzte das EU-Parlament am 6. Juli 2000 einen Untersuchungsausschuss ein, der mehr einem Epilog gleichkam, denn 54 Jahre nach der Unterzeichnung waren die UKUSA-Verträge und Echelon endlich öffentlich.

Zu diesem Zeitpunkt hatte das globale Überwachungssystem bereits signifikant an Bedeutung verloren, denn mit dem Aufstieg des Internets hatte sich die zivile Weltkommunikation verlagert. Immer weniger der begehrten Informationen konnten von außen abgefangen werden, in den Kommunikationsnetzen aber gab es sie nicht nur in Fülle, sondern bereits so angeordnet, dass erstmals vollautomatische Auswertung möglich war.

Was die Geheimdienste brauchten, war Zugang zu den Netzen über definierte Schnittstellen, und die gab es da bereits. Erstellt und weiterentwickelt wurden und werden sie in Standardisierungsgremien wie dem europäischen ETSI zum Zweck der Strafverfolgung für die Polizei.

Die SWIFT-Treuhänder

James Woolsey, der von 1993 bis 1995 CIA-Direktor gewesen war, stieg bald nach seinen starken Worten zum Thema Wirtschaftsspionage als Vizepräsident bei der Beratungsfirma Booz Allen Hamilton ein. 2002 traf er dort auf Mike McConnell, der als NSA-Direktor von 1992 bis 1996 für das operative Funktionieren des Echelonsystems verantwortlich gewesen war, während Woolsey damals die Distribution der abgefangenen und ausgewerteten Informationen an die übrige "Intelligence Community" oblag.

In den Normierungsgruppen für "Lawful Interception" des European Telecom Standards Institute wirken Agenten des GCHQ sowie der US-Militärgeheimdienste federführend mit.

Genau um diese Zeit hatten die USA unter Androhung der Beschlagnahme des New Yorker Datenzentrums damit begonnen, von der internationalen Finanztransferzentrale SWIFT laufend und systematisch umfangreiche Datensätze abzuzapfen. Booz Allen Hamilton aber wurden engagiert, um diese Datentransfers an die US-Geheimdienste sozusagen als Treuhänder zu überwachen.

Als McConnell 2007 von George W. Bush zum obersten Geheimdienstkoordinator berufen wurde, sagte er in seiner Antrittsrede, dass er trotz seines Abgangs als NSA-Direktor zehn Jahre davor, die "Intelligence Community" in mehrfacher Hinsicht eigentlich nie verlassen habe.

2009 kehrte McConnell zu Booz Allen Hamilton zurück, auch Woolsey ist dort noch als Berater tätig, laut "Wall Street Journal" gelten die beiden als Umsatzbringer.

Am vergangenen Donnerstag ist das neue SWIFT-Abkommen im EU-Parlament voraussichtlich verabschiedet. Laut ORF.at vorliegenden Informationen ist zu erwarten, dass Booz Allen Hamilton erneut damit beauftragt wird, "Audits" durchzuführen, um Wirtschaftsspionage in europäischen Finanzdaten zu verhindern.

Auf Anfrage von ORF.at war seitens von SWIFT zu erfahren, dass dem Unternehmen keine Informationen über Veränderungen bezüglich des mit den "Audits" bisher befassten Beratungsunternehmens vorlägen. Eine Anfrage bei Booz Allen Hamilton wurde so beantwortet: "Wir äußern uns generell nicht über die Spezifika der Arbeit für unsere Kunden."

Epilog: Überwachung einmal umgekehrt

In Ergänzung zu Waihopai, von wo aus Satellitenüberwachung betrieben wurde, scannte bis 1993 die (ältere) Schwesterstation Irirangi den gesamten Kurzwellenverkehr bis weit hinauf nach Indonesien und China für das Echelonsystem.

2008 schlitzten drei neuseeländische Friedensaktivisten - darunter ein Dominikanerpater - ein Tragluftradom der Station Waihopai mit Sicheln auf, so dass die darunter befindliche Parabolantenne sichtbar wurde. 1996 und 1999 war Hager zweimal mit Fernsehteams in Waihopai eingedrungen und hatte durch die Fenster in die Auswertungszentrale gefilmt.

Dazu fungierte die Naval Communications Station Irirangi als eine der Leitfunkstellen der New Zealand Navy. Wenn man als Kurzwellenjäger ("Dxer") Funksprüche einer derartigen Station abgefangen - was nicht eben alltäglich war - und die Station aufgrund von Rufzeichen- und Frequenzlisten identifiziert hatte, dann gab es nur einen Weg, um eventuell an eine der begehrten Bestätigungskarten oder -briefe (QSLs) zu kommen.

Der Empfangsbericht durfte sich nur auf die ID-Schleifen beziehen, bei denen nicht viel mehr als das Rufzeichen der Station gesendet wurde. Ein internationaler Antwortschein für Rückporto und ein paar beigelegte Sondermarken waren hilfreich, am wichtigsten aber war, mit dem Report den Eindruck zu erwecken, dass man selbst ausgebildeter Fernmeldetechniker sei. Unter denen war dasselbe Hobby sehr verbreitet, offenbar gehörte auch Chief Petty Officer J. A. Dell dazu.

Abgefangen wurden die Morsefunksprüche mit einem Kommunikationsempfänger des Typs Barlow Wadley XCR-30 und einer einfachen Zehn-Meter-Drahtantenne.

(futurezone/Erich Moechel)