Games: Die Tücken der Gratiskultur
Die Gratiskultur setzt sich in der Spielebranche fest: Immer mehr Spiele sind gratis nutzbar. Nur wer schneller aufsteigen will, muss zahlen. Vor allem über das Soziale Netzwerk Facebook lernen immer mehr Nutzer dieses Geschäftsmodell kennen und schätzen. Doch es gibt auch Kritik: "Manche Facebook-Games sind wie Spam", sagte etwa der renommierte Spieleentwickler Richard Bartle.
Bei der zur Fachmesse geschrumpften Games Convention Online (GCO) in Leipzig dreht sich auch dieses Jahr, dem Titel entsprechend, alles um das Thema Online- und Mobile-Games. Neben klassischem Business-Networking ging es in den Vorträgen und Diskussionsrunden am ersten Messetag auch um die Zukunft der Branche. Sie wird allgemein als rosig bezeichnet.
Kostenlos statt hohen Einstiegspreises
Glaubt man den diversen Anbietern und Analysten, wächst der Online-Markt, dazu zählen Client- und Browser-basierte Spiele, weiter im zweistelligen Prozentbereich. Das ist einerseits der breiten Verfügbarkeit von Inhalten, Zugängen und dem steigenden Interesse an digitalen Spielen geschuldet, aber auch der Tatsache, dass viele der Spiele nichts kosten.
Statt 60, 80 oder mehr Euro für ein Spiel auszugeben, können Nutzer im Netz zum Teil sehr aufwendige Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPG) und MMOGs aus den Bereichen Sport bis Fantasy grundsätzlich kostenlos spielen. Erst wenn sie neue oder zusätzliche Gegenstände, oft als Teil eines höheren Levels, besitzen, aber nicht erspielen wollen, müssen sie zahlen.
Ein Fünftel zahlt für Inhalte
Der deutsche Anbieter Gamigo, 2008 vom Axel Springer Verlag übernommen, bietet solche Client-basierte Online-Spiele mit Micropayments an. "20 Prozent der User zahlen für zusätzliche Inhalte, nach durchschnittlich sechs bis acht Wochen Spielzeit kaufen sie die ersten Gegenstände", erklärt Gamigos Marketing-Chef Volker Dressler. Bis zu einem Jahr sei der Kunde bereit, für zusätzliche Inhalte zu zahlen, dann sei Schluss. Auch die nicht zahlenden Kunden seien für Gamigo wichtig: "Gerade MMOGs brauchen eine rege Beteiligung, sonst machen sie allen Beteiligten keinen Spaß."
Dressler glaubt, dass der Free-to-Play-Markt in den kommenden Jahren noch wachsen wird: "Das ist der Trend." Wenig überraschend ist sich Dressler sicher, dass vor allem der Client-basierte Markt wächst, während Browser-Games zwar weiter existieren, aber nicht in dem Umfang zulegen werden. Allerdings haben die Browser-basierten Games bereits eine hohe Nutzerzahl, die sie auch brauchen, da hier nur durchschnittlich fünf Prozent aller Nutzer für zusätzliche Inhalte zahlen. Auf das Soziale Netzwerk Facebook setzt Dressler nur als Kommunikationsweg, der Erfolg eines Spiels sei dort schwer zu steuern.
Rasante Wachstumsraten bei Facebook-Spielen
Laut Achim Himmelreich, Analyst bei Mücke, Sturm & Company GmbH, sind derzeit 30 bis 40 Prozent aller Facebook-Nutzer Gamer, die Wachstumsrate liegt demnach bei 35 Prozent und soll bis 2015 auf rund zehn Prozent abfallen. Wenn zwei (konservativ geschätzt) bis vier Prozent (optimistisch geschätzt) dieser Nutzer in den Spielen etwas kaufen, ergibt das laut Himmelreichs Berechnungen bis 2015 einen Umsatz zwischen 1,52 und 3,91 Milliarden Euro. Kein Wunder, wenn da bei vielen Entwicklern zumindest in Gedanken die Kassen heftig klingeln.
Bartle arbeitet weiterhin als Spieledesigner und lehrt Game-Design an der Universität Essex.
"Das ist wie schummeln"
Bei allem Optimismus gibt es auch Kritik an dem System der Micropayments: "Für echte Gamer ist das keine Option - für sie ist das wie cheaten, also schummeln", meint Richard Bartle, als Mitentwickler von MUD ein Pionier im Bereich der MMORPGs. Die Hardcore-Gamer fühlen sich zudem laut Bartle von den für sie unattraktiven Angeboten überrollt und von der Industrie vernachlässigt. Viele sind der Meinung, dass es der Industrie nur um den kurzfristigen Profit als um das Medium Spiel selbst geht. Entsprechend negativ sind viele "echte" Gamer den Genres Casual und Social Games gegenüber eingestellt.
Bartle selbst spielt laut eigenen Aussagen gerne und immer wieder vor allem ältere Spiele, da diese meist ein besseres Gameplay als viele neue Spiele bieten würden - und das gelte auch für Social Games: "Aktuelle Facebook-Games sind wie Geldautomaten im Casino. Auf Dauer werden sie keine Zukunft haben", ist sich Bartle sicher. "Manche Facebook-Games sind außerdem wie Spam", so Bartle über deren teilweise schlampige Implementierung.
Facebook-Games als emotionsloser Zeitvertreib
Bartles Ansicht wird durch eine qualitative Untersuchung der Game Research Lab am Departement of Innovation Studies and Interactive Mediader Universität von Tampere in Finnland gestützt. Demnach sehen die Nutzer Spiele auf Facebook nicht als Games im eigentlichen Sinn an, da sie ihnen zu einfach sind - das gilt allerdings vor allem für erfahrene Spieler. Neueinsteiger hingegen sind begeistert, weil die Lernkurve meist sehr niedrig ist und der Einstieg einfacher.
Abgesehen von wenigen besonders enthusiastischen Anhängern ziehen Spiele auf Facebook die Nutzer laut der Umfrage auch wenig bis gar nicht in ihren Bann: "Facebook-Games sind wie Kreuzworträtsel", sagte etwa ein Teilnehmer. Das bedeutet, dass diese Spiele oft spontan und nebenbei gespielt werden können - wobei sich ihre Nutzer aber nicht als Spieler im eigentlichen Sinn sehen. Meldungen der Spiele in ihrem Newsfeed empfinden die Befragten zudem als Spam und manch einer geniert sich, wenn Statusmeldungen aus Spielen in seiner Timeline auftauchen.
Was nichts kostet, ist den Spielern kaum etwas wert
Meist zählen für die Befragten bei Facebook-Spielen vor allem der Entspannungsfaktor und der soziale Aspekt, dafür fehlt vielen die längerfristige Herausforderung. Im Gegenzug sind die Spieler dann oft oder gar nicht bereit, für Spiele zu zahlen - wird ein Spiel kostenpflichtig, wechseln sie einfach zum nächsten. Angebote gibt es genug, da sie meist nicht mit dem Herzen an einem Spiel hängen, fällt ihnen das Wechseln entsprechend leicht.
Laut Dressel von Gamigo müssen kostenlose Spiele gerade durch die starke Konkurrenz eine besonders hohe Qualität haben: "Free-to-Play muss sich noch mehr beweisen, denn nebenan gibt es das nächste Spiel." Zu Beginn habe die Branche darauf nicht genügend geachtet, da habe es genügt, wenn von zehn Spielen zwei erfolgreich waren. Heute würden die Anbieter viel mehr auch auf ihren Ruf achten - nicht zuletzt beim Support. Außerdem sei die Balance wichtig, die Nutzer müssten auch ohne Geld zu investieren vorankommen. Bei der Befragung der Universität Tampere wurde hingegen deutlich, dass die Nutzer bei den kostenlosen Spielen auf Facebook gegenüber toleranter sind und Fehler dort eher verzeihen.
Getrennte Spielerwelten
Bartle glaubt, dass die unterschiedlichen Geschäftsmodelle auf lange Sicht zusammenwachsen werden: "Es wird alles geben: Subcription-Modell, genauso wie Free-to-Play und andere Möglichkeiten, wie etwa Werbung. Es gibt es breites Spektrum."
Weniger breit sei das Spektrum hingegen bei den angebotenen Spielen selbst: "Im Moment schauen alle MMOGs irgendwie gleich aus", beschwert sich Bartle über die mangelnde Liebe zum Gameplay und durch wirtschaftliche Zwänge verhinderte Innovationen auf dem Spielemarkt. Für die Spiele selbst ist das Free-to-Play-Modell laut Bartle zudem nicht optimal, die Lebensspanne der Spiele werde dadurch immer kürzer - Spiele verkommen zum reinen Konsumationsprodukt, immer öfter als Pausensnack zwischendurch.
Auftrieb für Gameplay
Die Gruppen der Gelegenheitsspieler und der Hardcore-Gamer werden laut Bartle nicht zusammenfinden: "Diese Welten sind nur schwer zu vereinen." Es gebe allerdings einen Austausch, so würden geübte Gelegenheitsspieler in die Liga der Hardcore-Gamer wechseln und umgekehrt - je nach Möglichkeit im jeweiligen Lebensabschnitt.
Auf lange Sicht werde auch das Gameplay wieder wichtiger, so Bartle, vor allem wenn die nun von den vielen Online-Möglichkeiten zum Teil überforderten Nutzer (mehr) Wert auf hochwertigere Inhalte legen. "In 15 Jahren werden die Leute sich wundern, warum 'World of Warcraft' und 'Ultima Online' einmal als tolle Spiele bezeichnet wurden."
(futurezone/Nadja Igler)