ACTA: Käse statt Transparenz
EU-Handelskommissar Karel de Gucht hat sich bei einer Anhörung vor EU-Parlamentariern am Dienstag einmal mehr geweigert, den aktuellen Text des Anti-Piraterie-Abkommens ACTA offenzulegen. Er kann sich auch EU-weite Regeln für Internet-Sperren vorstellen. Kein Verständnis hat De Gucht dagegen für Unterhändler, die sich weigern, EU-Regionalbezeichnungen für Lebensmittel als schützenswerte Marken anzuerkennen.
"Es gibt noch zahlreiche Unstimmigkeiten bei ACTA", so De Gucht, "die meisten Verhandlungspartner wollen nur das Copyright und Handelsmarken schützen, aber sie wollen keinen Schutz für geografische Bezeichnungen. Dies ist für die EU nicht akzeptabel."
Laut De Gucht gehe es darum, in der EU geschützte Bezeichnungen wie Parmaschinken und Parmesan den gleichen Schutz angedeihen zu lassen wie Modelabels, beispielsweise Gucci oder Prada. Er werde sich mit dem US-Handelsbeauftragten Ron Kirk in dieser Frage noch zusammensetzen, so De Gucht, der sich zu der Aussage hinreißen ließ, er sehe hier "Heuchelei" bei einigen Verhandlungspartnern.
Text bleibt geheim
Wie der US-Fachnachrichtendienst IDG am Dienstag berichtet hat, wischte De Gucht Bedenken der EU-Parlamentarier, dass ACTA die Bürgerrechte weiter einschränken könnte, dagegen schnell zur Seite. Auf die Frage der grünen Abgeordneten Franziska Keller, wie man eine Folgenabschätzung von ACTA durchführen solle, ohne den Text des Abkommens zu kennen, wollte De Gucht erst gar keinen Kommentar abgeben.
Das EU-Parlament hatte bereits Anfang des Jahres eine Resolution verabschiedet, in der es die Offenlegung der Verhandlungen forderte. Die ACTA-Verhandler kamen dieser Aufforderung dann überraschenderweise auch nach. Bei den jüngsten Verhandlungen in Luzern jedoch legte mindestens eine Delegation ein Veto gegen die Veröffentlichung des Textes ein. Dies genügte, um wieder den Mantel des Schweigens über ACTA auszubreiten.
De Gucht denkt über "Three Strikes" nach
Kritiker werfen den ACTA-Unterhändlern vor, drastische Maßnahmen wie iPod-Kontrollen an Grenzen oder die inhaltliche Verantwortung der Provider für den Datenverkehr in ihren Netzwerken durchsetzen zu wollen, ohne dafür überhaupt belastbares Datenmaterial über den Ausmaß der Schäden von Medienpiraterie konsultiert zu haben. Zumindest die Haftung der Provider für die Inhalte in ihren Netzen würde gegen geltendes EU-Recht verstoßen. Die Kommission hat bisher stets behauptet, dass ACTA keine Änderungen am Recht der Union mit sich bringen würde.
Auf Anfrage des sozialdemokratischen Abgeordneten Stavros Lambrinides hin sagte De Gucht, dass ACTA die EU-Mitgliedsstaaten nicht dazu zwingen würde, Internet-Sperren gegen Urheberrechtsverletzer nach dem "Three Strikes"-Muster einzuführen. Staaten, die entsprechende Gesetze einführen wollten, könnten dies bereits tun. IDG zitiert De Gucht mit der Aussage, dass die EU sehr wohl auch eine unionsweite "Three Strikes"-Regelung einführen könne.
ACTA wird derzeit hinter verschlossenen Türen zwischen EU, USA und weiteren Industriestaaten ausgehandelt. Die nächste Verhandlungsrunde wird Ende Juli in der US-Hauptstadt Washington durchgeführt. De Gucht erwartet keinen Durchbruch bei den Verhandlungen vor September.
(futurezone/Reuters)