© Fotolia/Sven Hoppe, Fahnen die im Wind wehen, ganz vorne die EU-Flagge

"Vorratsdaten": Die EU als Fleckerlteppich

ANALYSE
16.07.2010

Vier Jahre nach ihrer Verabschiedung wird die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von der EU-Kommission evaluiert. Statt der angepeilten EU-weiten "Harmonisierung" hat die Richtlinie dazu geführt, dass von Land zu Land völlig unterschiedliche Speicherpflichten zwischen null und 24 Monaten herrschen. Ebenso uneinheitlich ist der Kostenersatz für die Netzbetreiber europaweit geregelt.

Selten noch hat eine Richtlinie die selbst gesteckten Ziele so spektakulär verfehlt wie jene zur verpflichtenden verdachtsunabhängigen Speicherung von Verkehrs- und Standortdaten aus Telefonienetzen und dem Internet (Data Retention; 2006/24/EG). Statt der angepeilten EU-weiten Vereinheitlichung von Speicherfristen sieht Europa im Juli 2010 wie ein Fleckerlteppich aus, was Art und Umsetzung der Richtlinie betrifft.

Deren Verabschiedung erfolgte 2006 in der "ersten Säule", ?ie dient also erklärtermaßen in erster Linie der Harmonisierung des Binnenmarkts. Auch der Europäische Gerichtshof hatte dies bei seiner Grundsatzentscheidung im Jahr 2009 nochmals betont. Geklagt hatte die Republik Irland, deren damalige Regierung auf einer Speicherdauer von zumindest drei Jahren bestanden hatte.

Die ursprünglichen Ziele

Die Richtlinie berühre zwar Kompetenzbereiche der "dritten Säule" (Justiz und Strafverfolgung) der Union, diene aber primär dem Funktionieren des Binnenmarkts, hieß es in der Urteilsbegründung.

"Gescheitert"

Als Auftakt dazu haben die Vertreter der nationalen Datenschutzbehörden in der EU am Donnerstag einen Bericht vorgelegt. Das Ergebnis: Einzelne EU-Staaten erfassen mehr Kommunikationsdaten ihrer Bürger, als sie eigentlich sammeln dürften. Die Richtlinie sei als Instrument der Harmonisierung des EU-Binnenmarktes gescheitert.

Die Richtlinie sollte verhindern, dass die Nationalstaaten voneinander abweichende bzw. inkompatible Speichermechanismen mit unterschiedlichen Aufbewahrungsfristen implementieren. Da beides für die Industrie beträchtliche Kostenfaktoren darstellen würde, war es die erklärte Intention der Kommission gewesen, hier gleiche Voraussetzungen für alle europäischen Telekomkonzerne zu schaffen.

Ein Rundblick über die europäische "Implementationslandschaft" zeigt: Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat bis jetzt alles andere als eine Harmonisierung bewirkt. Von "Ausreißern" wie Irland und Frankreich abgesehen, die bereits kurz nach der Jahrtausendwende fünf- bzw. dreijährige Speicherfristen für die Verbindungsdaten aller Bürger einführen wollten, waren die Fristen mit rund drei Monaten in den meisten anderen europäischen Staaten weitgehend einheitlich gewesen.

Abgelehnt, klargestellt

Der EU-Gerichtshof in Luxemburg hatte im März 2009 sein Urteil in der Klage der Republik Irland gegen die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung getroffen. Klargestellt wurde, dass sich der Spruch ausschließlich auf die Wahl der Rechtsgrundlage bezieht. Eine eventuelle Verletzung der Grundrechte als Folge der mit der Richtlinie verbundenen Eingriffen in das Recht auf Privatsphäre wurde nicht untersucht.

Dieser Zeitraum orientierte sich an der Verfügbarkeit der Daten in den Abrechnungssystemen der Telekoms, entsprach aber auch weitgehend den Bedürfnissen der Strafverfolger. Quer durch Europa fallen zwischen 80 und 90 Prozent aller Anfragen der Polizei nach Verbindungs- oder Geodaten in diese "natürliche" Speicherfrist.

Erst speichern, dann löschen

Vier Jahre nach ihrer Verabschiedung ist die Richtlinie in gut einem Drittel der EU-Mitgliedsstaaten, darunter auch in Österreich, noch nicht umgesetzt. In Deutschland, Bulgarien und Rumänien wurde die Übertragung in nationales Recht von den jeweiligen Verfassungsgerichtshöfen gestoppt. Der Grund: Die pauschale Speicherung sämtlicher Verbindungsdaten ohne konkreten Verdacht steht quer zu den Grundrechten.

Nachdem sie im Jahr davor pflichtgemäß die nötigen Datenbankstrukturen erstellt und mit der "Vorratsspeicherung" begonnen hatten, waren die deutschen Netzbetreiber ab dem Frühjahr 2010 verpflichtet, sämtliche erhobenen Daten wieder zu löschen.

Teure Datenspeicherung

In Polen und der Slowakei werden hingegen sämtliche von der Richtlinie erfassten Daten zwei Jahre lang aufbewahrt, in Lettland gelten 18 Monate, das Gros der EU-Staaten teilt sich in zwei Gruppen mit zwölf bzw. sechs Monate Speicherfrist. Dazu kommt, dass manche Staaten unterschiedliche Speicherfristen für Internet-Daten und solche aus den Telefonienetzen haben, andere wieder nicht.

Als wäre hier nicht schon mehr als genug Diversität, setzen die finanziellen Rahmenbedingungen noch eins drauf. In Großbritannien und Finnland beispielsweise, wo eine Rückvergütung für die Netzbetreiber vorgesehen ist, wurden viele kleinere Anbieter von der "Vorrat?datenspeicherung ausgenommen" - weil für die Rückvergütungen nicht genug Geld im Topf ist.

Richtlinie vor dem EuGH

Auch in Österreich, wo sich die Umsetzung der Richtlinie in die Länge zieht, sollen kleinere Internet-Provider jedenfalls ausgenommen werden. Nachdem der deutsche Bundesverfassungsgerichtshof im März 2010 die Umsetzung in Deutschland für verfassungswidrig erklärt hatte, kündigte Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) an, den EuGH anrufen zu wollen. Diese Arbeit nahmen die Iren, wo der politische Wind mittlerweile in eine etwas andere Richtung bläst, als unter der überwachungswütigen Regierung von Bertie Ahearn, den Österreichern ab.

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Im Mai hatte das Höchstgericht der Republik Irland beim EuGH offiziell um eine Entscheidung ersucht, ob die anlasslose Speicherung von Telefonie- und Internet-Daten überhaupt mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der seit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags zum Primärrecht der EU zählenden Grundrechtecharta der Union vereinbar sei.

Ob angesichts dieses ziemlich komplexen Sachverhalts die Evaluation der Richtlinie bis zum geplanten Zeitpunkt Anfang September abgeschlossen werden kann, ist also fraglich. Vor welchem Dilemma dabei EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström steht und wie der Stand der Umsetzung in Österreich ist, lesen Sie im nächsten Teil der Serie.

(futurezone/Erich Moechel)