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ACTA-Vertragstext erneut durchgesickert

KONTROLLE
15.07.2010

Die französische Bürgerrechtsorganisation La Quadrature du Net hat den konsolidierten Text des umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommens Anti Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) auf seiner Website veröffentlicht. Die Unterhändler hatten sich geweigert, den Text öffentlich zu machen.

Auf dem als "EU Restricted" gekennzeichneten Dokument sind auch die Positionen der Verhandlungsparteien verzeichnet. Das Dokument spiegelt den Stand der Verhandlungen nach der jüngsten Runde in Luzern wider. Es ist mit hoher Wahrscheinlichkeit authentisch, denn seit dieser Woche können EU-Parlamentarier in einem gesicherten Leseraum das Dokument einsehen, womit es den exklusiven Kreis der Unterhändler verlassen hat. Die französischen Bürgerrechtler hatten bereits den ersten durchgesickerten ACTA-Text der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

IPods am Zoll

Aus dem Dokument geht unter anderem hervor, dass den Unterzeichnerstaaten, darunter den EU-Mitgliedern und den USA, weiterhin der Weg offensteht, am Zoll auch persönliche Datenträger durchsuchen zu lassen.

Die von der EU-Kommission immer wieder vorgebrachte "De minimis"-Regel, nach der persönliches Gepäck mit Inhalten "nicht-kommerzieller Natur" von den Kontrollen ausgenommen sein soll, ist weiterhin dadurch abgeschwächt, dass die Unterzeichnerstaaten diese Regel anwenden können, wenn sie das für richtig halten (Section 2: Border Measures). Eine Reihe von Staaten, darunter Australien, Kanada und Japan, will auch kleine private Postsendungen von den Kontrollen ausgenommen wissen.

Kriminalisierung der Endverbraucher

Was die Einführung strafrechtlicher statt zivilrechtlicher Maßnahmen gegen Menschen und Organisationen angeht, die unlizenzierte Kopien von geschütztem Material anfertigen, so tritt die EU-Delegation dafür ein, die Endverbraucher ausdrücklich davon auszunehmen, vermutlich um die "Kriminalisierung der Schulhöfe" zu verhindern.

Vermeintliche Schutzformeln wie "on a commercial scale", die weiterhin im Text stehen und den Eindruck einer Einschränkung der Maßnahmen gegen professionelle Fälscherbanden erwecken, können auch gegen Endverbraucher gerichtet werden, wie das Beispiel Deutschland zeigt, wo bereits ein Tausch von Dateien als verfolgenswerter kommerzieller Akt gilt.

Maßnahmen gegen Provider

In Abschnitt 4 geht es weiterhin um die "besonderen Maßnahmen in Bezug auf die technische Durchsetzung geistigen Eigentums in digitalen Umgebungen". Dieser Abschnitt ist zwischen den Verhandlungsparteien noch stark umstritten, wie die zahlreichen Formulierungsvorschläge belegen. Die ACTA-Verhandler wollen weiterhin die Provider beim Kampf gegen Medienpiraterie im Internet in die Pflicht nehmen. Allerdings soll es auch Ausnahmen geben. So möchte die EU, dass die Provider nicht dafür verantwortlich gemacht werden können, wenn einer ihrer Kunden einen Link auf unlizenziertes Material setzt.

Die USA wollen immer noch ihr Notice-and-Takedown-System aus dem Digital Millennium Copyright Act durchsetzen, das es Konzernen erlaubt, von ihnen geschützte Inhalte auf Zuruf von den Providern löschen zu lassen. Dieser Mechanismus wird in den USA, wie eine umfangreiche Dokumentation der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) zeigt, aber auch gerne dazu verwendet, kritische Berichterstattung über Konzerne oder Sekten zu verhindern - obwohl es in den USA mit "Fair Use" dagegen eigentlich einen starken Schutz gibt. Die Japaner drängen darauf, dass die Provider auf Zuruf der Rechteinhaber sofort die persönlichen Daten der mutmaßlichen Urheberrechtsverletzer herausgeben müssen.

Schutz für Schutzmaßnahmen

Auch die Umgehung technischer Schutzmaßnahmen (DRM) soll durch "effektive rechtliche Maßnahmen" verhindert werden. Das will die EU, wie Fußnote 53 zeigt, allerdings so verstanden wissen, dass nur Maßnahmen davon erfasst sind, die Inhalte tatsächlich wirksam schützen. Für die USA genügt bereits ein beliebiger Schutzmechanismus. Generell wird dem Schutz von DRM-Systemen in ACTA vergleichsweise viel Raum gegeben - obwohl zumindest die Musikindustrie zunehmend darauf verzichtet.

Die nächste ACTA-Verhandlungsrunde wird Ende Juli in der US-Hauptstadt Washington stattfinden.

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