Wenn das Copyright der Wirtschaft schadet
Laut einer Studie des IT-Industrieverbands CCIA erwirtschaften EU-Unternehmen jährlich rund 1,1 Billionen Euro auf Grundlage legitimer Ausnahmen von geistigen Eigentumsrechten. Der Verband spricht sich dafür aus, nicht nur diese Rechte selbst, sondern auch ihre Grenzen möglichst präzise zu definieren.
Die EU-Kommission befasst sich in ihrer "Digitalen Agenda" mit dem Urheberrecht. Bislang bestimmt die Frage der Urheberrechtsverletzungen und Produktpiraterie die Diskussion: Verbände der Unterhaltungsindustrie fordern strengere Regeln.
Mit einer Studie, die die positiven Auswirkungen von Ausnahme- und Schrankenregelungen im Urheberrecht auf Innovation und Wirtschaftsleistung untersuchte, bringt sich jetzt der amerikanische IT-Verband "Computer & Communications Industry Association" (CCIA) in Stellung. Dem Verband gehören zahlreiche führende IT-Konzerne wie Microsoft, AMD, Yahoo, Oracle und Google an.
Die Studie zeige, so die CCIA-Vizepräsidentin Erika Mann, einen "erheblichen wirtschaftlichen Beitrag" der Wirtschaftszweige an der europäischen Wirtschaft, die auf Ausnahmen und Schranken im Urheberrecht beruhen.
Ausnahmeregelung wichtig
Den Mehrwert für die EU-Wirtschaft beziffert die Studie auf 1,1 Billionen Euro, also 9,3 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Zwischen 2003 und 2007 wuchsen diese Branchen sogar um drei Prozent schneller als die europäische Wirtschaft insgesamt. Rund neun Millionen Menschen sind in diesen Branchen beschäftigt, das sind rund vier Prozent aller EU-Beschäftigten.
Ohne Ausnahmeregelungen und Schranken würden die betroffenen Wirtschaftszweige "weniger lebensfähig" sein bzw. sie müssten sich "erheblich umorganisieren", stellen die Autoren der Studie fest. Das würde zu einem Innovations- und Wachstumsrückgang führen. So würden nicht nur die Erstellung und der Konsum von Inhalten von Ausnahmeregelungen abhängen, auch Suchportale und Webhosting wären in ihrer gegenwärtigen Form nicht möglich. Politiker müssten daher die wirtschaftlichen Vorteile von Ausnahmeregelungen bei künftigen Entscheidungen berücksichtigen.
Studie vs. Studie
Zuletzt hatte die Pariser Beratungsfirma TERA Consultants eine Untersuchung vorgelegt, der zufolge der europäischen Kreativindustrie durch Urheberrechtsverletzungen bzw. "Piraterie" zehn Milliarden Euro jährlich verloren gehen. Diese Zahlen wurden jüngst in der Diskussion des Europäischen Parlaments um strengere Regeln genannt.
Für ihre Studie beauftragte die CCIA die niederländische Non-Profit-Organisation SEO Economic Research, die eng mit der Universität Amsterdam verbunden ist. Sie orientierte sich an der Vorgehensweise der Fair-Use-Studien, die der Verband bereits für die USA erstellen ließ. Diese hatten verschiedene Wirtschaftszweige untersucht, deren Umsätze auf der Fair-Use-Doktrin und damit verbundenen Beschränkungen des Copyrights basieren.
Unzuverlässiges Datenmaterial
Die Ergebnisse der EU-Studie entsprechen ungefähr denen der US-Studie. Allerdings zeigte sich ein Vorteil des flexibleren US-amerikanischen Rechts: In den USA konnten die Wirtschaftszweige mit Fair-Use-Bezug einen Mehrwert von 2,2 Billionen US-Dollar erzeugen (im Original: 2,2 Trillion Dollars). Sie machten dabei 16,2 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts aus. Methodisch orientierte sich die EU- wie die US-Studie nach den von der World Intellectual Property Organization (WIPO) definierten Richtlinien für die Berechnung Copyright-bezogener wirtschaftlicher Aktivitäten.
Erika Mann weist allerdings auch auf die unterschiedliche Datenbasis beider Studien hin. Aus den 27 EU-Mitgliedstaaten habe es nicht ausreichend zuverlässige Daten gegeben. Tatsächlich konnten die Wissenschaftler nur auf Zahlen der europäischen Statistikbehörde Eurostat aus den Jahren 2003 und 2007 zurückgreifen. Jüngere Zahlen liegen nicht vor. Damit fehlen auch der Europäischen Kommission für ihre Entscheidung wichtige Kennzahlen.
CCIA-Direktor Jakob Kucharczyk betont, dieser erste Quantifizierungsversuch zeige, dass die Wirtschaft sowohl vom Schutz der Urheberrechte wie auch von legitimen Ausnahmeregelungen profitiere. In der aktuellen Diskussion über den Schutz geistigen Eigentums werde oft übersehen, dass Internetunternehmen zu einem großen Teil auch von den Ausnahmen und Schrankenregelungen profitieren.
(Christiane Schulzki-Haddouti)