E-Books: Kindle gegen iPad
Apples iPad empfiehlt sich mit eigenem E-Book-Store unter anderem auch als Lesegerät für digitale Buchdateien. Im Vergleich mit Amazons Kindle zeigt sich schnell, welches Gerät für welchen Zweck am besten geeignet ist - und in welchem Verhältnis die geschlossenen Verkaufssysteme der US-Konzerne zum freien und offenen Internet stehen. Amazon trumpft unterdessen mit einer neuen Kindle-Generation auf.
Apples iPad ist nicht nur ein Gerät, sondern eine Verheißung. Denn in einer Zeit, in der die Medieninstitutionen der alten Industriegesellschaft eher damit beschäftigt zu sein scheinen, die Verbreitung von Informationen im Internet zu behindern, als diese zu fördern - "Three Strikes Out" und "Verweildauerkonzept" lassen grüßen -, sind neue Geschäftsideen Gold wert. Zumindest der Bildschirm von Apples iPad glänzt bereits, vielleicht ist auch das Teil des Versprechens für die Medienbranche, in der Oberflächen ja nicht unwichtig sind.
Mit dem iPad hat Apple im Jänner auch sein System iBooks vorgestellt, mit dem sich elektronische Buchdateien kaufen und auf dem Tablet-Rechner betrachten lassen. "The iPad Revolution" titelte der sonst eher kühle "New York Review of Books" ("NYROB") im Juni, nicht ohne detailliert zu schildern, wie weit Steve Jobs noch 2008 in seiner Einschätzung der positiven Entwicklung des E-Book-Markts danebengelegen war. "Das ganze Konzept ist falsch", hatte Jobs am 15. Jänner 2008 die "New York Times" zum Thema Kindle wissen lassen, "weil die Leute nicht mehr lesen."
Kampf um den Markt
Jobs hatte jedoch nicht damit gerechnet, dass E-Book-Käufer heavy user sind. Seit 2008, so der "NYROB", hätten sich die Umsätze mit digitalen Büchern für Kindle & Co. verdreifacht und beliefen sich nun auf rund 313 Millionen US-Dollar. Laut einer Studie der Investmentbank Goldman Sachs vom April wird der US-Markt für E-Bücher 2015 bereits auf ein Volumen von 3,2 Milliarden US-Dollar angewachsen sein, Apple werde davon rund ein Drittel für sich beanspruchen können, derzeit liege der Marktanteil des Unternehmens bereits bei zehn Prozent. Das Gesamtvolumen des Buchmarkts in den USA - Schulbücher ausgenommen - werde von 23,5 (2010) auf 24,9 Milliarden US-Dollar (2015) steigen.
Auch wenn dem E-Book schon häufig der Durchbruch prophezeit worden ist, der Markteintritt von Apple macht die Branche nervös. Dass Amazon den Preis des Einsteigermodells seines E-Book-Readers Kindle kürzlich um 20 Prozent gesenkt hat, darf sicher auch als Reaktion auf den Start von iBooks gewertet werden. Da beide Systeme - das iPad mit iBooks und der Kindle - in Österreich erhältlich sind, seien sie an dieser Stelle kurz miteinander verglichen. Auch wenn Amazon derzeit kaum deutschsprachige Titel im Kindle-Angebot hat, ist es sinnvoll, die Systeme zu analysieren, da sie unweigerlich in naher Zukunft auch auf den heimischen Markt drängen werden.
Amazon hat am Mittwoch eine neue, leicht überarbeitete Generation seines E-Readers Kindle vorgestellt, darunter ein Modell mit WLAN-Zugang. Im Test wurde noch der Kindle 2 verwendet, an den Grundprinzipien des Systems hat sich aber auch mit dem Kindle 3 nichts geändert.
User-Tethering im App Store
Für den iPad-Nutzer gibt es mehrere Möglichkeiten, an elektronische Bücher zu kommen. Am einfachsten ist es, über den mitgelieferten Browser einschlägige Angebote wie Google Books anzusteuern. Das iPad ist aber - wie der Kindle - zuallererst die Endverbraucher-Hardwarekomponente für einen Online-Store. Ohne Kreditkarte oder iTunes-Debit-Card kann sich der iPad-Käufer auf den ersten Blick nicht einmal die iBooks-Anwendung herunterladen, diese ist nicht vorinstalliert und kann erst nach der Anmeldung bei Apple verwendet werden, denn die Software muss an den Account des Nutzers gebunden sein - User-Tethering, sozusagen. Man kann diese Hürde allerdings umgehen, indem man bei Erstellung des iTunes-Accounts im App-Store erst eine kostenlose Anwendung auswählt und dann bei der Angabe der Zahlungsmethode auf "Keine" klickt.
Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Apple, die es bei der Anmeldung traditionell bestätigend zu ignorieren gilt, umfassen mittlerweile 69 Seiten, auch eine Art E-Book.
Hat der Nutzer sich angemeldet, so fragt das System als erstes, ob man iBooks installieren möchte. Bejaht der User das, erscheint das Programm recht schnell auf dem Tablet. Da Apple die iBooks-Abfrage mit der ersten Kontaktaufnahme des Nutzers mit dem App Store verknüpft hat, gibt das Unternehmen seinem eigenen virtuellen Buchladen die Poleposition auf dem Endgerät des Kunden. Ganz bedeutungslos ist das nicht, denn im App Store gibt es zwar die Kategorie "Bücher", aber dort teilen sich Konkurrenzanwendungen wie Amazons Kindle für iOS oder der Stanza-Reader den Platz mit Hunderten E-Books, die als eigenständige Apps angeboten werden.
IPad: Usability
Von der Oberfläche her ist iBooks das Microsoft Bob unter den Leseprogrammen, ab Werk setzt das Programm auf überdeutliche Metaphern. Die Bücher stehen in einem virtuellen Ikea-Regal und auch das Umblättern ist detailliert animiert, was sich nicht abstellen lässt.
Die restlichen Funktionen sind klar und einfach zu erreichen. Es lassen sich Bildschirmhelligkeit und Schriftgröße einstellen, wem der Kontrast zwischen leuchtend weißem Hintergrund und schwarzem Text zu hart ist, kann auf die etwas ruhigere Sepia-Tönung umschalten. Die Suchfunktion ist sehr schnell, sie kann den gesuchten Begriff auch gleich auf Google und Wikipedia nachschlagen, springt dazu jedoch in den Web-Browser - der Nutzer muss mangels Multitasking im verwendeten iOS 3.x dann wieder den Browser schließen und wieder iBooks aufrufen, um weiterlesen zu können. Das Programm merkt sich die zuletzt gelesene Seite, aber nicht die Ergebnisse der Suche im Buch. Mit einem Fingerzeig lässt sich eine Seite mit einem Lesezeichen versehen. Über einen Scrollbalken unter dem Text lässt sich schnell im Buch vor- und zurückspringen.
Kommt der Finger des Lesers länger auf einem Wort zu liegen, erscheint eine Lupe, die es einfach macht, einen Teil des Textes mit vorsichtiger Bewegung der Fingerspitze zu markieren. Ist ein Abschnitt markiert, so erscheint ein Menü mit den Befehlen "Kopieren", "Lexikon", "Markieren", "Notiz" und "Suchen". Das Lexikon ist nur in englischer Sprache verfügbar und lässt sich nur aus dem Hintergrund aufrufen. Anders als beim Kindle, bei dem das mitgelieferte "New Oxford American Dictionary" auch separat verwendet werden kann. Beim Druck auf "Notiz" erscheint ein virtueller Post-it-Block auf dem Schirm, auf den über die Bildschirmtastatur des iPads - die leider auf Startebene über keine Umlaute verfügt - ein kurzer Text eingegeben werden kann. Anders als auf dem Kindle werden die Notizen zu einem Buch nicht in einer separaten Textdatei abgespeichert, die dann einfach auf dem PC weiterverarbeitet werden kann.
IBooks: Verfügbare Titel
Mit einem Knopfdruck geht es von der Regal- oder Listenansicht in den Shop. Der Onlinebuchladen von Apple funktioniert ähnlich wie der App Store, es gibt Kategorien wie "Biographien", "Geschichte" oder "Belletristik und Literatur". Passend zur Zeit bewirbt Apple auch hartnäckig die virtuelle Ausgabe von Sun Zis "Kunst des Krieges". Den Löwenanteil des Angebots machen gemeinfreie E-Books aus, also Titel, deren Copyright abgelaufen ist.
Eingedeutscht ist die Benutzerschnittstelle des Ladens nur zum Teil. Um zu den deutschsprachigen Titeln zu gelangen, muss der Nutzer erst auf der Startseite des Shops herunterscrollen. Auch sind in Österreich bisher nur gemeinfreie Bücher - 406 an der Zahl - erhältlich. In Deutschland gibt es bereits Titel der Verlagshäuser Random House (Bertelsmann) und Lübbe in iBooks, insgesamt rund 4.500 E-Texte. Laut Auskunft einer Lübbe-Sprecherin gegenüber ORF.at hat Apple auch bereits die Vertriebsrechte der E-Books für Österreich und die Schweiz erworben, es liege nun bei Apple, wann die deutschsprachigen Bücher auch von Österreich aus abrufbar sein werden. Auch aktuelle englischsprachige Titel sind von Österreich aus über iBooks zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels nicht zu erwerben.
Die Qualität der kostenlosen E-Book-Dateien in Apples Repertoire ist unterschiedlich. Während bei "A Personal Record" von Joseph Conrad das Inhaltsverzeichnis nicht mit Hyperlinks zu den einzelnen Kapiteln ausgestattet ist und darüber hinaus noch bis ins Vorwort umläuft, verfügt die deutschsprachige, aber ebenfalls vom Projekt Gutenberg (US) erstellte E-Ausgabe von Sigmund Freuds "Über Psychoanalyse" über ein sauber gesetztes Inhaltsverzeichnis inklusive Links. Dumm nur, dass die Anker an den Kapiteln und Abschnitten dann nicht korrekt gesetzt sind, der Nutzer landet beim Druck auf einen Link immer eine Seite vor der Stelle, die er eigentlich hatte ansteuern wollen.
Auch fehlt in iBooks ein System, das ein ernsthaft mit den Büchern arbeitender Leser bei der Erstellung von Referenzen verwenden könnte, denn bei variablen Schriftgrößen sind Seitenzahlen dafür natürlich nicht geeignet. In Amazons Kindle-System, das mit dem E-Book-Format Mobipocket bzw. seinem proprietären DRM-Abkömmling arbeitet, ist dies mit "Positionen" (Locations), also vordefinierten Marken in den Texten gelöst. IBooks arbeitet mit dem weitverbreiteten EPUB-Standard für E-Books. Nach Auskunft des Lübbe-Verlags gegenüber ORF.at werden auch die Bezahlinhalte bei Apple in diesem Format angeliefert, Cupertino versieht diese dann mit dem hauseigenen Kopierschutz.
Umgang mit PDFs
Ungeschützte EPUB-Dateien, beispielsweise gemeinfreie Dateien aus Google Books, kann der Nutzer auf seinen PC herunterladen und von dort über iTunes und USB-Spezialkabel auf das iPad problemlos hochladen. Sie erscheinen dann auch in der iBooks-Bibliothek. Auch PDF-Dateien lassen sich so auf das iPad übertragen und in iBooks lesen. Sie werden allerdings in einer separaten Liste angezeigt. Die iBooks-Werkzeuge wie Lexikon, Einfügen von Anmerkungen und Textmarkierungen funktionieren allerdings mit PDFs nicht. Hierfür muss der Nutzer im App Store Zusatzsoftware kaufen, wie beispielsweise iAnnotate PDF, das bereits mit dem iPad kompatibel ist und 5,99 Euro kostet.
Im Umgang mit PDFs ist das iPad dem Kindle und anderen Geräten mit E-Ink-Bildschirm weit überlegen. Die Dokumente lassen sich mit einfachen Gesten stufenlos und schnell vergrößern und verkleinern. Ein im Format DIN A4 angelegtes Testdokument mit einer Schriftgröße von zehn Punkt ließ sich auch ohne Vergrößerung noch gut auf dem iPad lesen. Auf dem kleineren Kindle 2 artete die Betrachtung des simplen Dokuments bereits in eine langwierige Zoom- und Scroll-Orgie aus. Hier stießen Prozessor und Bildschirmtechnologie des Amazon-Geräts allzu schnell an ihre Grenzen.
Kindle: Fertig vernetzt aus der Schachtel
Die internationale Version von Amazons Kindle 2 wird direkt aus den USA geliefert, dies dauert ab Bestellung drei bis vier Werktage. Amazon bindet das Gerät schon bei der Auslieferung an den Account des Nutzers, wird der Kindle als Geschenk geliefert, muss der Beschenkte seine Amazon-Daten separat eingeben. Auch hier ist die Bindung zwischen Nutzer und Anbieter also sehr eng. Alle Kindle-Transaktionen laufen derzeit noch über die US-Site von Amazon. Die Benutzerschnittstelle von Gerät und Kindle Store sind in englischer Sprache gehalten und lassen sich nicht auf andere umschalten.
Einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Kindle und iPad besteht bekanntlich in der eingesetzten Bildschirmtechnologie. Das iPad hat ein hintergrundbeleuchtetes LED-Panel mit einer Auflösung von 1.024 x 768 Pixel (132 PPI) und einer Diagonale von 25 cm /9,7". Der Kindle 2 hat einen 6"-Bildschirm mit einer Auflösung von 600 x 800 Pixel (167 PPI), der 16 Graustufen darstellen kann. Während das iPad laut Apple-Angaben mit eingeschaltetem WLAN zehn Stunden durchhält - der Akku lässt sich bei beiden Geräten nicht vom User tauschen -, hielt der Kindle 2 bei intensiver Nutzung im Test bereits zwei Wochen durch, allerdings wurde das integrierte Funkmodul, um den Kindle Store nutzen zu können, nur sporadisch aktiviert.
Überall synchronisiert
Einen WLAN-Zugang hat der Kindle 2, im Gegensatz zu seinem Nachfolger nicht, er verbindet sich nur über ein Micro-USB-Kabel oder über 3G-Mobilfunk (respektive EDGE) mit der Außenwelt. Die Kosten dafür übernimmt Amazon. Allerdings können Kunden in Österreich mit dem experimentellen integrierten Web-Browser nur die englischsprachige Wikipedia ansteuern, andere Websites hat Amazon ab Werk gesperrt. Über das Drahtlosnetz laufen damit hauptsächlich die Transaktionen von Amazons Kommunikationsdienst Whispernet.
Über dieses System kann der Nutzer E-Books kaufen oder freigegebene Probekapitel herunterladen. Auch die zuletzt gelesenen Seiten und Notizen lassen sich zwischen dem Kindle und den für verschiedene Betriebssysteme verfügbaren Amazon-Leseanwendungen synchronisieren. Im Test war es so problemlos möglich, ein Buch auf dem Kindle anzufangen und die Lektüre nach entsprechender Synchronisation auf dem iPad nahtlos weiter fortzusetzen. Die Übertragung auch umfangreicher - nicht illustrierter - Bücher funktioniert sogar im EDGE-Modus sehr schnell und zuverlässig, denn die Textdateien sind schlank.
Geschrumpfte Großromane
"Kraken" von China Miéville, beispielsweise, im echten Leben ein stolzer Hardcover-Band von 528 Seiten, bringt in seinem Schattendasein als DRM-gefesseltes E-Book gerade einmal 726 Kilobyte auf die altägyptische Seelenwaage digitaler Jenseitigkeiten. Dafür ist das E-Book dann dreieinhalb US-Dollar billiger als das Hardcover, die Lieferzeit beträgt etwa drei Sekunden und es ist nie ausverkauft - solange Amazon es will, selbstverständlich. Über Whispernet kann Amazon leider auch komplette Bücher löschen lassen, wie das Unternehmen im Juli 2009 ausgerechnet anhand der George-Orwell-Romane "1984" und "Animal Farm" ohne Vorankündigung bewiesen hat - ein Verlag, der die Rechte für die Titel nicht besaß, hatte sie in den Kindle Store gestellt. Auch wenn sich Amazon hinterher entschuldigte und die Kunden mit Einkaufsgutscheinen entschädigte, so förderte die Aktion nicht unbedingt das Vertrauen in das Unternehmen.
Das ist insofern schade, als der Kindle 2 eigentlich gut funktioniert. Während das iPad so eine Art Uncomputer darstellt, fungiert der Kindle als One-Stop-Shop für Literatur-Junkies. Die Benutzerschnittstelle ist so einfach, dass sie keiner Erklärung bedarf, und wenn man den Stromnetzadapter dazunimmt, kommt der Kunde nach der Bestellung sogar ganz ohne Computer aus. Der Kontrast des Bildschirms könnte besser sein, aber man liest darauf ohne Anstrengung auch umfangreiche Werke nicht weniger zügig als auf Papier. Mit knapp 300 Gramm ist der kleine Kindle nicht einmal halb so schwer wie das iPad - eine Eigenschaft, die sich bei längeren Texten durchaus bemerkbar macht. Die eingebaute Minitastatur verfügt zwar auch nicht über Umlaute, aber das Kindle-System ist generell nicht für die deutschsprachigen Länder lokalisiert.
Freie Bücher und Konverter
Der Kindle 2 hat zwei Gigabyte internen Speicher. Das Gerät meldet sich - anders als das iPad - als normaler USB-Massenspeicher am Rechner an. Das erspart dem User den Umweg über proprietäre Software wie iTunes, wenn er beispielsweise gemeinfreie Buchdateien im Mobipocket-Format oder PDFs auf das Gerät übertragen will.
Google Books bietet seine Inhalte nur im EPUB-Format zum Download an, das der Kindle leider nicht beherrscht. Hier hilft allerdings die von Kovid Goyal geschriebene Software Calibre E-Book Management weiter. Das Programm steht unter der freien GPL-Lizenz und ist nicht nur für Windows und Mac OS X, sondern auch für diverse Linux-Distributionen erhältlich. Damit lassen sich auch EPUB-Dateien von Google Books ins Mobipocket-Format konvertieren. Wird der Kindle an den Rechner angeschlossen, erkennt Calibre das Gerät sofort und überträgt die konvertierten Dateien dann auch gleich ins korrekte Verzeichnis auf dem Reader. Auf dem iPad arbeitet Calibre mit dem kostenlosen Stanza-Reader zusammen. Um ohne iTunes an diesen lokale Dateien übertragen zu können, muss das Programm allerdings einen eigenen Server auf dem Rechner des Users starten.
Umfangreiches Angebot
Amazon bietet nach eigenen Angaben derzeit über 630.000 Titel für den Kindle an. Darunter befinden sich auch zahlreiche aktuelle Texte namhafter Autoren, auch wenn die Abwesenheit einiger US-Großmeister wie Thomas Pynchon oder David Foster Wallace auffällt. Der Kampf um die Rechte ist hart. Erst vergangene Woche schloss Amazon einen Deal mit dem wichtigen US-Literaturagenten Andrew Wylie ab, der dem Konzern von Jeff Bezos für zwei Jahre die Exklusivrechte an E-Book-Ausgaben von älteren Werken wichtiger Autoren wie Salman Rushdie, Philip Roth oder John Updike verkaufte.
Das Geschäft verärgerte den Großverlag Random House derart, dass er am Freitag ankündigte, bis auf weiteres keine neuen Verträge mit Wylie abschließen zu wollen - Agenten sollten keine direkten Konkurrenten der Verlage sein. Wie dem auch sei: Amazon hat für Zeitgenossen, die an englischsprachiger Literatur interessiert sind, derzeit das bessere Angebot. Ob sich Jeff Bezos auf seinem ureigensten Turf von Steve Jobs die Schneid abkaufen lässt, darf bezweifelt werden.
Bildschirmtechnologie bestimmt Einsatzgebiet
Neben dem Angebot an aktueller und freier Literatur ist es vor allem die Bildschirmtechnologie, die das Einsatzgebiet des Readers bestimmt. Im Test zeigte sich, dass die Lektüre auf dem iPad jener am Notebook-Bildschirm zu ähnlich ist. Bei längeren Texten ermüdet die Hintergrundbeleuchtung das Auge, auch wenn sich deren Intensität in den Leseanwendungen genau regeln lässt. Auch dass die Pixeldichte des iPad-Bildschirms geringer ist als jene des Kindle 2, mag dabei eine Rolle spielen. Dafür braucht der Kindle-Leser stets eine externe Lichtquelle, wie eben für ein normales Buch auch.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Der Kindle ist zum Lesen da, das iPad zum Betrachten. Der Kindle ist auf seine Art der iPod für Literatur: Er hat eine simple Oberfläche und ein klares, geschlossenes Konzept und erledigt die eine Aufgabe, für deren Erfüllung man ihn eigentlich gekauft hat, sehr gut. Modezeitschriften, Bilder und Comics - die US-Comicverlage Marvel und DC sind längst im App Store mit eigenen Leseanwendungen vertreten - kommen dagegen auf dem Apple-Tablet besser zur Geltung. Die Kombination aus iPad und App Store stellt wohl die Erfüllung des alten Micropayment-Traums dar, den der Comic-Theoretiker Scott McCloud bereits im Jahr 2000 in seinem Band "Reinventing Comics" formuliert hat. Comics sehen auf dem iPad ziemlich gut aus - und auch klamme Indie-Anbieter können darauf mit Farbe arbeiten. Wer viel mit PDFs arbeitet, sollte das iPad den E-Ink-Readern vorziehen, das gilt sicher auch für den Kindle 3. Was die Typographie angeht, so ließe sich bei beiden Systemen viel bemängeln, aber darauf einzugehen erforderte einen eigenen Artikel.
Neue Kindle-Generation
Zu den Preisen: Das iPad ist mit rund 500 Euro in der Grundkonfiguration kein Schnäppchen. Der Kindle kam bei einem Netto-Preis von 189 US-Dollar inklusive Transport auf rund 200 Euro. Am Mittwoch hat Amazon zwei neue Kindle-Modelle vorgestellt, die dem getesteten Modell nachfolgen. Eines mit 3G und WLAN zum Preis von 189 US-Dollar und eines ohne 3G-System für 139 Dollar. Beide Geräte haben ein neues E-Ink-Display mit höherem Kontrast und neuen Fonts, wie Amazon schreibt und sollen auch schneller "umblättern" können. Auch der PDF-Reader soll nun besser funktionieren und hat ein integriertes Lexikon. Die Größe des Displays blieb gleich.
Der neue Web-Browser des Kindle 3 basiert auf WebKit, also demselben System, das unter anderem auch Apples Web-Browser Safari zugrunde liegt. Die Browsing-Restriktionen des Kindle 2 gelten in Österreich allerdings auch weiterhin.
Das Netz und die Kultur
Sowohl iPad als auch Kindle sind weniger vollwertige Computer als vielmehr Haushaltsgeräte, die auf Grundlage des freien Netzes ihre geschlossenen Systeme laufen lassen. Inwieweit dies für das Internet eine Gefahr darstellt, kann noch nicht seriös abgeschätzt werden, allerdings fließt derzeit viel Entwicklerintelligenz ins Paralleluniversum der Mobil-Apps ab, die früher vielleicht in offene Software investiert worden wäre. Die Zeiten sind härter geworden.
Man könnte fast in die Falle tappen und den berühmten alten Spruch von Umberto Eco vom "katholischen" Mac und dem "protestantischen" PC auf iPad und Kindle umlegen. Die Pracht leuchtender Kirchenfenster, gestiftet von Steve, dem Gegenaufklärer, gegen den blanken, nüchternen Text stellen, der sich selbst genug ist. Doch die DRM-Systeme, auf die beide Geräte sich stützen, verhindern beispielsweise, dass man ein gekauftes Buch an einen Freund verleiht und unterbinden damit einen grundlegenden Akt des Geisteslebens. Sollten Geräte, die das Teilen unmöglich machen, auch nur im Rahmen scherzhafter Metaphorik als christlich bezeichnet werden? Niemals.
(futurezone/Günter Hack)