© Fotolia/Foto Frank, Server mit Kabeln

Vorratsdatenspeicherung mit Ausnahmen

ÖSTERREICH
26.07.2010

Der neue Entwurf zur Umsetzung der umstrittenen EU-Richtlinie zur Data-Retention (Vorratsdatenspeicherung) sieht eine Robinson-Liste mit Telefonnummern und E-Mails von Seelsorgern, Ärzten, Anwälten und anderen Berufsgeheimnisträgern vor. Die Anbieter müssen Kunden nach 30 Tagen informieren, an wen Standort- oder Verkehrsdaten auf Anfragen nach dem Sicherheitspolizeigesetz (SPG) weitergegeben wurden. Infrastrukturministerin Doris Bures (SPÖ) im Gespräch mit ORF.at.

Die Ministerin, nach eigenem Bekenntnis "keine glühende Verfechterin dieser Richtlinie, weil ich sie für kein taugliches Instrument halte", hat am Montag einen abgeänderten Entwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (Data Retention) präsentiert.

Die wichtigsten Änderungen gehen auf die hauptsächlichen Kritikpunkte ein, die sich in den etwa 190 Stellungnahmen zur Vorratsdatenspeicherung niedergeschlagen haben. Im neuen Zusatz (5) zu Paragraf 93 des TKG heißt es im vorliegenden Entwurf: "Das Redaktionsgeheimnis sowie sonstige in anderen Bundesgesetzen normierte Geheimhaltungsverpflichtungen ... dürfen durch eine Auskunft über Daten gemäß den Bestimmungen in diesem Bundesgesetz nicht umgangen werden."

Ärzte, Anwälte, Journalisten, Seelsorger und andere können ihre Nummern über die jeweiligen Berufsverbände bzw. Standesvertretungen auf einer Art Robinson-Liste eintragen lassen.

Clearing-Stelle für Robinson-Liste

Damit diese Liste überhaupt wirksam werden kann, müssen im Zuge einer Abfrage die "Vorratsdaten" eine neu einzurichtende, "von den Gerichten unabhängige" Clearing-Stelle passieren. Dort werden die erhobenen Rufnummernsätze mit der Robinson-Liste abgeglichen, alle darin enthaltenen Telefonnummern von Ärzten, psychosozialen Diensten, Telefonseelsorgern, Anwälten und Notaren werden unkenntlich gemacht - sofern diese Nummern für die Robinson-Liste gemeldet waren.

Zugriff auf diese Daten gibt es auf richterlichen Entscheid, betonte die Infrastrukturministerin, und nur bei "schweren Delikten", wobei es nun an Innen- und Justizministerium liege, den konkreten Strafrahmen zu definieren, ab dem ein "schweres Delikt" gegeben sei. Ein "Telefonkabelgesetz" wie das TKG sei nun einmal nicht der geeignete Rahmen, das allgemein rechtsverbindlich zu definieren.

Informationspflicht für Provider

Was Anfragen ohne richterlichen Bescheid, nämlich solche unter Berufung auf das Sicherheitspolizeigesetz - Stichwort, Gefahr für Leib und Leben, verirrte Wanderer -, betrifft, so setzt der vorliegende Entwurf ebenfalls Grenzen. Der Zugriff auf Vorratsdaten beschränkt sich dabei auf drei Monate, Standortbestimmungen sollen auf die letzten beiden Funkzellen beschränkt werden.

Für alle Auskünfte gilt eine Informationspflicht der dadurch Betroffenen. Der Provider muss seine Kunden spätestens nach 30 Tagen darüber informieren, von welcher Stelle und unter welchem Rechtstitel eine derartige Anfrage gestellt wurde. Ausgenommen von der Informationspflicht sind natürlich Personen, gegen die in Folge strafrechtlich ermittelt wird.

ÖVP-Ministerien am Zug

Die Bezeichnung "fertiger Entwurf" zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung sei insofern zu relativieren, sagte Ministerin Bures, denn in der Begutachtung sei klar geworden, dass Anpassungen in der Strafprozessordnung (StPO) und im Sicherheitspolizeigesetz dabei zwingend notwendig seien.

Zur noch ausständigen Klärung, was der konkrete Strafrahmen für eine "schwere Straftat" sei, bedürfe es auch entsprechender Regelungen in der Strafprozessordnung bezüglich der Definition des "Kommunikationsgeheimnisses", die im Telekom-Gesetz bereits enthalten sei , so Bures abschließend.

Der Text

Aktueller Entwurf für die Änderungen am Bundesgesetz, mit dem das Telekommunikationsgesetz 2003 (TKG

2003) geändert wird.

Ab einjähriger Freiheitsstrafe

In seiner Stellungnahme vom Jänner 2010 schreibt das Justizministerium: "Grundsätzlich knüpft der österreichische Gesetzgeber die Zulässigkeit schwerer Grundrechtseingriffe an den Verdacht einer vorsätzlich begangenen, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Straftat." Das Ministerium plädierte dafür, diese Schwelle beizubehalten, auch wenn man sich nicht einer "Diskussion über notwendige Anpassungen in der StPO" verschließe.

Das federführende Infrastrukturministerium hatte 2009 das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte mit der Erarbeitung eines Gesetzesvorschlags zur Umsetzung der Data-Retention-Richtlinie in heimisches Recht beauftragt. Der Gesetzesvorschlag ist dem Ministerium am 11. September 2009 vorgelegt worden. Er sieht unter anderem die Einführung der minimalen Speicherfrist von sechs Monaten für die Daten vor.

Data-Retention in Österreich

Hohe Kosten

Die verdachtsunabhängige Speicherung der Verbindungsdaten aller Telefongespräche (wer hat wann mit wem telefoniert), Internetverbindungen und Handystandortdaten ist teuer, wie eine Umfrage des heimischen Provider-Verbands ISPA im April ergeben hat.

Die durch die Einführung der Vorratsdatenspeicherung im ersten Jahr auftretenden Kosten (Installation und Betrieb) sind für die Hälfte der Provider (49 Prozent) noch nicht absehbar. Jeweils 21 Prozent erwarten Aufwäendungen von bis zu 50.000 Euro bzw. 150.000 Euro. Rund jeder zehnte ISP geht davon aus, dass bis zu 500.000 Euro fällig werden. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass Großprovider wie A1 Telekom Austria, UPC oder Orange - nicht Mitglieder der ISPA sind.

Totale Überwachung

Die Richtlinie 2006/24/EG über die Data-Retention verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten zum Erlass von Gesetzen, welche die Provider dazu zwingen, alle Internet-, Verkehrs- und Handystandortdaten sämtlicher Kunden über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zu speichern und Strafverfolgungsbehörden zur Verfolgung schwerer Straftaten zur Verfügung zu stellen.

Die Richtlinie liegt seit Anfang Mai zur Prüfung vor dem EuGH. Das Höchstgericht der Republik Irland lässt dort prüfen, ob die Richtlinie inhaltlich mit der Europäischen Grundrechtecharta vereinbar ist. Im März 2009 hatte der EuGH - ebenfalls auf Anfrage des irischen High Court - noch bestätigt, dass die Richtlinie als Instrument zur Regulierung des Binnenmarkts formal korrekt zustande gekommen war.

Mehr zum Thema:

Nicht vereinbar mit Grundrechten

Das rumänische Verfassungsgericht hat im Oktober 2009 die Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Die deutsche Umsetzung der Data-Retention wurde im März 2010 vom Bundesverfassungsgericht als nicht vereinbar mit dem Fernmeldegeheimnis erkannt. Datenschützer und Bürgerrechtler betrachten die Data-Retention als unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger.

In Deutschland haben sich rund 35.000 Bürger der Klage der Bürgerrechtsorganisation AK Vorrat gegen die Data-Retention angeschlossen - damit war diese die größte Verfassungsbeschwerde in der Geschichte der Bundesrepublik.

Bis September will die EU-Kommission die Data-Retention-Richtlinie auf ihre Vereinbarkeit mit der Europäischen Grundrechtecharta prüfen, denn diese gehört seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum Primärrecht der Europäischen Union.

(futurezone/Erich Moechel)