Netflix: Vom DVD-Verleih zum Onlineimperium
Der US-DVD-Verleih Netflix hat die Zeichen der Zeit erkannt. Seit drei Jahren bietet das Unternehmen auch Onlinestreams an. Mit Erfolg: Während die Konkurrenz Filialen schließen muss, startet Netflix seine internationale Expansion. Nach Kanada sollen schon bald auch in Europa und Asien Filme und Fernsehserien online angeboten werden.
40 Dollar, das war für Reed Hastings eigentlich nicht der Rede wert. Hastings hatte 1997 eine von ihm gegründete Firma für 750 Millionen Dollar verkauft. Doch als ihm wenig später eine Videothek eine Rechnung über 40 Dollar Säumnisgebühren für eine einzige verlorene Videokassette präsentierte, da wurmte ihn das so sehr, dass er sich prompt an die Gründung eines neuen Unternehmens machte.
Als Inspiration diente ihm dabei das eigene Fitnessstudio: "Mir wurde klar, dass es ein viel besseres Geschäftsmodell hatte", so Hastings gegenüber der New York Times, "für 30 oder 40 Dollar pro Monat kann man dort so viel oder so wenig trainieren wie man will."
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.
In den nächsten Wochen wird er im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" von der schönen neuen Onlinefernsehwelt berichten. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
Netflix bietet US-Amerikanern seit Ende der Neunzigerjahre ein ähnliches Pauschalmodell für Leih-DVDs an. Die Firma schickt ihren Kunden die DVDs ganz einfach per Post zu. Angeschaute Filme werden im vorfrankierten Umschlag zurückgeschickt - und der nächste Film kommt postwendend nach der Retournierung des geliehenen Titels. Das einfachste Abopaket kostet neun Dollar pro Monat. Wer mehr zahlt, kann sogar mehrere DVDs gleichzeitig daheim haben. Ausgeliehen wird über die Netflix-Website, die ihren Nutzern gleich auch noch Filmtitel anhand personalisierter Bewertungen empfiehlt.
Das Modell kommt an: Netflix bedient mittlerweile in den USA 15 Millionen zahlende Kunden, die pro Tag im Schnitt rund zwei Millionen DVDs zugeschickt bekommen. Die Firma betreibt knapp 60 lokale Warenhäuser zum Versand von DVDs und wird eigenen Schätzungen zufolge dieses Jahr mehr als 2,1 Milliarden US-Dollar umsetzen.
Onlinestreams billiger als Porto
Doch Hastings verlässt sich für Netflix schon lange nicht mehr nur auf den Versand von Plastikscheiben. Vor gut drei Jahren begann Netflix mit einem Onlineangebot, das Abonnenten zusätzlich zu ihren DVDs auch unbegrenzten Zugriff auf zahlreiche Filme und Fernsehshows als Stream gibt. Im Vergleich zum firmeneigenen DVD-Angebot ist der Onlinekatalog bisher noch recht schmal. Viele Hollywood-Kassenschlager schaffen es erst mit arger Verspätung ins Angebot, andere gibt es online gar nicht zu sehen. Dafür bietet die Firma eine ganze Reihe von Indie-Filmen aus dem In- und Ausland sowie ganze Staffeln von Fernsehshows wie "Lost", "South Park" und "The Office" zum Abruf an. Alle Folgen werden komplett werbefrei präsentiert, und rund 1.500 Titel gibt es auch als HD-Stream.
Das Onlinevideoangebot der Firma lässt sich nicht nur mit dem PC, sondern auch per iPad, iPhone, Wii, PS3 und Xbox 360 sowie mit einer ganzen Reihe von Blu-Ray-Playern, Fernsehern mit Netzanschluss, digitalen Videorecordern und speziellen Set-Top-Boxen anschauen. Bis Ende des Jahres will Netflix auf mehr als 100 solcher Endgeräte verfügbar sein.
Das Onlineangebot ist nicht zuletzt dank solcher Geräte-Partnerschaften ein voller Erfolg. So wusste die Firma vor zwei Wochen zu berichten, dass mittlerweile 61 Prozent ihrer Kunden auf die Onlinestreams zugreifen. Der DVD-Versand gilt weiterhin als Kernangebot von Netflix. Hastings und sein Team gehen jedoch davon aus, dass Onlinevideo langfristig dominieren wird. Das könnte sich für Netflix auch finanziell lohnen: Die Firma gibt pro Jahr geschätzte 700 Millionen US-Dollar für Porto und Versandkosten aus. Die Kosten für online abgerufene Filme sind dagegen dank stetig fallender Bandbreitenkosten deutlich geringer.
International nur online
Kein Wunder also, dass Netflix für seine internationale Expansion komplett auf Onlinevideo setzt. Ab dem Herbst will man Kanadiern ebenfalls Zugriff auf das eigene Onlineangebot geben. DVDs wird es für kanadische Nutzer jedoch nicht geben. Hastings nannte die Expansion nach Kanada Anfang des Jahres "International lite" und erklärte, es handle sich dabei um einen Testballon. Im Erfolgsfall wolle man ab 2011 auch in anderen Ländern in Europa und Asien präsent sein.
Netflix hält sich zu seinen weiteren internationalen Plänen bedeckt, doch eine Expansion nach Großbritannien könnte für die Firma der logische nächste Schritt sein. Allerdings hätte Netflix dort mit einem etablierten Konkurrenten zu kämpfen. Lovefilm bietet Briten einen ganz ähnlichen Mix von DVD-Versand-Möglichkeiten und Onlinestreams an. Lovefilm hat eigenen Angaben zufolge 1,4 Millionen zahlende Kunden. Größter Anteilseigner an Lovefilm ist der Onlineversandhandelsriese Amazon.
Hulu als Konkurrent
Konkurrenz droht Netflix auch in den USA. Angespornt vom Onlineerfolg des DVD-Verleihers, versuchen mittlerweile auch andere, Netznutzer zum Zahlen für TV-Shows und Fernsehfilme zu bewegen. So startete die Web-TV-Plattform Hulu vor ein paar Wochen ein Onlineangebot namens Hulu Plus, dass seinen Nutzern Zugriff auf ganze Staffeln erfolgreicher TV-Shows gibt. "Wir nehmen sie als direkten Konkurrenten ernst", erklärte Hastings dazu Ende Juli. Konkurrenz könnte es bald auch von Apple geben. Der Computerhersteller arbeitet Berichten zufolge an einem Streamingdienst für TV-Show-Episoden, die man jeweils für 99 Cent verkaufen will.
Netflix wappnet sich für diesen Konkurrenzkampf mit einem Ausbau des eigenen Onlinekatalogs. So gab die Firma im zweiten Quartal dieses Jahres 66 Millionen Dollar für Onlinerechte aus. Im Vorjahreszeitraum lagen diese Ausgaben lediglich bei neun Millionen Dollar. Im Juli sicherte sich Netflix zudem erstmals die Pay-TV-Rechte eines Hollywood-Studios. Relativity Media wird damit Filme wie Mark Wahlbergs kommenden Boxerstreifen "The Fighter" nicht an Spielfilm-Bezahlkanäle verkaufen. Stattdessen wird es den Film exklusiv bei Netflix online zu sehen geben. Hastings hat bereits angekündigt, in Zukunft weitere derartige Partnerschaften schließen zu können. "Je häufiger wir große Schecks ausstellen können, desto mehr Inhalte werden wir bekommen", erklärte er dazu im vergangenen Jahr auf einer Branchenveranstaltung.
Das Ende einer Ära
Und während Hastings so fleißig einen wachsenden Onlinekatalog zusammenkauft, trägt er gleichzeitig zum Ende einer alteingesessenen Institution bei. Die Videothek um die Ecke hat beim Trend zu DVD-Postverleih und Onlinestreaming das Nachsehen. Besonders deutlich wird das mit dem Niedergang Blockbusters. Die Firma war einst der Inbegriff für Leihvideos, mit Tausenden Filialen in den USA und in zahlreichen weiteren Ländern.
Von seinen Auslandsbeteiligungen hat sich Blockbuster mittlerweile jedoch fast komplett getrennt, und in den USA will man dieses Jahr bis zu 545 Filialen schließen. 2009 schloss man bereits 572 Niederlassungen. In den letzten Jahren fuhr Blockbuster zudem Milliardenverluste ein. Anfang Juli wurde die Firma schließlich vom Handel an der New Yorker Börse ausgeschlossen. Branchenkenner glauben, dass Blockbuster bereits in der kommenden Woche Bankrott anmelden könnte. Blockbusters Pleite wäre für den US-Videomarkt das Ende einer Ära - und für Hastings sicher eine Form der späten Genugtuung. 40 Dollar hohe Säumnisgebühren dürften damit nämlich bald der Vergangenheit angehören.
(Janko Röttgers)