© Günter Hack, Nahaufnahme eines Netzwerkkabels

Googles Griff nach dem HD-TV

NETZNEUTRALITÄT
12.08.2010

Die am Montag vorgestellten Pläne von Google und dem US-Telekomgiganten Verizon für ein schnelles "Parallelinternet", in dem keine Netzneutralität gelten sollte, zielen in erster Linie auf das rasch wachsende Geschäft mit hochauflösenden Videostreams und der dazugehörigen Werbung ab. Beide Unternehmen sind mit eigenen, weltumspannenden Glasfasernetzen unter den Top Ten der globalen Carrier.

Seit die Konzernführungen von Google und dem US-Mobilfunkmarktführer Verizon am Montag ihren "gemeinsamen Vorschlag für ein offenes Internet" veröffentlicht haben, brodelt es im Netz. Google, seit Anbeginn oberster Verfechter der Netzneutralität, wird vorgeworfen, genau dieses Prinzip der Gleichbehandlung allen Internetverkehrs nun über Bord zu werfen und ein Zwei-Klassen-Internet einführen zu wollen.

Besagtem Vorschlag mangelt es nicht an wolkig formulierten Bekenntnissen der beiden Konzernherren Eric Schmidt (Google) und Ivan Seidenberg (Verizon) zu einem Internet, das keinesfalls andere Serviceanbieter bevorzugen oder benachteiligen sollte. Gerade Google hatte - insbesondere nach dem Kauf von YouTube und den in Folge rapid angestiegenen Datenmengen - stets vehement Gleichbehandlung des Verkehrs durch den jeweiligen Provider eingefordert.

Google als globaler Carrier

Die Zeiten haben sich freilich geändert, denn Google verfügt längst über ein eigenes weltumspannendes Rückgrat, das sehr rasch wächst. Man ist also selbst zu einem Carrier geworden, über dessen Infrastruktur bereits zwischen fünf und sieben Prozent des gesamten weltweiten Netzverkehrs laufen. Nach dem Weltmarktführer Level 3 und dem Zweiten auf dem Carrier-Markt, Global Crossing, die ihr Geld mit Datentransport verdienen, kommt mit Google ein Unternehmen, das sein weltweites Netz zum Zweck des Vertriebs von Werbung gebaut hat.

Mit einem "offenen Internet" hat der Vorschlag denn auch weniger zu tun als vielmehr mit den Zukunftsgeschäften der beteiligten Konzernriesen. Unter den zahlreichen Würdigungen des eigenen "Proposals" als beste Lösung gegen "diskrimierende Praktiken" und nachhaltige Garantie für Netzneutralität sind im "Wording" zwei Passagen enthalten, die das genaue Gegenteil aussagen.

Netzneutralität

Am 5. August hatte die US-Regulierungsbehörde Federal Communications Commission (FCC) ihre Gespräche mit Industrievertretern über die Zukunft der Netzneutralität in den USA offiziell abgebrochen. Google und Großprovider Verizon machten ihre Regeln daraufhin selbst.

Keine Neutralität im Mobilfunk

In Punkt sechs von sieben merken die beiden CEOs gleichsam nebenbei an, es bestehe Einmütigkeit darüber, dass sich drahtloses Breitband von der traditionellen Festnetzwelt durch mehr Wettbewerb und schnellere Entwicklung unterscheide.

Aus diesem Grund sollte ein Gutteil von dem, wozu man sich gerade noch wortreich bekannt hatte, für drahtloses Breitbandnetze nicht gelten, das allerdings "transparent." Das bedeutet schlicht und einfach, dass Mobilnetzbetreiber den Verkehr von beliebigen Websites priorisieren, verzögert ausliefern oder sperren könnten, wenn das irgendwo in den Geschäftsbedingungen vermerkt ist.

Dazu kommt: Drahtloses Breitband ist bekanntlich ein globaler Wachstumsmarkt, der sich erst am Anfang seiner Entwicklung befindet. Verizon wiederum ist im US-Mobilfunkmarkt die Nummer eins und hatte im abgelaufenen Jahr umgerechnet rund neun Milliarden Euro Reingewinn in der Bilanz stehen. Beteiligt ist der größte weltweit operierende Mobilfunkkonzern Vodafone, der 45 Prozent an Verizon hält und selbst weltweit rund 14 Milliarden Euro Gewinn erzielt.

Höchststrafen aus der Portokassa

Sieht man die von Google und Verizon empfohlenen "Maßnahmen zur Durchsetzung" von Netzneutralität in den leitungsgebundenen Netzen an, so ist die Höchststrafe bei Verstößen mit zwei Millionen Dollar angesetzt. Diese Summe verdient jeder dieser drei Weltkonzerne in weniger als einer Viertelstunde.

Die wohl am raffiniertesten gelegte Fußangel aber betrifft einen zweiten, globalen Wachstumsmarkt. Den Breitbandprovidern soll es möglich werden, "zusätzliche, andersartige Onlinedienste" zum Internetzugang anzubieten. Von denen könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht viel Näheres sagen, als dass darüber "Smart Grid"-Anwendungen für Stromnetze oder Gesundheitsservices" angeboten werden können, neue Gaming- und Unterhaltungsservices seien ebenfalls unter den Optionen.

Schnelle Parallelwelt

Zu diesem Zweck soll es möglich sein, ein Netz aus "Fast Lanes" zu betreiben, ein proprietäres und natürlich kostenpflichtiges Parallelinternet aufzubauen, in dem überhaupt keine Neutralitätsregeln gelten. An Daten transportiert wird darüber nur, was profitabel genug ist und in die Geschäftspolitik des Carriers passt. In erster Linie geht es dabei natürlich weniger um mögliche Gesundheitsdienste oder vernetze Stromzähler, sondern um das erst in seinen Kinderschuhen befindliche Geschäft mit hochauflösenden Videos.

Bereits 2009 ist über das Google-eigene Netz deutlich mehr Internetverkehr gelaufen als über jenes des ehemaligen Weltmarktführers AT&T. Je nach Zählweise hat Google damit zwischen 5,2 und sieben Prozent des globalen Datenaufkommens transportiert.

Griff nach dem HD-TV

Zusammen mit Verizon - ebenfalls unter den Top-Ten-Betreibern weltumspannender Netze - wäre man so schon sehr gut aufgestellt, um weiträumig HD-Video über die eigenen Glasfasernetze anzubieten. Mit FiOS TV hat Verizon ein eigenes Glasfaser-Kombiangebot aus Telefonie, Internet, 125 HD-TV-Kanälen und einer Videothek mit mittlerweile 18.000 Titeln im Programm. Das Paket kostet 90 Dollar pro Monat, doch für die weitaus meisten Inhalte ist extra zu bezahlen - es ist das exakte Gegenteil von der Alles-Gratis-Kultur des Internets, in der Google zum Riesen heranwuchs.

An diesem geplanten Deal, der bis jetzt so viel Wirbel verursacht hat, zeichnet sich die Zukunftsstrategie des führenden Distributors von Internetwerbung ab, dessen Kerngeschäft nicht eigene, sondern immer Daten und Inhalte Dritter sind.

Android

Vodafone und Verizon haben jeweils eine Menge Handys im aktuellen Angebot, die unter dem Google'schen Betriebssystem Android laufen. Rivale AT&T setzte hingegen von Beginn an auf das iPhone.

Dieses vom Internet separierte "Fast Lane"-Netz eignet sich ebenso für den Vertrieb von HD-Videos, wie es sich auch als Carrier von HD-TV-Kanälen eignet, deren Zahl weltweit rapide wächst. Die TV-Anbieter können für den Vertrieb praktisch nur zwischen Kabel-TV oder Satelliten-Betreibern wählen, denn HD-TV wird das erste Fernsehen ?ein, das ohne nennenswerte terrestrische Verbreitung durch Funkwellen funktionieren muss.

Für künftige, interaktive HD-Anwendungen sind die langen Laufzeiten des Signals über 72.000 Kilometer Satelliten wiederum keine Verbreitungsoption mehr, hier bleibt nur noch die Glasfaser übrig. Davon haben Google und Verizon zusammen genügend.

(futurezone/Erich Moechel)