Linz sieht in Open Commons die Zukunft
Mit dem Projekt "Open-Commons-Region Linz" will die oberösterreichische Landeshauptstadt Open-Source-Aktivitäten fördern. Im ORF.at-Interview spricht Gerald Kempinger, Geschäftsführer der IKT Linz, über die ersten geplanten Schritte und darüber, warum sich der Kampf "Linux oder Windows" dem Ende nähert.
Noch befindet sich das ehrgeizige Projekt in den Kinderschuhen: Während die Stadt Linz, konkret das Tochterunternehmen IKT Linz GmbH, die Koordination und die Informationsstelle für die rechtlichen Rahmenbedingungen übernehmen will, soll ein unabhängiger Beirat die Kernaufgabe übernehmen, nämlich als "Impulsgeber" für Initiativen im Open-Source-Bereich agieren. Ein klares Konzept, wie die Umsetzung erfolgen soll, gibt es allerdings noch nicht.
Open-Commons-Studie
Im Auftrag der IKT Linz erstellte das Institut für Personal- und Organisationsentwicklung in Wirtschaft und Verwaltung der Johannes-Kepler-Universität Linz in Zusammenarbeit mit dem Linzer Markt- und Meinungsforschungsinstitut eine Potenzialanalyse. Sie erhob unter anderem die Einschätzung regionaler Meinungsträger aus verschiedenen Branchen, die die Stadtverwaltung in ihrer Entscheidung bestärkt.
Demnach bescheinigten zwei Drittel der Befragten Open Source eine "sehr große" oder "große" Bedeutung in der Zukunft, auch wenn zumeist nur Software damit assoziiert wurde. Demgegenüber standen knapp sechs Prozent der Befragten, die bisher bereits an einer Open-Source-Initiative beteiligt waren.
Für knapp die Hälfte ist Open Source bereits "ein Thema" im Unternehmen oder sie können sich dessen Einsatz zumindest vorstellen. Das Hauptargument (62 Prozent) war die Einsparung von Kosten.
Ziel des Projekts ist es, vor allem über freie Software hinaus den freien Zugang zu anderen immateriellen Gütern wie etwa Daten, Bildern und Literatur zu fördern. Nicht die Politik, sondern die Bürger, Communitys und Künstler, aber auch die Wirtschaft sollen dazu animiert werden, Open-Source-Projekte umzusetzen. Die Ergebnisse einer kürzlich vorgestellten Potenzialanalyse stärkt die Stadt in ihrem Bestreben, denn der Großteil der regionalen Meinungsführer sieht demnach eine steigende Bedeutung für Open Source in der Zukunft (siehe links).
Während nach außen hin Open Commons forciert werden soll, ist jedoch innerhalb des Magistrats keine Umstellung auf Linux geplant. Nach Meinung von Kempinger hätten die Linux-Initiativen in Wien und München zwar Teilerfolge gebracht, jedoch gebe es immer wieder Abhängigkeiten von Softwareherstellern, weshalb eine vollständige Umstellung auf Open Source zu hinterfragen sei. Zudem sei die Zeit, in der auf Betriebssystemebene gekämpft werde, vorbei, meint der Geschäftsführer.
ORF.at: In der Studie wird vorgeschlagen, das Projekt nicht Open-Source-, sondern Open-Commons-Region Linz zu nennen, warum?
Gerald Kempinger: Wir wollten mit der Namensgebung schon verdeutlichen, dass es nicht nur um Open Source im Sinne von Software geht, sondern auch um Open Data und Open Courseware. Daraus ist die bisher kaum gebräuchliche Wortkombination Open Commons entstanden. Commons als "Gemeingut", für Dinge, die entstanden sind, und anderen wieder zur Verfügung gestellt werden. Open steht für "frei zugänglich und unter geregelten Bedingungen wieder verwertbar". Es muss nicht immer gratis sein, daraus kann auch etwas Kommerzielles entstehen.
Langfristige Strategie
Die Idee wurde stark aus einer rund um den Linzer SP-Gemeinderat Christian Forsterleitner und Leonhard Dobusch, Post-Doktorand an der Freien Universität, angesiedelten Gruppe forciert. Forsterleitner und Dobusch veröffentlichten 2007 die Publikation "Freie Netze. Freies Wissen", in dem diverse Projekte beschrieben werden, wie der Öffentlichkeit uneingeschränkt und unabhängig von Herkunft und finanziellen Möglichkeiten, Optionen für einen freien Zugang zum vernetzen Wissen geboten werden können. 2008 nahm der Gemeinderat einen Antrag Forsterleitners, in dem die Forcierung von Linz als Open-Source-Region gefordert wurde, einstimmig an.
ORF.at: Was steht hier im Vordergrund: der freie Zugang zu Wissen für alle Bürger oder die Wirtschaft, die dadurch angekurbelt werden soll?
Kempinger: Das Ziel ist, einen Impuls zu geben, so dass sich eine Eigendynamik in der Region entwickelt und entsprechende Projekte entstehen, die auf Open-Commons-Materialien, Informationen, Daten und Werken aufbauen. Die Initiativen können einerseits von Bürgern kommen, wie klassische Communityprojekte, aber auch von Unternehmen. Die Projekte sind auch nicht auf Linz beschränkt, denn gerade in der digitalen Welt gibt es keine Grenzen. Ich würde mir eine Open-Commons-Region Österreich wünschen, wenn das Beispiel weit über Linz hinausgeht.
ORF.at: Welche Aufgaben übernimmt die IKT Linz dabei?
Kempinger: Wir haben den Auftrag, eine Koordinationsstelle einzurichten, die für das Networking sorgt und das entsprechende Wissen über rechtliche oder Lizenzierungsthemen zur Verfügung stellt. Die Studie empfiehlt auch, dass die Stadtverwaltung selbst wieder verstärkt Open-Source-Software einsetzen soll. Hier sind wir natürlich stark gefordert, auch unseren Beitrag zu leisten. Darüber hinaus ist die Einrichtung eines unabhängigen Beirats geplant, mit einem Vertreter der Stadt Linz und Promotoren aus dem Ausbildungs-, Kultur- und Wirtschaftsbereich. Der Beirat soll eigentlich der Politik und auch dem Regionskonzept Impulse geben oder entsprechende Initiativen vorschlagen.
ORF.at: Die IKT soll also primär die Koordination übernehmen, was kann die Stadt Linz darüber hinaus anbieten?
Kempinger: Die Stadt hat enorm viele Informationen und Daten zur Verfügung, deren Generierung eigentlich durch die Allgemeinheit finanziert wird. Warum sollten diese Informationen nicht in einer weiterbearbeiteten Form in einem Open-Data-Projekt zur Verfügung gestellt werden? Wir waren bereits mit der regionalen OpenStreetMap-Community in Kontakt. Deren Aussage war, dass sie nicht das gesamte Datenmaterial der Stadt 1:1 haben wollen, da sie ganz andere Schwerpunkte legen. Jedoch hätten sie Interesse an einzelnen Beständen wie etwa Luftbildern, um Daten abgleichen zu können. Ein Zukunftsszenario wäre eine Vereinbarung zwischen Linz und der Community, so dass diese auf die gewünschten Daten zugreifen kann. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist auch der Ausbildungs- und Lehrmaterialienbereich, wo wir verstärkt mit universitären und Erwachsenenbildungseinrichtungen zusammenzuarbeiten wollen. Warum nicht auch Lehrmaterial als Open-Commons-Material zur Verfügung stellen? Open Courseware ist inzwischen auch international ein bekannter Begriff dafür.
ORF.at: In der Studie wird angesprochen, dass vor allem auch auf gesetzlicher Ebene Anpassungen notwendig sind. Wo sehen Sie die Schwachstellen?
Kempinger: Wichtig ist, dass Klarheit darüber herrscht, was erlaubt ist und was nicht. Die Rechtssicherheit können wir derzeit nur für die Region festlegen, insbesondere Empfehlungen aussprechen und Wissen zur Verfügung stellen. Ob daraus auch Vorschläge an den Gesetzgeber entstehen, das möchte ich nicht ausschließen. Das Wichtigste ist jedoch der Datenschutz. Personenbezogene Daten dürfen in keiner Form unautorisiert in fremde Hände gelangen. Anders ist das etwa bei geografischen Daten. Linz pflegt zur Stadtplanung eigene geografische Daten. Es müsste die Möglichkeiten geben, dass mit diesen Informationen wesentlich offener umgegangen wird. Es gibt jedoch Bereiche, wo das gesetzlich nicht möglich ist, obwohl die Stadt es sich wünscht, etwa bei Katasterdaten.
ORF.at: Laut Studie haben die Unternehmen primär Interesse an einem freien Betriebssystem für PCs. Planen Sie ein eigenes Linux-basiertes System für Linz, ähnlich wie Wienux in Wien?
Kempinger: Nein, es gibt genügend Linux-Distributionen und somit genug Alternativen am Markt. Was die eigenen städtischen Arbeitsplätze angeht: Wenn es Abhängigkeiten von SAP oder anderen Herstellern gibt, wie etwa im Krankenhausbereich, können wir aufgrund der komplexen Zusammenhänge mit Lizenzprodukten nicht auf Open Source umstellen. Das funktioniert technisch nicht. Wir fahren mit den Microsoft-Produkten sehr gut. Für mich ist das nicht "böse", genauso wie das andere nicht ausschließlich perfekt ist. Ein Ziel ist, weitere Abhängigkeiten zu vermeiden und, wo sinnvoll, auch Open Source einzusetzen. Über die Verwendung von Open Office wird derzeit etwa mit dem Magistrat diskutiert.
ORF.at: Das heißt, Sie forcieren zwar Open Source außerhalb der Verwaltung, aber innerhalb nicht?
Kempinger: Das stimmt nicht. Wir haben Projekte, etwa das Redaktionssystem im stadteigenen Intranet, wo Open-CMS (Content Management System, Anm.) und eine SQL-Datenbank eingesetzt werden. Wir haben im Backoffice Initiativen, wo Open-Source-Produkte verwendet werden, insbesondere im Webbereich. Aber Abhängigkeiten von Softwareherstellern kann man nicht ignorieren. Das haben auch Wien und München gesehen. Wir laufen nicht blind in ein Imageprojekt hinein.
ORF.at: Bis dato wurden nur Details aus der STOSS2-Studie in Wien bekanntgegeben. Es macht den Eindruck, als sei der Plan, die Wiener Verwaltung auf Linux umzustellen, nicht aufgegangen.
Kempinger: Die Erfahrungen in Wien wie auch München haben gezeigt, wie schwierig es ist und wie wenig Erfolge sie zu Beginn bringen. Wobei die beiden Städte in Teilbereichen durchaus sehr erfolgreich sind. Nur diese Erwartungshaltung, alle haben nur noch Linux, das kann nicht funktionieren, das hat uns die Praxis gezeigt. Ich glaube, Wien hat klar erkannt, wo die Restriktionen sind, und dass es wirtschaftliche Abhängigkeiten gibt. Ich denke, dass die Diskussion, ob Windows oder Linux am Desktop, eigentlich schon fast der Vergangenheit angehört. Längerfristig geht die Tendenz in Richtung webbasierender Anwendungen. Jeder hat heute schon ein Device, sei es ein Smartphone, Netbook oder Pad, auf dem ein beliebiges Betriebssystem läuft und über Cloud-Technologie auf Anwendungen zugreift.
ORF.at: Wie viel Geld soll in das Projekt fließen und gibt es eine Kosten-Nutzen-Rechnung?
Kempinger: Natürlich gibt es Überlegungen zur Finanzierung, aber die sind derzeit nicht kommuniziert. Auch Wirtschaftlichkeitsüberlegungen wurden noch nicht angestellt, es geht nicht so sehr um eine Gegenrechnung, was kann ich einsparen oder an Ertrag generieren.
ORF.at: Gibt es Vorgaben oder Einschränkungen bei den Lizenzen? In der Analyse wird ein Kriterienkatalog empfohlen, dessen Punkte das "immaterielle Gut" erfüllen sollen.
Kempinger: Wir haben noch keine Vorgaben. Aber wir lehnen uns natürlich stark an Initiativen wie Creative Commons an.
ORF.at: Auch eine Messe wird empfohlen, gibt es bereits Pläne dazu?
Kempinger: Wir wollen einen Kongress oder ein Symposium abhalten, zu dem Interessierte und Fachreferenten - auch international - eingeladen werden, um die Initiativen zu bewerten, zu diskutieren und das Wissen zu verteilen. Gastgeber wird die Stadt Linz sein, aber sinnvoll ist die Veranstaltung erst, wenn sich erste Erfolge zeigen.
ORF.at: Soll sie die Dimension einer Ars Electronica erhalten oder parallel dazu stattfinden?
Kempinger: Das muss noch diskutiert werden, ich möchte aber nichts ausschließen.
ORF.at: Was sind die nächsten Schritte, wie sieht der Zeitplan aus?
Kempinger: Die rasche Einrichtung der Koordinationsstelle. Danach wird ein Vorsitzender zu finden sein, der den Beirat besetzt. Anschließend sollen mit den Communitys die ersten Projekte starten. In einem Jahr sollten die ersten Ergebnisse schon sichtbar sein.
ORF.at: Gibt es Kooperationen oder Gespräche mit anderen Städten, national und international?
Kempinger: Wir haben in der Analysephase versucht, Kontakte mit den Regionen aufzunehmen, mit ganz unterschiedlichem Erfolg. Aber Kooperationspartner zu akquirieren, ob im Bereich der öffentlichen Hand, aber auch mit der Wirtschafts- und der Arbeiterkammer, das wird sicher Thema der ersten Stunde sein. Es gibt auch bereits positive Signale, fixe Partnerschaften haben wir noch nicht vereinbart. Auf internationaler Ebene gibt es Berührungspunkte auf dem universitären Bereich mit Nürnberg und dem deutschen Bundesland Baden-Württemberg. Aber konkrete Kooperationsmodelle gibt es auch hier noch nicht.
(futurezone/Claudia Glechner)