
"Der Konsument soll sich emanzipieren"
Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie [ZKM] in Karlsruhe wird heuer zehn Jahre alt. Im ersten Teil eines Interviews mit ORF.at spricht ZKM-Chef Peter Weibel über den Museumsbesucher als Künstler, die Emanzipation des Konsumenten und Monopolansprüche der Industrie.
Mit zahlreichen Ausstellungen, darunter "net_condition" [1999], CTRL Space [2001/2002] und Making Things Public [2005], widmete sich das im Oktober 1997 gegründete ZKM in den vergangenen Jahren dem Wechselverhältnis zwischen Technologie und Gesellschaft. Daneben fungiert das ZKM auch als Produzent von Medienkunst und unterhält unter anderem eine Abteilung für Grundlagenforschung.
Das Jahrhundert des Konsumenten
Aber auch die Besucher werden im ZKM zunehmend zu Künstlern. Mit neuen Kommunikationsformen wie User Innovation und Consumer Generated Content verbindet Peter Weibel die Hoffnung auf eine Emanzipation der Konsumenten gegenüber den Monopolansprüchen von Kapital und Industrie.
Zur Person: Peter Weibel
Der Künstler, Ausstellungskurator und Medientheoretiker Peter Weibel ist seit 1999 Vorstand des ZKM, das unter seiner Führung zu einem der spannendsten Orte der kritischen Auseinandersetzung mit den Entwicklungen der Informationstechnologie geworden ist.
Das Jubliäumsjahr begeht das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie unter anderem mit der Ausstellung "Mindframes", die an die wohl erste Medienakademie der Welt an der New York State University in Buffalo erinnert. Buffalo prägte in den 1970er und 1980er Jahren die Medienkunst von Filmemachern, Videokünstlern und Theoretikern wie Hollis Frampton, Woody Vasulka, Gerald O'Grady und auch Peter Weibel. "Midframes" läuft noch bis zum 18.3.2007. Die Schau "Bit International" widmet sich dem Aufstieg der computergenerierten Kunst in den 1960er Jahren (20.10.2007-19.10.2008).
Die auch aus dem Internet zugängliche Ausstellung "Flick_Ka" will bis Oktober 2007 das demokatische Versprechen der Fotografie einlösen und Porträts aller Bürgerinnen und Bürger von Karlsruhe im ZKM und im Internet zeigen.
ORF.at: Als sie 1999 an das ZKM berufen wurden, haben sie erklärt, das ZKM zu einem Leitmodell auch für andere Museen machen zu wollen. Ist das gelungen?
Weibel: Das hat sich bewahrheitet. Aber Leitmodell kann man nur sein, wenn man nachher imitiert wird. Wir waren die Ersten, die audiovisuelle Materialien und Musik gleichberechtigt in Ausstellungen integriert haben. Unser Slogan war es immer, ein Museum aller Gattungen und aller Medien zu sein.
Andere Museen sind diesem Diktat der bürgerlichen Kultur gefolgt. Sehr viele Museen, etwa das Centre Pompidou und auch das MOMA in New York haben ja eine Filmabteilung. Nur aus alter Konsumgewohnheit zeigen sie die Filme nach Museumsschluss im Keller. Das ist noch immer so wie in der bürgerlichen Kultur: Man kann vielleicht am Nachmittag ins Kino gehen, das machen aber nur Jugendliche, ich bin ja als Erwachsener im Produktionsprozess. Am Abend geh ich ins Kino und ins Konzert.
Das ZKM hat aber auch inhaltlich eine Vorreiterrolle gespielt. Wir haben immer auch die Gedächtnisfunktion des Museums betont und große Kataloge zu unseren Ausstellungen gemacht. Man muss auch wissenschaftlich und methodisch arbeiten, nicht nur kunsthistorisch, sondern kunstwissenschaftlich, das ist wichtig. Wir machen große Recherchen, die bis zu zwei Jahre dauern.
Wir haben auch Künstler entdeckt, die daraufhin internationale Beachtung fancen, wie etwa Olafur Eliasson und Strömungen wie die Kinetik und die OpArt wiederentdeckt. Es ist so, wie Max Hollein, der Leiter der Frankfurter Schirnkunsthalle in einem Text über mich geschrieben hat: "Wer mit Peter Weibel ist, ist immer vorneweg".
ORF.at: In Ihrer aktuellen Ausstellung "Mindframes" können die Besucher die gezeigten Filme auch am Computer bearbeiten und so am Gestaltungsmonopol des Künstlers rütteln.
Weibel: Das Zentrum der Ausstellung bildet eine Studio-Laborsituation - in der jeder Künstler eine Box hat. Besucher können die Filme, die sie sehen wollen, selbst auswählen. Bei einigen Filmen - wie etwa bei Paul Sharits Flicker-Filmen oder bei Hollis Framptons "Zorns Lemma", stellen wir auch Computer und Peripheriegeräte bereit, mit denen Besucher Effekte steuern oder die Filme neu zusammensetzen können. Dadurch lernen sie die Prinzipien des Werkes kennen.
ORF.at: Einige der Filme sind im Rahmen des Projektes OASIS [Open Archiving System] auch über das Internet zugänglich. Werden sie auch über das Netz bearbeitet werden können?
Weibel: Es gibt da natürlich eine Reihe von rechtlichen Fragen. Aber ich würde es sehr begrüßen. Es würde den Leuten klarmachen, dass alle Texte und alle Bilder immer einen Ursprung haben.
Man tut so, als würde der Künstler Bilder erfinden. Was würde jemand malen oder schreiben, der noch nie ein Buch gelesen hat? Der würde gar nicht schreiben können! Es ist nur eine Frage, in welchem Maß man Variationen erreicht, in welchem Maß man sich vom ursprünglichen Text entfernen kann.
Werden diese Prozesse erst einmal mechanisiert und formalisiert, lernen wir sehr viel über sie. Wenn die Computer uns Möglichkeiten zum Umschreiben bieten, dann ist das eine ziemliche neue Definition dessen, was wir in der Kultur machen.
Warum soll das also einem "angeblichen" Künstler erlaubt sein und nicht einem "angeblichen" Amateur? Das Netz wird dazu führen, dass das Verständnis für die kulturellen Prozesse steigen wird.
ORF.at: Das ZKM will künftig auch auch eine Plattform für Kommunikationsprojekte wie User Innovation und Consumer Generated Content sein. Wo liegen die Potenziale dieser medialen Formen?
Weibel: Im ZKM läuft derzeit die Ausstellung "Flick_Ka", mit der ich erreichen möchte, dass alle Besucher des Museums und auch alle Bürgerinnen und Bürger von Karlsruhe - das sind immerhin mehr als 250.000 - im Museum zu sehen sind.
Wenn sie Bilder von sich bringen, sind sie einerseits selbst Künstler und anderseits auch die Porträtierten. Damit sind nicht nur mehr berühmte Leute im Museum, die Kaiser und Könige, sondern auch der einfache Bürger, und der ist somit auch als Künstler im Museum vertreten.
Weibel: Mir ist das Emanzipatorische und das Demokratische wichtig. Porträtmalerei war den Reichen und Berühmten vorbehalten. Die Malerei war eine Kunst von wenigen für wenige. Es gab nur wenige gute Künstler und nur wenige reiche und berühmte Leute konnten es sich leisten, die Kompetenz eines Malers anzumieten. Die Malerei ist demnach ein aristokratisches Medium.
Die Fotografie ist hingegen ein demokratisches Medium. Jeder kann ein Foto machen, jeder kann jeden fotografieren. Das Museum hat der Fotografie aber keinen Ort gegeben, der ihrer Natur entsprechen würde. Das Netz ist der erste Ort geworden, an dem es möglich ist, Fotografie adäquat auszustellen. Insofern ist das Netz der wichtigste Schauplatz der Künstler, der wichtigste Ort der Künstler geworden.
Weibel: Das demokratische Versprechen der Fotografie gilt natürlich auch für alle andere Medien. Wenn jemand einen Film macht mit seinem Handy, dann muss er auch die Möglichkeit haben, diesen Film bei mir im Museum zu sehen und ich gebe ihm auch die Möglichkeit, etwas dazuzulernen, mit Analysetools und Programmen, mit denen er die Filme verändern kann, sodass er in tatsächliche künstlerische Prozesse involviert ist.
Die Besucher bringen das Material mit und sehen ihre eigenen Filme. Das ist ein gigantischer Unterschied zur bisherigen Interaktion, bei der ich nur einen Knopf zu drücken brauchte. Der Besucher gibt seinen Film künstlerisch in Alogrithmen, in Software-Prozesse hinein, sein Material bleibt so auch Teil des Kunstwerkes.
ORF.at: Die Demokratisierung der technologischen Möglichkeiten führt auch dazu, dass jetzt potenziell alle Leute mit Problemen konfrontiert sind, mit denen sich früher nur professionelle Urheber herumschlagen mussten, etwa Klagen wegen Urheberrechtsverletzungen.
Weibel: Die Technik schafft neue Möglichkeiten. Diese wecken soziale Kräfte, die die neuen Möglichkeiten zurückbinden möchten. In dem Augenblick, in dem jeder Künstler werden könnte, treten soziale Kräfte mit Monopolansprüchen auf und verklagen Leute, die die technischen Möglichkeiten nützen. So sind die sozialen Zustände: Monopol, Eigentum, et cetera, et cetera.
Das heißt, wir sehen in den sozialen Zuständen eine verfassungsmäßige Lücke. Das ist ein Versagen der Politik. Die Verfassung, auf der unser Staat beruht, wurde im Prinzip im 18. Jahrhundert geschrieben, dann ist sie in den 20er und 30er Jahren umgeschrieben worden. Wenn heute jemand einen Pelzmantel stiehlt, bekommt er zehn Jahre, wenn jemand einen anderen umbringt, kriegt er drei Jahre. Das Eigentum ist viel wichtiger als der Schutz der Person, das war genau die nationalsozialistische Ideologie.
Es gibt drei Arschlöcher der Geschichte: Das erste war der Sklave, das zweite der Arbeiter und das dritte ist der Konsument. Die Hoffnung ist - und das ist auch das Ziel meiner Ausstellung "You - Century of the consumer" - dass der Konsument sich emanzipiert und seine Rechte einfordert.
Man kann den Leuten nicht Spielzeuge in die Hand geben und dann die Möglichkeiten, die sie dadurch haben, durch proprietäre Ansprüche einschränken. Die Konsumenten müssen das einfordern. Wenn ich ein Gerät kaufe, dann will ich damit machen dürfen, was es kann und nicht nur 50 Prozent davon benutzen können.
Wir haben keine demokratische Verfassung. In diese Lücke stoßen die Wirtschaft, die Industrie und das Kapital. Die sagen, das ist unser Eigentum, das sind unsere Rechte und das wird verteidigt. Es wäre höchste Zeit, das zu ändern. Es wird aber nicht anders gehen als durch eine - wahrscheinlich - gewaltsame Revolution. Die Industrie und das Kapital werden den Konsumenten ihre Rechte nicht freiwillig hergeben.
Schöner wäre es natürlich, wenn wir uns eine realitätskonforme Verfassung selber schreiben würden. Aber das ist nach dem jetzigen Stand der Inkompetenz unserer Politiker kaum vorstellbar.
Der zweite Teil des Interviews mit Peter Weibel ist am Donnerstag in der futurezone zu lesen. Darin spricht Weibel unter anderem über die Bedeutung der Forschung für die Medienkunst und die Rolle des Medienkünstlers im Zeitalter des User Generated Content.
(futurezone | Patrick Dax | Günter Hack)