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EU: Konfliktfeld Digitale Agenda

STRATEGIE
31.08.2010

Im Rahmen des 11. Salzburger Telekom-Forums stellte Bernd Langeheine, Direktor für Electronic Communications Policy in der EU-Kommission, die wichtigsten Punkte der Digitalen Agenda vor. ORF.at wollte von Langeheine wissen, wie die Kommission derzeit zu Themen wie Internetsperren, Netzneutralität und Datenschutz steht.

"Die Agenda ist kein abstraktes Konzept, das nach ein paar Monaten in den Schubladen verschwindet", erklärte Langeheine in Salzburg. Vielmehr solle es die Basis für eine nachhaltige Entwicklung der digitalen Zukunft sein.

Unter anderem sieht die Agenda vor, dass allen EU-Bürgern bis 2013 Breitband, laut Langeheine "die Lebensader der neuen digitalen Gesellschaft", zur Verfügung stehen soll, bis 2020 gar mit einer Geschwindigkeit von 30 Mbit/s.

Zur Person:

Bernd Langeheine ist Jurist und Politikwissenschaftler und arbeitet seit 1983 auf verschiedenen Posten für die EU-Kommission. Seit 2002 ist der Deutsche in der Generaldirektion für den Bereich Informationsgesellschaft als Direktor für elektronische Kommunikationsdienste tätig, wo er unter anderem für die Grundzüge der europäischen Telekom-Regulierung zuständig ist.

ORF.at: Mit der "Digitalen Agenda" hat die EU-Kommission ein sehr umfassendes Programm vorgestellt. Wo liegen Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Umsetzung?

Bernd Langeheine: Ich denke, es gibt zwei große Herausforderungen. Erstens müssen wir, um Erfolg zu haben, die Unterstützung aller beteiligten Parteien haben. Damit meine ich die Unterstützung der Industrie, der nationalen Regulierungsbehörden, der nationalen Telekompolitiker und die Unterstützung der Mitgliedsstaaten und des Europäischen Parlaments. Es sind hier eine Reihe von Zielen genannt, die auch europäische Rechtssetzung beziehungsweise deren Änderung erfordern, zum Teil sehr weitgehend, zum Beispiel im Bereich Urheberrecht. Das kann nur gelingen, wenn wir uns über die Ziele einig sind und wenn wir es insgesamt schaffen, in dieselbe Richtung zu gehen und diese Ziele zügig umzusetzen. Die Herausforderung für die Kommission besteht darin, sich noch besser zu organisieren, es gibt ja eine Reihe von Initiativen, die ressortübergreifend sind. Da brauchen wir eine bessere schlagkräftige Zusammenarbeit. Wir müssen Teams bilden, auch die Kommissare müssen Teams bilden, in denen dann Dinge angegriffen werden wie der digitale Binnenmarkt, mobile Zahlungen, Verbesserung der digitalen Kenntnisse, besserer Schutz und mehr Vertrauen ins Internet.

Das im Mai vorgestellte Programm der Digitalen Agenda umfasst 100 Initiativen und 31 Gesetzesvorhaben auf Unionsebene. Zuständig dafür ist Kommissarin Neelie Kroes.

ORF.at: Zum Thema Vertrauen und Sicherheit steht in der Digitalen Agenda, man wolle "weder Big Brother noch Cyber Wild West" im Internet. Können Sie nachvollziehen, wenn Internetnutzern in Zeiten von Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, ACTA, SWIFT und so weiter die Bürgerrechte im Netz zu kurz kommen und sie sich eingeschränkt fühlen?

Langeheine: Ich denke, dass wir sehr darauf aufpassen müssen, dass es nicht so weit kommt. Wir sind noch nicht an diesem Punkt angelangt, aber es gibt im Internet eine Reihe von Gefährdungen. Es werden immer mehr digitale Daten gesammelt, es gibt immer mehr Datenbanken, die auch miteinander vernetzt oder in Verbindung gebracht werden. Es können Profile erstellt werden, es können Bewegungsprofile erstellt werden. Ich denke, man muss hier darauf achten, dass man zwei Dinge miteinander in Einklang bringt: Zum einen muss man den Bürger hinreichend schützen. Er muss selbst in der Lage sein, zu bestimmen, was über ihn in der Welt verbreitet und gespeichert wird - innerhalb gewisser vernünftiger Grenzen. Zum anderen muss auch die digitale Wirtschaft in der Lage sein, die Möglichkeiten, die das Internet bietet, zu nutzen. Das heißt, wir dürfen weder den Schutz übertreiben noch das Cyber Wild West, dass alles möglich ist im Internet. Sie haben die Vorratsdatenspeicherung angesprochen - das ist natürlich ein heikles Thema. Die Kommission wird im Herbst einen Erfahrungsbericht vorlegen, um zu erklären, wie das bislang funktioniert hat. Es handelt sich hier um Verbindungsdaten, keine Inhalte. Die Daten werden gespeichert und wurden ja auch vorher schon gespeichert von Unternehmen, die sie ja für Rechnungszwecke und andere Zwecke benutzt haben. Jetzt sind sie unter gewissen engen Voraussetzungen zugänglich und da muss man sehen, inwieweit man diese Voraussetzungen noch etwas einschränken kann. Indem man etwa sagt, das geht wirklich nur noch für ganz schwere Verbrechen. Da muss man dem Bürgerschutz und dem Bürgerinteresse Rechnung tragen. Im Übrigen denke ich, dass die Bürger auch selbst in ihrem Bewusstsein geschärft werden müssen, was überhaupt alles an Daten über sie existiert. Ich glaube da sind wir uns alle darüber einig, dass es noch viel Arbeit gibt.

ORF.at: Ein vieldiskutiertes Thema, das in der Agenda nicht explizit eingearbeitet wurde, sind die Netzsperren. Welchen Weg will die Kommission hier einschlagen?

Langeheine: Ich denke, dass diese Debatte noch weitergeführt werden muss. Man ist sich wohl einig, dass gewisse Inhalte blockiert werden sollen. Bei Kinderpornografie gibt es, glaube ich, keine zwei Meinungen. Aber die Frage ist natürlich, ob man letztlich nicht zu weit geht. Wird da zu viel blockiert, ist das zuverlässig genug in der Feinabstimmung? Und vollständige Sperren haben natürlich immer ein bisschen den Beigeschmack von Zensur. Das sollte man vielleicht beschränken auf ganz krasse Fälle. Im Zweifelsfall sollte man sicherlich auf die Lösung "notice and take down" Bezug nehmen. Ich denke dass das letztlich doch eher den Freiheiten im Internet gerecht wird.

ORF.at: Wie will sich die Kommission künftig in Sachen Internetverwaltung positionieren? Die USA sind weiterhin bestrebt, das Netz unter ihre Kontrolle zu bringen.

Langeheine: Ich denke, dass die Verwaltung des Internets letztlich auch auf internationaler Ebene vorgenommen werden soll. Ich weiß, dass die USA da besondere Sicherheitsbedenken haben und für sich selbst auch eine gewisse historische Verantwortlichkeit reklamieren. Ich denke aber, dass wir auf internationaler Ebene eine gute Kooperation erreicht haben und dass wir auch so weit Vertrauen gegeneinander aufbringen sollen, dass wir versuchen, Lösungen zu finden, die eine angemessene Beteiligung auch von anderen Wirtschaftsregionen und Regierungen sicherstellen. Dass es alle UN-Mitglieder sein müssen, darüber kann man sicherlich streiten. Es muss auf jeden Fall auch praktikabel sein. Ein kleineres Gremium, wie etwa das Governmental Advisory Committee (GAC; der ICANN, Anm.), ist, glaube ich, eine gute Grundlage. Ich bin da selber gesessen bis 2005 und mittlerweile nicht mehr zuständig, das ist also meine persönliche Meinung. Ich glaube, wir müssen mit den USA eng zusammenarbeiten, aber letztlich darauf hinarbeiten, dass wir eine international ausgeübte Kontrolle über das Internet bekommen.

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ORF.at: Apropos Kontrolle: Wie steht es um die Netzneutralität? Dazu läuft ja derzeit auch eine EU-Konsultation. Wie geht es weiter?

Langeheine: Wir werden die Konsultation zusammenfassen und die Probleme beschreiben, auch die Terminologie. Oftmals verstehen ja verschiedene Personen unter Netzneutralität völlig verschiedene Dinge. Ich persönlich denke, dass Netzneutralität eine gute Sache ist, aber man darf daraus kein zu rigoroses Modell machen. Es gibt durchaus Situationen, wo eine Differenzierung sinnvoll sein kann, ökonomisch gesehen. Eine gewisse Differenzierung im Sinne eines Traffic Managements haben wir ja heute schon für ganz weite Bereiche. Was natürlich nicht akzeptabel ist, dass wettbewerbswidrige Praktiken damit einhergehen. Und was auch nicht akzeptabel ist, ist, dass der Internetgebrauch für andere Nutzer dadurch Schaden nimmt. Ich weiß, dass es da immer wieder das Argument gibt, was mit den Erfindern und den kleinen Garagenbetrieben wird, und ob die dann noch entsprechend Innovationen betreiben können. Es kommt darauf an, was das für eine Innovation ist. Für die meisten wird das nach wie vor bei weitem ausreichend sein. Wenn die Innovation darin besteht, sich eine Bibliothek mit hunderttausend Videos anzulegen und die weltweit zu vertreiben, dann brauche ich natürlich enorme Datenmengen. Ob Sie dann sagen können, ich möchte aber das ganze Internet haben, damit ich diese neue Geschäftsidee vorbringen kann, darüber kann man dann sicherlich streiten. Mit anderen Worten: Traffic Management mit Maßen, in bestimmten Situationen, ist durchaus ökonomisch sinnvoll, auch im Interesse des Verbrauchers. Stellen Sie sich vor, Telemedizin, wenn da die Verbindung abbricht oder nicht hundertprozentig garantiert wird. Aber mutwilliges Blockieren von Websites, um damit wettbewerbswidrige Ziele zu verfolgen, wollen wir verhindern. Auch, dass der Internetgebrauch insgesamt eingeschränkt wird. Aber solange das garantiert wird, halte ich das nicht für problematisch. Man muss ja auch überlegen, wer letztlich für den ganzen Netzausbau bezahlen soll. Sollen das nur die Nutzer bezahlen? Gibt es dann eine stärkere Preisdifferenzierung: Derjenige, der jeden Tag zehn Filme herunterlädt, muss der mehr bezahlen als die nette alte Dame, die fünf E-Mails liest am Tag? Andererseits, warum sollen Provider von Inhalten nicht auch entsprechend partizipieren beim Ausbau von Netzen? Die benutzen diese Infrastruktur, die verdienen damit Milliarden an Dollars und Euros. Dass da die Idee aufkommt, dass auch eine gewisse Beteiligung am Netzausbau damit einhergeht - finanziell -, das überrascht glaube ich keinen.

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(futurzeone/Nayla Haddad)