© Bild: Thomas bredenfeld, bredenfeld.com , Cyberarts

Bewegter Raster und gesprächiges Geschirr

DIGITALE KUNST
05.09.2010

Die hochkarätigste Ausstellung der Ars Electronica ist jedes Jahr die Präsentation der preisgekrönten Arbeiten und derer, die mit einem Award of Distinction oder einer Honorary Mention ausgezeichnet wurden. ORF.at hat die Schau besucht und stellt ausgewählte Werke der interaktiven Kunst, der Medienkunst und der digitalen Musik daraus vor.

Die diesjährige Ars Electronica findet in der Linzer Tabakfabrik ein Ambiente mit einmalig großem Platzangebot vor, das im Gegensatz zum sonst mit der Preisträgerausstellung "CyberArts" bespielten OK-Museum ganz andere Inszenierungen zulässt. In den Magazinetagen des ehemaligen Zigarettenlagers der 1929 bis 1935 von Industriearchitekturpionier Peter Behrens gebauten Fabrik stehen die Arbeiten zum Teil sehr isoliert und lassen sich so oft frei von Ablenkungen durch andere Werke betrachten.

Auch verlieren sich hier (im Gegensatz zum OK) selbst größere Besuchermengen auf Tausenden von Quadratmetern Geschoßfläche, eine völlig andere Betrachtungssituation als sonst also, die vielen Werken guttut.

Geahnte Landschaften

Der Gewinner der Goldenen Nica in der Sparte "Digital Musics & Sound Art", Ryoichi Kurokawa, stellt in seiner Arbeit fünf hochkant montierte Großbildschirme nebeneinander auf wie ein klassisches mehrteiliges Tafelbild. Darüber ist jedem Screen eine eigener Lautsprecher zugeordnet. Die Arbeit kombiniert eng verzahnt visuelle und akustische Komponenten. Teilweise einzeln, teilweise über mehrere Schirme oder über alle, werden über längere Strecken abstrakte Animationen aus dünnen Linienstücken gezeigt.

Manchmal fallen sie zu einer horizontalen "Nulllinie" zusammen, manchmal zucken sie nervös in farbigen Explosionen auf und werden von Sounds begleitet, die an Funken, Kurzschlüsse oder ferne Detonationen erinnern. Hier und da verdichten sich diese Animationen, breiten sich auf alle fünf Schirme aus und lassen entlang der erwähnten Nulllinie ahnbare, landschaftliche Strukturen entstehen, die sich dann einige Male während des langen Loops der Arbeit tatsächlich zu verschneiten, canyonartigen Landschaftstableaus verdichten und von ruhigeren Soundflächen begleitet werden, in denen man Meeresrauschen oder Wind zu erkennen glaubt.

Diese gegenständlich anmutenden Strukturen lösen sich aber rasch wieder auf und lassen den vertrauten Eindruck schnell wieder verblassen. Visuell überschreitet dieses Werk selten die Grenze zum vollständig Erkennbaren. Die Musik mit ihren abstrakten und perkussiven Geräuschen vertreibt rasch wieder die hier und da sichtbaren, realistisch anmutenden Bildeindrücke, von denen man nie sagen kann, ob ihnen Fotografien zugrunde liegen oder ob die eigene Einbildung produziert, was man sieht. Eine Liveversion der Arbeit wird in der traditionellen "Langen Konzertnacht" des Festivals aufgeführt.

Motorisierter Naturton

Ebenfalls im Bereich "Digital Musics & Sound Art" ist das Werk mit dem technisch ausführlichen Titel "216 prepared dc-motors / filler wire 1.0mm, 2009" angesiedelt. Der Schweizer Künstler mit dem Pseudonym Zimoun beschreibt mit diesem sperrigen Titel auch gleich die wichtigsten Bestandteile seiner Arbeit. An der Oberkante einer etwa 20 Meter breiten Holzwand sind 6 x 6 x 6 kleine Gleichstrommotoren angebracht, die jeweils einen frei hängenden Draht drehen.

In einfachster Weise sind die Motoren mit Rohrschellen an der Sperrholzwand befestigt und die Drähte mit Elektroklemmen an die Motorachsen angeschraubt. Es gibt außer der Gleichstromversorgung keinerlei Elektronik. Alles ist offen zu sehen und bietet auf den ersten Blick lediglich den Eindruck einer sauber gemachten Heimwerkerarbeit.

Der komplette Gegensatz zu dieser Einfachheit ist der Ton, den das Kunstwerk produziert. Zuerst hört man ein Prasseln, das das Schlagen der rotierenden Drähte auf der Holzplatte erzeugt. Es erinnert deutlich an schwere Regentropfen, die auf ein Blechdach fallen. Die große Anzahl der Klangerzeuger webt dabei ein Muster, das die Dichte des Regens als Naturton eindringlich nachempfindet. Durch die große, schallabstrahlende Fläche der Holzwand füllt das Werk den gesamten Raum mit einem allgegenwärtigen Klangteppich, dem man sich kaum entziehen kann.

Bleibt man länger in diesem Raum und geht etwas näher an die Wand heran, stellt sich ein interessanter Effekt ein: Man beginnt, einen Chor zu hören und meint, dabei tiefe Männerstimmen wahrzunehmen. Die Schläge der Drähte sind Impulse, die ja vor allem unharmonische Obertöne haben. Durch die Vielzahl der Klangerzeuger und die leicht unterschiedlichen Motordrehzahlen, die selbst gar nicht hörbar sind, bauen sich zufällig immer wieder Oberwellen und Schwebungen davon auf, die leise hörbare harmonische Ergebnisse haben. Die frappante Einfachheit des Werks produziert einen hochkomplexen Klang, der nach längerem Zuhören eine unwirkliche, vielstimmige Schönheit entfaltet.

Auch wenn die Arbeit so gar nichts mit hochtechnischer digitaler Klangerzeugung zu tun hat, wie man in dieser Ausstellung erwarten möchte, so zeigt doch die intensive Forschung des Künstlers an vielfach multiplizierten, aber oft simplen Klangerzeugungsmechanismen die Herkunft dieser Arbeit und das physische Verständnis für diese komplexen Sounds.

Mechanische Zeitlupe

Gerade weil wir mittlerweile Bilder von Super-Highspeed-Kameras mit extremen Zeitlupen gewöhnt sind, zum Beispiel vom Sport, hat die Arbeit des amerikanischen Künstlers Jonathan Schipper mit dem Titel "Measuring Angst" einen besonderen Reiz. Physisch vor den Augen des Betrachters wird eine aufgehängte Glasflasche in einer komplexen mechanischen Aufhängung bei ihrer Zerstörung sehr stark verlangsamt.

Die Einzelteile der Flasche bewegen sind an Halterungen, die sich vielfältig in alle möglichen Raumrichtungen bewegen lassen, sehr langsam vom ursprünglich intakten Zustand hin zu sich im Raum drehenden Scherben. Das geschieht auch, wie beim Zurückspulen eines Videos, wieder retour. An einem Schlitten an der Decke kann sich die Aufhängung der Flasche im Raum vor und zurück sowie auf und ab bewegen und drehen. Die in der dunklen Halle effektvoll beleuchtete Flasche zwingt den Besucher in ungewohnter Weise durch diese "mechanische Zeitlupe" zur Geduld bei der Betrachtung, ein sehr wirkungsvoller Kontrast zu den vielen atemlosen Videosequenzen im Kontext der gesamten Ausstellung.

Bewegter Raster

Das "Framework f5x5x5" des vierköpfigen Brüsseler Künstlerkollektivs LAb[au] ist eine Matrix aus interaktiven Elementen, die auf den Besucher und die Umgebung reagiert, sich aber auch selbstständig verändert. Die 375 (5 x 5 x 5) Rahmenfelder, die sowohl horizontal als auch vertikal drehbar sind, haben eine schwarze und eine weiße Seite sowie weiß oder rot leuchtende Kanten. Die Elemente des Rasters können sich sowohl in einer planen Fläche anordnen als auch in verschiedenste Raumwinkel kippen.

Diese Vielfalt des Aussehens im Raum, das sich über die Zeit in unregelmäßigen Intervallen verändert, und die kaum merkbaren Zusammenhänge zwischen Umgebung und Verhalten lassen diese Skulptur ein Eigenleben bei der Bewegung ihrer Einzelteile und bei deren Farbigkeit führen. Gemeinsam mit "Measuring Angst", in einem großen, abgedunkelten Raum der CyberArts-Ausstellung gezeigt, sind beide Arbeiten Beispiele, in denen die komplexe elektronische Steuerung des Kunstwerks zugunsten der visuell-physischen Komponente versteckt wird und nicht separat in Erscheinung tritt.

Gesprächiges Geschirr

Eine sehr poetische Arbeit ist "Whispering Table" ("Tischgeflüster"). Diverses Geschirr steht auf einem schwarzen Tisch. Erst nach einem Moment bemerkt man leises Geflüster und kleine Löcher in der Mitte der Teller und Schüsseln, in denen kleine Lautsprecher die Quelle dieser Töne sind. Die Geschirrteile kann man hochheben, worauf sie lauter werden, deutlicher sprechen und Geschichten erzählen, über Essen, Trinken und Mahlzeiten in verschiedensten Kulturkreisen. Die Teile "bemerken" auch, wer ihre "Nachbarn" sind, und ändern ihre Geschichten. Das fünfköpfige Team The Green Eyl bekam für diese Arbeit eine Honorary Mention.

Wie das Kunstwerk "arbeitet", bleibt dem Besucher verborgen. Die Geschirrteile haben keine Kabel, neben dem Lautsprecherloch gibt es an ihnen lediglich eine metallene Unterseite und auf dem Tisch ist ebenfalls nichts erkennbar, was die Funktionsweise erklären könnte. Dieses Nicht-Offensichtliche der Funktion macht einen Teil des Reizes aus, den dieses Werk auf den Betrachter ausübt.

Dezentere Technik

Die Mehrheit der genannten Arbeiten steht exemplarisch für einen Trend in der elektronischen Kunst beziehungsweise Medienkunst, der interaktive Funktionen, deren Steuerung und technologische Innovationen, die dahinterstecken, stark zurücknimmt und dezent versteckt, um all das einer klaren Aussage und der Gesamterscheinung des Kunstwerks unterzuordnen. Etwas blumig könnte man sagen, dass zumindest einige Medienkünstler schön langsam draufkommen, wie man einem Werk sein Geheimnis (zurück)gibt.

Die Notwendigkeit der künstlerischen Mittel, die Kandinsky postuliert hat, nimmt in langsam zunehmendem Umfang den Platz einer großen Technikverliebtheit und -begeisterung ein, die in den vergangen Jahren weite Bereich dieser Kunstsparte gekennzeichnet hat, ganz besonders hier auf der Ars Electronica.

(Thomas Bredenfeld)

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