© Bild: Diaspora, Diaspora-Logo

Diaspora: Offen gegen Facebook

SOZIALE NETZWERKE
06.09.2010

Das Team hinter dem Projekt Diaspora verspricht ein Soziales Netzwerk auf Open-Source-Basis, das die Privatsphäre beachtet und den Nutzern die Kontrolle über ihre Daten gibt und will damit Facebook & Co. Konkurrenz machen. Mitte September wird der Quellcode veröffentlicht. Einen Monat später soll eine Public-Alpha-Version für Endnutzer bereitgestellt werden. ORF.at hat Maxwell Salzberg von Diaspora über das Projekt befragt.

Anfang Mai reichten vier Studenten der New York University beim Crowdfundingdienst Kickstarter ein Projekt für ein auf Open-Source-Software basierendes dezentrales Soziales Netzwerk ein. Damit sprachen sie offenbar ein weit verbreitetes Bedürfnis an. Ihr selbstgestecktes Ziel von 10.000 Dollar hatten sie innerhalb weniger Tage erreicht. Ein veritabler Medienhype folgte. Insgesamt sammelten sie mehr als 200.000 Dollar für Diaspora ein. Nach einem arbeitsreichen Sommer und der Übersiedlung von New York nach San Francisco sollen Code und Referenzimplementation bald der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

"Wir wollen Leute die Werkzeuge in die Hand geben, die es ihnen ermöglichen, über ihre Informationen zu verfügen", sagte Maxwell Salzberg am Wochenende beim Open-Source-Life-Symposium bei der Ars Electronica in Linz. Bei der Entwicklung von Diaspora bauten Salzberg und seine Mitstreiter Daniel Grippi, Raphael Sofaer und Ilya Zhitomirskiy auf offene Standards und Protokolle auf. Im Gespräch mit ORF.at erzählt Salzberg über die Entwicklung des Projekts und die weiteren Pläne des jungen Teams.

ORF.at: Diaspora hat im Frühjahr für einen regelrechten Medienhype gesorgt. Auf der Crowdfundingplattform Kickstarter haben Sie mehr als 200.000 Dollar dafür eingesammelt. Waren Sie vom Enthusiasmus für Diaspora überrascht?

Salzberg: Bevor wir unser Projekt auf Kickstarter angeboten haben, haben wir innerhalb des Teams darüber debattiert, ob wir 8.000 oder 10.000 Dollar als Ziel angeben sollten. Wir sind davon ausgegangen, dass das Projekt nur einige Leute interessieren wird, die in der Free-Software-Community aktiv sind. Wir konnten es nicht glauben, dass wir unser Ziel bereits nach zehn Tagen erreicht hatten. Im Grunde waren wir nur vier verrückte Jungs. Ein Artikel in der "New York Times" hat das dann explodieren lassen. Was uns wirlich überrascht hat war, dass wir von fast 6.500 Leuten unterstützt wurden. Darunter waren nicht nur Leute, die sich mit Open-Source-Software beschäftigen. Die Aufmerksamkeit, die wir für Diaspora bekommen haben, hat uns natürlich auch in unserer Leidenschaft für das Projekt bestätigt.

ORF.at: Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe für diesen Enthusiasmus?

Salzberg: Viele Nutzer sind mit den bestehenden Sozialen Netzwerken nicht zufrieden. Ich denke, es gibt tatsächlich einen dringenden Bedarf nach Alternativen. Wir haben auch einen guten Zeitpunkt erwischt. Damals gab es sehr viel Aufregung darüber, wie Facebook mit den Daten seiner Nutzer umgeht. Es war also auch Glück. Wir haben gesagt, wir wollen etwas unternehmen, und wir haben das sehr ernst genommen, und wir machen es leidenschaftlich. Ich glaube, dass die Leute das sehr schätzen. Wir werden in gewisser Weise von den Entwicklungen überrollt. Nachdem wir Ende August auf unserem Blog ein Update zu dem Projekt veröffentlicht haben, hat sich die Anzahl der Abonnenten unserer Mailingliste verdoppelt. Der Hype ist gut. Aber es ist natürlich auch Hype, und das zu einem sehr frühen Zeitpunkt. Wir haben gehofft, dass sich die Aufregung ein bisschen legt und wir Diaspora mit einer kleinen Gruppe von Leuten ausprobieren können. Es ist alles ein bisschen verrückt. Aber das ist auch ganz in Ordnung so.

ORF.at: Vor Kurzem haben Sie die Veröffentlichung des Codes für Mitte September angekündigt. Wie sieht der weitere Fahrplan aus?

Salzberg:Wir veröffentlichen am 15. September den Source Code für Entwickler, die sich dann ein Bild von den Fortschritten an Diaspora und dem Projekt machen können. Endnutzer werden damit wohl noch nicht so viel anfangen können. Es sind noch viele Bugs drinnen, es ist ein laufendes Projekt. Wir hatten bisher sehr viel Spaß und verfügen noch über genügend finanzielle Ressourcen. Für uns war es wichtig, den Sommer über in Ruhe arbeiten zu können. Zwei Leute aus dem Team, Raphael Sofaer und Ilya Zhitomirskiy, haben sich für das Projekt eine Auszeit von der Universität genommen und widmen sich nun ausschließlich Diaspora.

ORF.at: Wann wird es für Endnutzer möglich sein, sich ein Bild von Diaspora zu machen?

Salzberg: Wir arbeiten darauf hin, auf Joindispora.com Mitte Oktober eine Art Public Alpha anzubieten. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Wir werden zuerst unsere Unterstützer einladen, das zu nutzen, und Diaspora dann Schritt für Schritt auch anderen Nutzern zugänglich machen.

ORF.at: Was genau bietet Diaspora?

Salzberg: Die grundlegende Idee ist der E-Mail sehr ähnlich. Sie können einen Yahoo-Account haben, und ich habe einen Google-Mail-Account. Es sind unterschiedliche Anbieter, aber wir können uns gegenseitig E-Mails schicken. Ähnlich funktioniert auch Diaspora. Jeder Diaspora-Seed kann eine beliebige Anzahl von Endnutzern beinhalten. Sie können Diaspora nur für sich selbst oder für Ihre ganze Familie installieren. Jeder Nutzeraccount ist aber von anderen Nutzeraccounts komplett unabhängig und könnte auch woanders liegen. Es ist also nicht so, dass Sie ein Soziales Netzwerk installieren. Wir legen großen Wert auf die Datenportabilität und die Kontrolle über die Daten und wollen uns zunächst auf die dafür notwendigen Features konzentrieren. Wir wollen, dass Diaspora von möglichst vielen Leuten genutzt wird. Unser Ziel ist es, tektonische Platten zu verschieben und nicht einen Felsen durch das Universum zu schießen.

ORF.at: Diaspora definiert sich als "offenes Soziales Netzwerk, das die Privatsphäre beachtet". Im Diaspora-Blog haben Sie unter anderem fein abgestufte Privatsphäre-Einstellungen angekündigt Wie sehen die konkret aus?

Salzberg: Das wirkliche Problem ist, dass meine Generation in den USA keinerlei Erwartungen hat, was die Privatsphäre betrifft. Die Leute gehen davon aus, dass es sie einfach nicht gibt, weil es sie nicht geben kann. Das ist dumm. Denn Privatsphäre im Netz ist möglich. Privatsphäre verteilt sich auf ein breites Spektrum. Eine Sache, an der wir arbeiten, ist die Verwaltung sozialer Gruppen. Eine vor Kurzem von Paul Adams von Google veröffentlichte Präsentation zeigt etwa, dass Leute in der Regel fünf bis zwölf verschiedene Gruppen von Leuten haben, mit denen sie auf die eine oder andere Art kommunzieren. Nur wenige Leute transzendieren diese Gruppen. In den USA gehen 80 Prozent aller Telefonate einer Person an nicht mehr als vier Leute. Auch der Kreis der Leute, denen eine Person regelmäßig E-Mails schickt, ist selten größer als 20 Personen. Es gibt enge Bindungen, und es gibt weniger enge und schwache Bindungen. Daneben gibt es auch noch temporäre Gruppen. Das wollen wir in Zukunft auch noch in Angriff nehmen. Wenn Sie auf Facebook 500 Freunde haben, sind die von ihnen veröffentlichten Inhalte nicht mehr privat. Facebook ist sehr gut, um mit Leuten zu interagieren, mit denen Sie nur eine schwache Bindung haben. Etwa wenn es darum geht, Kontakte zu Schulfreunden aufrechtzuerhalten. Unsere Idee ist es, Möglichkeiten anzubieten, mit verschiedenen Gruppen von Leuten kommunzieren zu können. Wir sind sehr auf Gruppen fokussiert. Das soll aber intuitiv passieren. Niemand mag es, seine Freunde zu kategorisieren. Wir wenden also eine Reihe von Tricks an, damit das so intuitiv wie möglich passiert.

ORF.at: Werden sich die Nutzer Diaspora installieren müssen, oder planen sie auch ein Hosting-Angebot wie etwa die Anbieter der Bloggingsoftware WordPress?

Salzberg: Das haben wir noch nicht entschieden. Es ist gut möglich, dass wir ein entsprechendes Service gemeinsam mit Partnern anbieten werden. Da sind aber noch viele Fragen offen. Der einfachste Weg, um Diaspora zu nutzen, ist anfangs sicherlich, sich bei einem Cloud-Hosting-Dienst einzumieten und Diaspora dort zu installieren. Das sollte nicht mehr als sieben bis zehn Dollar im Monat kosten. Wir werden auch Scripts anbieten, mit denen das ohne großen Aufwand möglich sein sollte.

ORF.at: Wird es Schnittstellen zu bestehenden Angeboten geben? Können Inhalte von Diaspora auch auf andere Soziale Netzwerke gespielt werden?

Salzberg: Wir gehen in kleinen Schritten vor. Zuerst wollen wir sicherstellen, dass die Kernfunktionalitäten funktionieren. Etwa das Publizieren von Inhalten für kleine Gruppen von Leuten. Natürlich wird es auch möglich sein, Postings allgemein verfügbar zu machen und Diaspora als eine Art öffentliches Microblog zu verwenden. Dafür gibt es Bedarf. Diese Postings können Sie auch an Facebook oder Twitter weiterleiten. Das sind beides Dienste, die sich für solche Arten von Information sehr gut eignen. Eine unserer ursprünglichen Ideen war es, Inhalte von anderen Sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder Last.fm zu aggregieren und über Diaspora Freunden zugänglich zu machen. Diaspora ist Open Source. Irgendwer wird also sicherlich ein Plug-in programmieren, mit dem sich so etwas machen lässt.

ORF.at: Haben Sie bei der Entwicklung von Diaspora mit ähnlichen Initiativen, wie etwa Gnu Social zusammengearbeitet? Auf welchen Protokolle greifen Sie zurück?

Salzberg: Eine wesentliche Grundlage für Diaspora ist ein offenes Protokoll namens OStatus, die von den Leuten hinter dem offenen Microbloggingdienst Status.net gemacht wird. OStatus fokussiert auf Microblogging und beinhaltet noch wenig in Hinblick auf Privatsphäre-Einstellungen. Es gibt Bemühungen dazu, die wir mit unserer Arbeit unterstützen. Wir waren im Sommer auf dem Federated Social Web Summit in Portland und haben viele Leute getroffen, die wie wir an einem verbündeten Sozialen Netz arbeiten. Es wird viele Anwendungen geben, die unterschiedliche Funktionen bieten. Sie haben aber alle gemeinsam, dass sie interoperabel sind.

Mehr zur Ars Electronica:

Salzberg: Wir wollen den Leuten die Kontrolle über ihre Daten geben. Das ist unser vorrangiges Ziel. Wir verfügen noch über Geld und können daran arbeiten, dass Diaspora großartig wird. Mit anderen Dingen wollen wir uns jetzt nicht belasten. Wir haben viele Ideen und werden sehen, was dabei herauskommt. Mehr zum Thema: Diaspora kommt Mitte September Offene Alternative zu Facebook (futurezone/Patrick Dax)

(ORF.at: Wie sehen Sie die langfristige Zukunft von Diaspora?)