© Bild: Sonja Bettel,

Spaß am Gerät: FirewallBall und Fabrikatoren

DIGITAL COMMUNITIES
06.09.2010

Internetcafe, Hackerspace, Konferenz, Bühne und Ausstellung: Der Ars-Electronica-Internetshop "Tele-Internet" präsentiert ein Sammelsurium an Projekten: Von "unibrennt" über den 3-D-Drucker MakerBot bis hin zum Metalab, der "Web 2.0 Suicide Machine", einem "Frühschoppen für Privacy" und dem "FirewallBall".

Das "Tele-Internet“ bei der Ars Electronica in Linz ist auch so ähnlich gestaltet: Im dritten Obergeschoß von Bau 1 der ehemaligen Tabakfabrik wurde aus ein paar Tischen, Computern und Trennwänden aus Pappe ein Internetcafe nachgebaut, beim Kiosk daneben gibt es Kaffee, Snacks, Club Mate und Speicherkarten zu kaufen.

Der Bau 1 der alten Tabakfabrik ist etwa 250 Meter lang, jedes der sechs Stockwerke besteht im Prinzip aus einem einzigen offenen Raum mit einer Doppelreihe an Säulen in der Mitte und einem Fensterband an beiden Seiten. Auf dem Boden sind rotbraune und an den Wänden weiße Fliesen verlegt, unter der Decke laufen beige Lüftungsrohre entlang. Alles ist abgenützt und fleckig, hat den Charme verwaister Industriearchitektur, es riecht nach Tabak und undefinierbaren Chemikalien. Dazwischen steht die temporäre Möblierung: abgewetzte Sofas, schwarze Klapptische, Sessel, Scheinwerfer, eine einfache Bühne.

Von allem etwas

Für ein Internetcafe untypisch ist die riesige Fläche, wodurch das Symbolhafte für viele Besucher nicht sofort erkennbar ist. Ist das nun eine Ausstellung, ein Altwarenlager, eine Werkstatt oder ein Konferenzraum? Seitens Kurator Aram Bartholl ist die Irritation beabsichtigt: "Tele-Internet ist eine Mischung aus einem Hackerspace, einem Internetcafe, einer Konferenz und einer Unconference. Es ist aber auch eine große Performance und ein Meeting von Leuten, die alle viel mit dem Internet zu tun haben."

Aram Bartholl, der heuer Mitglied der Jury für den Prix Ars Electronica, Kategorie Digital Communities war, sollte eigentlich ein Ausstellungsformat für deren Preisträgerprojekte und Anerkennungen entwickeln. Die Projekte von Digital Communities könne man aber nicht in einer Ausstellung darstellen, weshalb sie in den vergangenen Jahren auch immer sehr wenig präsentiert worden seien, so Bartholl. Er habe sich deshalb dafür entschieden, sozusagen die Menschen, die hinter den Digital Communities stecken, auszustellen.

Ein CCC im Kleinen?

"Unibrennt" (award of distinction) ist zum Beispiel mit einem Infotisch präsent, dem Streaming von Diskussionen, der Button-Maschine und einer Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten, Bre Pettis von MakerBot Industries (honorable mention) hat seinen 3-D-Drucker MakerBot mitgebracht und in die Mitte einer Sofaecke gestellt, wo er den ganzen Tag frei verfügbare Designs von der Plattform Thingiverse herunterlädt und die Gegenstände herstellt.

Die Goldene Nica im Bereich Digital Communities hat heuer der Chaos Computer Club erhalten. "Tele-Internet" sei deshalb auch eine Hommage an den Chaos Communication Congress, sagt Aram Bartholl. Um diesem Vorbild zu entsprechen, hat der Kurator mit einem offenen Aufruf auch zahlreiche andere Gruppen eingeladen, bei "Tele-Internet" ihre Bastelstuben aufzubauen oder Vorträge zu halten.

Die Bandbreite der Projekte ist groß und reicht von einem "Frühschoppen über Privacy“ von Andreas Lehner vom Chaos Computer Club über die Vorstellung von Diaspora durch Maxwell Salzberg und "Digital Folklore" von Olia Lialina und Dragan Espenschied bis zur "Web 2.0 Suicide Machine". Der Wiener Hackerspace Metalab präsentiert an einem temporären Elektronikbasteltisch verschiedene laufende Projekte, und Peter Sunde wird die soziale Micropayment-Plattform "flattr" erklären.

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Wo ist das Internet?

Aram Bartholl möchte, dass sich die Leute bei "Tele-Internet" miteinander vernetzen und untereinander austauschen. Karin Kosina vom Metalab meinte dazu, es seien natürlich die "üblichen Verdächtigen" da. Es ginge aber auch um die Frage, so Bartholl, der laut eigener Darstellung mit seinen künstlerischen Arbeiten "das Verhältnis von Netz-Daten-Welt und Alltag-Lebens-Raum" untersucht: "Wo ist das Internet, was ist das eigentlich, wie kann man es darstellen. Und da finde ich die Metapher des Internetcafes ein schönes Element, das hier die Basisstruktur bildet bei dieser Tele-Internet-Ausstellung."

Besuchern der Ars Electronica scheint sich diese Metapher nicht unmittelbar aufzudrängen. Die Orientierung fällt auf den rund 80.000 Quadratmetern Nutzfläche der Tabakfabrik mit mehreren Gebäuden und einem großen Innenhof ohnehin schon schwer, das Leitsystem ist - wie alles Strukturelle auf dem temporären Festivalgelände - sehr reduziert.

Wenn die Besucher dann an elektronischer Kunst, Elektrofahrrädern, Algenkraftwerken und künstlerischen Interfaces vorbeigewandert sind und im dritten Stock bei "Tele-Internet" landen, sehen sie Grüppchen von Geeks und Freaks, die einem Vortrag lauschen, in ihre Notebooks tippen oder an elektronischen Bauteilen herumbasteln. Worum es dabei geht und wie man mit diesen Leuten in Kontakt kommen kann, ist meist nur jenen klar, die sowieso schon in einer dieser Szenen vertreten sind.

"Der Sport des 21. Jahrhunderts“

Das beliebteste "Ausstellungsstück" von "Tele-Internet" ist deshalb wohl "FirewallBall" des Interface-Künstlers Johannes P Osterhoff. "FirewallBall" besteht aus einer fast zwei Meter hohen Ziegelmauer aus bemalten Kartons mit einem großen Ball in Form einer Weltkugel. Er habe damit eine neue Sportart entwickelt, den "Sport des 21. Jahrhunderts", sagt Johannes P Osterhoff. Bei der Ars Electronica sollen dafür gemeinsam die Regeln entwickelt werden. Bis jetzt spielen die meisten Besucher diesen Sport nach sehr einfachen Regeln: Weltkugel auf die Mauer schießen, bis alle Kartons heruntergefallen sind.

Vermittlung fällt schwer

Ein Computerspiel in die reale Welt übertragen haben auch die Vertreterinnen und Vertreter von "unibrennt": Sie haben aus Karton einen Pacman mit etwa 50 Zentimeter Durchmesser gebastelt, der an einer Holzstange geführt ECTS-Punkten nachjagen muss wie die Studierenden. (ECTS = European Credit Transfer and Accumulation System) Derlei Spielereien sind auch ein Versuch, die Aufmerksamkeit der Besucher der Ars Electronica auf sich zu ziehen, denn eigentlich wollten die unibrennt-Leute der Bevölkerung vermitteln, was ihre Anliegen sind, und wie man mithilfe von Web 2.0-Werkzeugen und -Plattformen politisch aktiv werden kann. Dafür haben sie ja auch eine Auszeichnung des Prix Ars Electronica Digital Communities erhalten. Philipp, einer der Aktivisten, meinte jedoch, die Besucher würden wohl glauben, sie seien Ausstellungsstücke, die man anschauen kann.

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(Sonja Bettel)