Map Kibera: Offene Landkarte gegen die Armut
Die Initiative Map Kibera will mit einer auf OpenStreetMap (OSM) basierenden freien Landkarte und Community-Medien der Bevölkerung des Slums Kibera in Nairobi helfen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. ORF.at hat mit Mikel Maron von Map Kibera über freie Karten, Bürgerjournalismus und die Auswirkungen neuer Technologien auf Kibera gesprochen.
Zwischen 170.000 und einer Million Leute leben nach unterschiedlichen Schätzungen in Afrikas größtem Slum Kibera, das sich über eine Fläche von 2,5 Quadratkilometern im Südwesten von Kenias Hauptstadt Nairobi erstreckt. Die Struktur des Ortes verändert sich laufend. Die Orientierung fällt selbst Einheimischen schwer. "Kartenmaterial von diesem Gebiet war entweder veraltet oder nicht öffentlich zugänglich", sagte Mikel Maron von Map Kibera.
Kibera sichtbar machen
Die im Oktober 2009 gestartete Initiative hat es sich zum Ziel gesetzt, Kibera auf einer Karte sichtbar zu machen. In wenigen Monaten erstellten Bewohner des Gebiets gemeinsam mit Map Kibera eine Karte des Slums, auf der unter anderem Wasserplätze, Kliniken, Schulen und soziale Einrichtungen verzeichnet sind. Für die digitale Karte Kiberas, die auch in gedruckter Form verteilt wird, nutzen sie die Plattform OpenStreetMap.
Beim diesjährigen Prix Ars Electronica wurde Map Kibera mit einem Award of Distinction im Bereich "Digital Communities" ausgezeichnet. Am vergangenen Wochenende war Maron bei der Ars Electronica in Linz zu Gast.
ORF.at: Was waren Ihre Beweggründe, Map Kibera zu starten?
Mikel Maron: Unser ursprüngliches Ziel war es, mit den Bewohnern von Kibera eine Karte des Ortes zu erstellen, auf die jeder zugreifen kann. Solches Kartenmaterial hat es in einer allgemein verfügbaren Form davor nicht gegeben. Kibera war eine Leerstelle auf der Landkarte. Wir wollten den Bewohnern von Kibera helfen, den Ort, an dem sie leben, auf einer Karte sichtbar zu machen. Das Projekt hat sich dann erweitert, und wir versuchen nun, ihnen alle möglichen Werkzeuge und Technologien nahezubringen, um ihr Leben zu verbessern und Informationen effektiver nutzen zu können. Wir haben etwa auch verschiedene Community-Medienprojekte gestartet.
ORF.at: Sie arbeiteten bei Map Kibera mit der Bevölkerung von Kibera zusammen. Wie waren die Reaktionen auf ihr Projekt?
Maron: Überraschend gut. Die Leute haben verstanden, was wir tun wollen, und auch gesehen, dass wir uns von anderen Projekten unterscheiden. Kibera ist ein sehr gut erforschter Ort. Viel von dem, was Wissenschaftler dort erheben, kommt der lokalen Bevölkerung aber nicht direkt zugute. Wir wollten etwas anderes machen und der Community auch Fähigkeiten im Umgang mit Technologien vermitteln. Die Bewohner von Kibera sollen nicht nur die Kartendaten erstellen können, sie sollen auch Kontrolle über diese Daten haben. In der ersten Phase haben 13 Leute aus Kibera mitgearbeitet. Mittlerweile beteiligen sich bereits 50 Personen an Projekten, die wir in Kibera initiiert haben, etwa dem Kibera News Network.
ORF.at: Welche Herausforderungen mussten überwunden werden? Wie sieht es mit dem Internetzugang in Kibera und den Computerkenntnissen der Bevölkerung aus?
Maron: Wir haben mit einfachen GPS-Empfängern gearbeitet. Die Leute in Kibera verfügen über Mobiltelefone. Die GPS-Geräte, die wir eingesetzt haben, unterscheiden sich von der Bedienbarkeit nicht sehr davon. Es war also nicht allzu schwierig. Das Kartenmaterial musste aber auch am Computer bearbeitet werden. Computergrundkenntnisse waren kaum vorhanden. Wir mussten sie den Leuten also zuerst vermitteln. Mit dem Internetzugang war es schwierig. In Kibera gab es zwar an einigen Orte Zugänge. Die Verbindungen waren aber sehr schlecht. Wir sind also in benachbarte Gebiete mit besseren Verbindungen ausgewichen. Das war und ist die größte Herausforderung. Es gibt in Kibera kaum Orte, wo man arbeiten kann.
ORF.at: Kibera und seine Struktur ändern sich sehr schnell. Wie oft wird die Karte aktualisiert?
Maron: Wenn Sie in Kibera heute in eine Klinik gehen, kann es passieren, dass sich am selben Ort morgen ein Friseur befindet. Kibera befindet sich in ständiger Veränderung. Alles geht sehr schnell. Wenn die Karte auch nur einigermaßen der Realität entsprechen soll, ist es notwendig, Leute vor Ort zu haben, die sich darum kümmern. Es hängt also von der Bevölkerung ab, wie sie das handhaben möchte. Ob das einmal im Monat oder nur alle drei Monate passiert. Wir arbeiten aber daran, vor Ort Hilfestellungen zu bieten. Wir haben einen Trust eingerichtet, der die Leute dabei unterstützen soll.
Mehr zu OpenStreetMap:
ORF.at: Map Kibera baut auf dem freien Kartenprojekt OpenStreetMap auf. Wie war die Zusammenarbeit mit der OpenStreetMap-Community?
Maron: Bei der Erstellung der Karten waren einige Leute vor Ort, die ausgeholfen haben und auch bei der Bearbeitung der Daten Hilfestellungen gegeben haben. Die OpenStreetMap-Datenbank kann sehr chaotisch sein. Einige Leute aus der Community haben auch Software für das Projekt entwickelt und ihre Erfahrungen in Map Kibera einfließen lassen. Es war sehr fein. Die jungen Leute aus Kibera haben in sehr vielen Bereichen mit einer globalen Community zusammengearbeitet. So etwas passiert sonst wohl nicht allzu oft.
ORF.at: Wie wichtig sind offene Software und offene Landkarten für die Gesellschaft?
Maron: Mit entsprechenden Tools und der frei verfügbaren Software kann jeder Kartendaten sammeln und Karten erstellen und in Umlauf bringen. In westlichen, demokratischen Ländern, wo Karten in hoher Qualität allgemein verfügbar sind, ist das vielleicht nicht so ein Thema. Aber in vielen Ländern der Welt ist die Qualität dieser Daten nicht sehr hoch. Die Behörden behaupten, dass sie die besten Informationen haben. Die Daten von Initiativen wie OpenStreetMap sind aber in vielen Fällen besser. Ich habe das auch in Palästina gesehen, wo ich zuvor gearbeitet habe. Das ist auch nicht weiter überraschend. Leute die vor Ort sind, haben ein Interesse an einer wahrheitsgetreuen Repräsentation. Sie wollen zeigen, wo sie sind. Das verändert die Dinge ein bisschen. In Kibera gibt es viele offene Fragen bezüglich es Ortes, wem das Land gehört und wer sich überhaupt dort befindet. Das offene Kartenmaterial ermöglicht es der Bevölkerung, bei diesen Fragen mitzureden.
ORF.at: Ein wichtiger Teil ihres Projekts ist auch die Einrichtung von Community-Medien, die aus Kibera berichten? Welche Möglichkeiten ergeben sich in Verbindung mit ortsbezogenen Technologien?
Maron: Bei einem der ersten Treffen, die wir mit Leuten aus Kibera hatten, ging es um Medienberichte zu Kibera. Üblicherweise geht es in diesen Berichten um Unruhen. Alles ist sehr negativ. Wohl auch darum, weil sich damit die meiste Aufmerksamkeit erzielen lässt. Kibera ist aber ein weit vielfältigerer Ort. Es passieren dort auch sehr viele gute Dinge. Die Frage ist also, wie man die Medien dazu bringt, auch darüber zu berichten. Mit dem Bürgerjournalismus im Web sehen wir die Möglichkeit, das zu erreichen. Es geht darum, die Wahrnehmung von Kibera zu verändern und Darstellungen von Kibera zu ermöglichen, die zu einem anderen Verständnis dieses Ortes führen können. Es gibt noch immer viele Vorurteile, gegen die wir ankämpfen müssen, wir machen aber Fortschritte. Mit dem Kibera News Network arbeiten wir mit Videos. Die Beiträge, die die Leute machen, können sich durchaus mit dem messen, was anderswo auf der Welt produziert wird. Mit dem Projekt Voice of Kibera arbeiten wir mit der Ushahidi-Plattform, über die sich Nachrichten und Berichte aggregieren und auf einer Karte verorten lassen. Das ist sehr hilfreich, um die Vielfalt dieses Ortes zu demonstrieren und zur Entmystifizierung beizutragen. Viele Leute glauben, Kibera sei ein einziger, schrecklicher Ort. Aber wenn sie sehen, was wo passiert, erkennen sie auch, dass Kibera ein sehr vielfältiger Ort mit vielen Facetten ist.
Mehr zur Ars Electronica:
ORF.at: Welche Auswirkungen haben neue Technologien, Onlinekarten und Community-Medien auf Orte wie Kibera?
Maron: Das ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist. Deshalb sind wir auch noch in Kibera. Wir können nicht erwarten, dass die Leute alle online sind. Der Zugang ist sehr schwierig. Es gibt hohe Barrieren, was die Kosten und das Verständnis der Technologien betrifft. Wir drucken deshalb die Karten auch aus und verteilen sie in Schulen, Kirchen und über lokale Organisationen, um sie besser zugänglich zu machen. Es gibt in Kibera heute aber immer mehr Leute, die über Mobiltelefone Internetzugang haben. Allerdings sehr eingeschränkt. Sie verwenden Geräte, die etwa 25 Dollar kosten. Zehn Megabyte Internetdatenverkehr kosten rund zehn Cent. Das ist genug, um etwa Facebook zu nutzen. Wir arbeiten in Kibera auch mit lokalen Radiostationen und Zeitungen zusammen, um die Leute zum Mitmachen bei den Bürgermedien zu bewegen. Wir haben auch ein SMS-Interface. Wir versuchen auch gemeinsam mit anderen Netzwerken und Initiativen Hilfestellungen bei der Anwendung von Technologien zu geben und Lösungen für spezielle Fragen des Informationsmanagements zu entwickeln.
ORF.at: Wie wird es mit Map Kibera weitergehen?
Maron: Map Kibera ist Teil der GroundTruth Initiative. Wir wollen nun im zweitgrößten Slum von Nairobi ein weiteres Projekt starten. Die jungen Leute aus Kibera, die bei Map Kibera mitgearbeitet haben, werden dabei ihr Wissen weitergeben. Wir wollen ähnliche Projekte aber auch an anderen Orten, etwa in Haiti oder Palästina, starten.
(futurezone/Patrick Dax)