Apps statt zappen: Software für Fernseher
Im Mobilfunkbereich sind Applikationen eine echte Goldgrube. Hersteller von Fernsehern und Set-Top-Boxen wollen diesen Erfolg nun im Wohnzimmer wiederholen. Doch die bestehenden Konzepte für Smartphones lassen sich nicht so einfach auf die neuen TV-Systeme übertragen.
"Free the TV": Unter diesem Motto veranstaltet der südkoreanische Elektronikkonzern Samsung derzeit in den USA einen Wettbewerb, mit dem Entwickler zum Programmieren von Applikationen für Fernseher mit Internetzugang angespornt werden sollen. Die Befreiung des Fernsehens lässt sich die Firma einiges kosten. Gewinner dürfen sich Preisgelder im Gesamtwert von 500.000 US-Dollar teilen. Samsung will zudem insgesamt 70 Millionen Dollar für das Bewerben von Applikationen zum Abfragen von Videoinhalten, Facebook-Updates und Twitter-Status-Nachrichten ausgeben.
Zur Person:
Janko Röttgers ist Experte für digitale Medien und arbeitet als Redakteur des Onlinemagazins Newteevee.com in San Francisco.
Im Rahmen der futurezone.ORF.at-Serie "Neo-TV" berichtet er von der schönen neuen Onlinefernsehwelt. Die Artikelübersicht ist unter der folgenden Adresse abrufbar:
Samsungs Interesse an derartigen TV-Anwendungen kommt nicht von ungefähr. Der Erfolg des iPhones hat bewiesen, dass sich mit Hilfe populärer Applikationen Millionen von Endgeräten verkaufen lassen. Gleichzeitig mausert sich der Verkauf von Applikationen im Mobilfunkbereich selbst zu einer Goldgrube. So wusste Apple-Chef Steve Jobs im Juni zu berichten, dass seine Firma mittlerweile eine Milliarde US-Dollar an die Entwickler von iPhone- und iPad-Applikationen ausgezahlt hat. Seit dem Start des firmeneigenen App-Stores hat Apple zudem mehr als fünf Milliarden Applikationsdownloads verzeichnet, so Jobs.
In der neuen Welt des Netzfernsehens glauben nicht wenige, dass Applikationen auch im Wohnzimmer zu einer Erfolgsgeschichte werden könnten. So schätzen Branchenexperten, dass Verbraucher in fünf Jahren knapp zwei Milliarden Dollar für TV-Applikationen ausgeben werden.
Manche Apps kaum genutzt
Derartige Zahlen haben dazu geführt, dass eine ganze Reihe von Firmen Applikationen und App-Plattformen für Fernseher und andere Videoendgeräte entwickelt hat. Neben Samsung versuchen sich auch Panasonic, Sony, Vizio und zahlreiche andere Endgerätehersteller am Verkauf von Fernsehern mit Netzdreingaben. Konkurrenz bekommen sie dabei von kleineren Anbietern wie Roku und Boxee, deren Plattformen ebenfalls auf Applikationen setzen.
Doch nicht jeder hat so viel Erfolg wie Apple. Yahoo bietet sich bereits seit Anfang 2009 in Zusammenarbeit mit Herstellern wie LG und Sony Widgets für Fernseher mit Internetanschluss an. Von der Bandbreite des iPhone-Applikationskatalogs können die Besitzer eines der unterstützten TVs jedoch nur träumen. Yahoos Widget-Angebot unterscheidet sich von Land zu Land, doch im Schnitt habe man rund 65 verschiedene Applikationen im Angebot, so ein Firmensprecher. Wie oft diese tatsächlich genutzt werden, will Yahoo nicht verraten.
Möglicherweise hat Yahoo dabei vom US-Telekom-Riesen Verizon gelernt. Der Konzern erklärte im April stolz, dass sich seine Kunden innerhalb von neun Monaten 15 Millionen Fotos mittels seines Facebook-TV-Widgets angeschaut haben. Das ist eine beeindruckende Nummer - bis man bedenkt, dass Facebooks Nutzer sich 1,2 Millionen Fotos pro Sekunde ansehen.
Apple TV ohne Apps
Große Firmen wie Google und Apple halten sich denn auch bisher in Bezug auf TV-Applikationen zurück. So werden die Google-TV-Endgeräte von Sony und Logitech, die in den USA noch im September auf den Markt kommen sollen, anfangs nur Zugriff auf eine kleine Anzahl handverlesener Anwendungen bieten. Zugriff auf den Android Market will Google erst im nächsten Jahr gewähren. Und Apple überraschte die Branche letzte Woche damit, dass sein Apple-TV-Endgerät überhaupt keine Applikationen anbietet. Ob Apple dem Gerät in dieser Hinsicht in Zukunft ein Update gewähren will, ist bisher noch völlig unklar.
Ein Grund für diese Zurückhaltung ist, dass TV-Applikationen oftmals ganz anders funktionieren als vergleichbare Anwendungen auf dem Handy. Während Mobilfunk-Apps meist den ganzen Bilschirm ihrer Endgeräte nutzen, müssen TV-Anwendungen im Zusammenspiel mit dem Fernsehprogramm funktionieren. TV-Fernbedienungen bieten zudem ganz andere Eingabemöglichkeiten als die Touch-Screen-Displays moderner Mobiltelefone.
Gestaltung für den großen Bildschirm
"Unser Umgang mit Fernsehern ist vollkommen anders", meint beispielsweise David Vogt, der mit seiner Firma Kondra derzeit TV-Applikationen entwickelt. "Hochauflösende Fernseher haben heute viele Pixel, aber Zuschauer sind davon normalerweise viel weiter entfernt als von ihrem PC oder ihrem Mobiltelefon." Man könne deshalb nicht einfach wie auf dem Desktop alle Pixel mit Inhalten vollpflastern.
Vogt glaubt zudem, dass wir beim Fernsehen ganz anders mit unserer Aufmerksamkeit umgehen. PC- und Handynutzer seien Multitasking und beständige Unterbrechungen gewöhnt. Während des Fernsehens seien solche Unterbrechungen dagegen unerwünscht. Vogt dazu: "Wenn Werbeunterbrechungen eine Applikation wären, dann wurden wir sie ganz bestimmt abstellen."
Potenzial für umwälzende Veränderungen
App-Entwickler wie Rob Spectre lassen sich nicht von derartigen Herausforderungen abschrecken. Spectre begann vor gut einem Jahr damit, kleine Zusatzprogramme für die Media-Center-Anwendung Boxee zu entwickeln. Anfangs bediente er sich dazu einfach frei verfügbarer RSS-Feeds von Onlineshows, die ihm gefielen. Wenig später bekam er Angebote, derartige Anwendungen als Auftragsarbeit zu entwickeln. Mittlerweile ist Spectre als Chef-App-Entwickler Teil des Boxee-Teams. "Im TV-Bereich sind Applikationen derzeit das Gebiet mit dem größten Potenzial für umwälzende Veränderungen", glaubt er.
Boxees Chancen stehen dabei nicht schlecht. Der Media-Center-Außenseiter, dessen erste Set-Top-Box im November in den Handel geht, hat sich in den vergangenen Monaten zum Lieblingsspielplatz von TV-Applikationsentwicklern gemausert. Ein Grund dafür ist, dass Boxees Applikationen relativ einfach strukturiert sind: Entwickler können bereits mit rudimentären XML-Kenntnissen eigene Anwendungen erstellen. Wer Anspruchsvolleres vorhat, kann dazu auf einen Python-Interpreter zugreifen.
Nutzerstatistiken für Werbekunden
Boxee hilft jedoch auch, dass seine Anwendung vollkommen offen ist. Die Firma bietet einen eigenen Katalog für Boxee-Apps an, doch Nutzer können stattdessen auch Anwendungen aus anderen Quellen installieren. Spectre schätzt, dass es mittlerweile insgesamt rund 400 Boxee-Applikationen gibt.
Deutliches Wachstum verspricht er sich von Werbung und anderen Formen, mit Applikationen Geld zu verdienen. TV-Applikationen würden Werbekunden die von Onlinewerbung gewohnten detaillierten Statistiken im Fernsehumfeld bieten. "Das wird absolut revolutionär sein", so Spectre.
(Janko Röttgers)