© Fotolia/Sven Hoppe, EU-Parlament

EU-Parlament: Vorlage für "Three Strikes"

KONTROLLE
20.09.2010

Um besonders "junge europäische Konsumenten zu kultivieren und erziehen", sollte im Zweifelsfall zwischen dem Grundrecht "auf Informationszugang und der Bekämpfung der Geißel Piraterie abgewogen" werden. Diese Formulierung stammt aus dem Bericht der Abgeordneten Marielle Gallo (EVP), über den am Mittwoch im EU-Parlament abgestimmt wird. Ein neuer französischer Anlauf für Netzsperren steht bevor.

Auf der Agenda des EU-Parlaments für diese Woche stehen zwei Berichte, die sich mit dem Internet befassen. Während der Report des spanischen Konservativen Pablo Arias Echeverria zur Rolle des E-Commerce im Binnenmarkt weitgehend unumstritten ist, sind über jenen der französischen Konservativen Marielle Gallo neue Kontroversen zu erwarten. Aus dem nämlichen Grund war der Bericht nämlich vom Juli auf den Herbst verschoben worden.

Der Report über die "Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte im Binnenmarkt" verlangt neue Maßnahmen gegen "Produktfälschung und Piraterie", Berichterstatterin Gallo ist eine Parteigängerin von Nicolas Sarkozy. Das ist dem Bericht auch deutlich anzumerken, denn wie alle derartigen Initiativen der französischen Regierungspartei läuft alles letztlich auf ein "Three Strikes Out"-Regime hinaus, also Netzsperren bei mutmaßlichen Urheberrechtsverletzungen auf Zuruf der Medienindustrie.

IPRED2 eingefroren

Das Parlament "teilt die Ansicht der Kommission nicht, dass der notwendige Gesetzeskorpus in Bezug auf die Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte schon vorhanden ist", heißt es in Absatz 13 des Gallo-Reports. Verhandlungen über eine Richtlinie zu strafrechtlichen Sanktionen seien "nicht erfolgreich abgeschlossen wurden". Gemeint ist damit der als IPRED2 bekannt gewordene Richtlinienentwurf, der im Ministerrat wegen mangelnder Einstimmigkeit seit über einem Jahr eingefroren ist.

Der Gallo-Bericht hat zwar keinen gesetzgebenden Charakter, aber er wird als Vehikel eingesetzt, um die Kommission zu veranlassen, die stecken gebliebene Richtlinie IPRED2 zur strafrechtlichen Verfolgung von "Piraterie" wieder in Angriff nimmt. Hübsch verklausuliert und einfallsreich versteckt, finden sich all jene Punkte wieder, die es für ein Internetsperrgesetz braucht.

Pädagogik des Internetabdrehens

Der Abschnitt mit dem schönen Titel "Kultivierung des Konsumentbewusstseins" verpflichtet "Internet Service Provider, Onlineplattformen, Rechteinhaber und Konsumentenschützer in Bezug auf Online-Urheberrechtsverletzungen und den Verkauf gefälschter Produkte, praktische Maßnahmen zu entwickeln, um die Menschen zu alarmieren und zu erziehen". Diese Erziehung namentlich "junger europäischer Konsumenten" könne etwa durch "kurze, sichtbare und relevante Botschaften erzieherischer und warnender Natur" sein (Punkt 21 und 22).

Grund der Verschiebung

Die Abstimmung über den Gallo-Bericht musste im Juli deswegen verschoben werden, weil ein Wust an Änderungsanträgen die Folge war.

Gemeint sind damit die drei Warnungen, die dem Gesetz den Namen "Three Strikes Out" eingetragen haben. Dass die Provider zu diesem Zweck entweder den gesamten Internetverkehr ihrer Kunden durch Filter jagen müssten, oder ihren Kunden auf Zuruf der Medienindustrie und ohne Einschaltung eines Gerichts Drohbotschaften auszurichten hätten, steht natürlich nicht im Bericht. Die vorgesehene Sanktionierung von wiederholten Urheberrechtsverletzungen - Sperre des Internetzugangs - ist in Punkt 27 so versteckt:

Politik des Doppelpacks

Es sei bedauerlich, dass die Kommission das "delikate Problem von Online-Copyrightverletzungen" nicht aufgegriffen habe, heißt es da, zwischen "freiem Zugang zum Internet und der Bekämpfung dieser Geißel" sei abzuwägen.

Wie man damit "der europäischen Konvention für Menschenrechte entsprechen" will (Punkt 11), in welcher der freie Zugang zur Information als unveränderbares Grundrecht festgeschrieben ist, wird im Gallo-Bericht nicht erwähnt. Die Gleichsetzung von kriminellen Produktfälschern mit Tauschbörsenbenutzern zieht sich wie ein roter Faden durch den Report, "Produktfälschung und Piraterie" kommen stets im Doppelpack daher.

Im alternativen, in erster Linie von Sozialdemokraten und Grünen getragenen Entwurf monieren die Abgeordneten die schlampige Verwendung des Begriffs "Piraterie" sowie die inhaltliche Gleichsetzung mit Produktfälschung. Das würde zu einer De-facto-Kriminalisierung von Millionen europäischer Bürger darstellen, heißt es in Punkt 28 des Gegenentwurfs.

Problematische Entwürfe

Zu diesen beiden Entwürfen, die am Montag diskutiert und am Mittwoch abgestimmt werden, hat sich mittlerweile noch einer von der liberalen Fraktion gesellt, der sich von dem der Konservativen nur unwesentlich unterscheidet. Steht hier also Rot-Grün gegen Konservative und Liberale Fraktion? Nicht ganz.

Links zum Thema

Die österreichischen Abgeordneten der EVP-Fraktion sprachen sich zum Beispiel stets gegen Netzsperren aus. MEP Paul Rübig (EVP) verfasste für den Industrieausschuss, der wie der Innenauschuss dabei mitzureden hatte, eine Stellungnahme zum Thema, die auch angenommen wurde.

Anders als seine Fraktionskollegin Gallo konzentriert sich Rübig in seiner Stellungnahme ganz auf die echte Produktpiraterie, von gefälschten Arzneimitteln angefangen bis zum Maschinenbau.

(futurezone/Erich Moechel)