"Wollen Sie noch das Ohr sehen?"
Der australische Medienkünstler Stelarc lässt sich ein aus Biomaterial gefertigtes drittes Ohr am Unterarm anbringen. Auf der transmediale stellt er sein Projekt "The Extra Ear" vor. Es gehe ihm darum, alternative anatomische Architekturen des Körpers zu erforschen, sagt er im Gespräch mit ORF.at.
Der Konferenzraum der transmediale in der Berliner Akademie der Künste am Hanseatenweg ist am Donnerstagabend bis zum letzten Platz gefüllt. Stelarc, der seit mehr als 30 Jahren Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine auslotet, steht lächelnd am Bühnenrand.
"Radikaler Botschafter" des Transhumanismus
Telepolis-Herausgeber Florian Rötzer macht den Anheizer und fabuliert über "Breitbandverbindungen zwischen Computer und Gehirn" und über Roboter, die schon bald "Träger der Fortsetzung unseres Lebens in einem anderem Medium" sein könnten, bis schließlich Stelarc selbst, der, so Rötzer, "radikale Botschafter" des Post- oder Transhumanismus, seinen Vortrag beginnt.
Der australische Medienkünstler Stelarc sucht seit den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts nach Möglichkeiten der Verbesserung des menschlichen Körpers und experimentiert dabei lustvoll mit den verfügbaren technischen Möglichkeiten.
Dabei spannt Stelarc einen Bogen von seinen Aufhänge- und Suspension-Performances in den späten 60er und frühen 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bei denen seine Haut mit Haken durchbohrt wurde und er solcherart in die Luft gehoben der Schwerkraft trotzte, über seine robotischen und prothetischen Experimente, seine aktuelle Beschäftigung mit Avataren und rudimentären Formen Künstlicher Intelligenz bis hin zu seinem Projekt "The Extra Ear", bei dem ein aus lebenden Zellen gewachsenes Ohr an seinem Unterarm implementiert wird.
ORF.at hat mit Stelarc vor seiner Präsentation über sein drittes Ohr, die Konstruktionsprobleme des menschlichen Körpers und das Verhältnis von Körper und Technologie gesprochen.
"Talk to the arm!"
ORF.at: Sie haben sich ein drittes Ohr am Unterarm anbringen lassen. Warum?
Stelarc: Die Konstruktion ist noch nicht ganz fertig. Es fehlt noch ein Mikrofon, das über Bluetooth- und WLAN-Funktionen verfügt. Dann kann das Ohr drahtlos mit dem Internet verbunden werden, und wenn Sie sich auf meiner Website einloggen, können Sie hören, was mein Ohr an einem anderen Ort hört.
Ich werde dann auch durch mein Ohr sprechen können, wie bei einem Telefon. Wenn Sie mich allerdings anrufen, wird Ihre Stimme aus einem in meinem Mund applizierten Lautsprecher zu hören sein. Das ist natürlich nicht einfach zu bewerkstelligen.
ORF.at: Seit wann arbeiten Sie an dem Projekt?
Stelarc: Die Idee dazu hatte ich bereits 1996, aber es hat sehr lange gedauert, bis ich jemanden gefunden habe, der die Operationen machen kann. Auch die Finanzierung hat einige Zeit in Anspruch genommen.
Bisher haben wir zwei Operationen durchgeführt. Zunächst war es notwendig, eine Art Behälter aus zusätzlicher Haut zu schaffen. Bei der zweiten Operation haben wir das Ohr im Unterarm strukturiert und in Form gebracht, wir werden aber auch noch Stammzellen injizieren müssen.
Wir müssen auch noch eine Lösung für das Mikrofon finden. Beim ersten Versuch wurde durch das Mikrofon nach drei Wochen eine Infektion am Unterarm ausgelöst, sodass wir es wieder entfernen mussten.
ORF.at: Gibt es einen Grund, warum Sie das Ohr am Unterarm tragen?
Stelarc: Dafür gibt es mehrere Gründe. Der wichtigste dafür: Am Unterarm ist Haut dort nicht so dick. Die Struktur der Haut am Unterarm ist der Haut am Ohr auch sehr ähnlich.
Ursprünglich sollte das Ohr auf der Seite des Gesichts, vor dem rechten Ohr, angebracht werden. Davon haben mir die Ärzte jedoch abgeraten.
Prinzipiell mag ich aber auch die Idee, einen Körperteil an einem anderen Ort zu replizieren und ihn mit anderen Funktionen zu versehen.
ORF.at: Wann haben Sie begonnen, sich für die technologische Erweiterung Ihres Körpers zu interessieren?
Stelarc: Es geht mir weniger um die technologische Erweiterung meines Körpers, sondern darum, alternative anatomische Architekturen des Körpers zu erforschen. Um es mit anderen Worten zu sagen: Ich betrachte den Körper als ein Konstruktionsproblem.
An der evolutionären Entwicklung des Körpers bin ich schon sehr lange interessiert und natürlich erlaubt uns die Technologie, alternative Funktionen des Körpers zu entwickeln.
ORF.at: In virtuellen Welten wie etwa "Second Life" sehen die von den Spielern benutzen Avatare genau so aus wie menschliche Körper, obwohl die Möglichkeiten, in den Metaversen zu agieren, vielfältig sind und durch physikalische Gesetze nicht eingeschränkt werden. Gibt es eine Art innere Sperre, sich vom Bild des "traditionellen" menschlichen Körpers zu lösen, auch wenn es sich dabei nur um ein Spiel handelt?
Stelarc: Ich stehe dem sehr ambivalent gegenüber. Einerseits gibt es tatsächlich keinen Grund dafür, warum der Avatar wie ein Mensch aussehen soll.
Das könnten auch fantastische Kreaturen sein. Andererseits habe ich auch in manchen meiner Performances meinen Körper als Avatar benutzt, der ferngesteuert wird.
Dabei haben wir eine Art Landkarte des Körpers verwendet, die notwendig war, um den Körper zu steuern. Unter diesen Bedingungen muss der Avatar also dem menschlichen Körper ähnlich sein.
Stelarc: Involuntary body / Third Hand. Projektion bei der transmediale-Lecture des Künstlers.
==ORF.at: Wie ist es, ein Avatar zu sein?==
Stelarc: Das ist eine sehr körperliche Erfahrung. Bei meinen Performances waren die Muskelstimulationen sehr stark. Ich wurde aber nur teilweise ferngesteuert. Lediglich eine Hälfte meines Körpers war mit Muskelstimulatoren versehen.
Es ging mir dabei auch um die Idee des geteilten Körpers - eine Hälfte wird von entfernten Agenten, Leuten an anderen Orten, gesteuert.
Dadurch wollte ich auch das Konzept des einheitlichen Selbst problematisieren. Ich glaube, wenn der Körper in der Welt agiert, so tut er das mit multiplen Identitäten, er wird von einer Vielzahl von Agenten gesteuert.
ORF.at: Ist die menschliche Wahrnehmung für die technologische Erweiterung des Körpers gerüstet?
Stelarc: Ich glaube ja. Die Erfahrung dieses Körpers [zeigt auf seinen Körper] zeigt, dass sich der Körper neuen sensorischen Informationen anpassen kann, selbst wenn man von einem anderen Ort aus ferngesteuert wird. Es ist überraschend, wie sich Menschen ihren technologischen Erweiterungen angepasst haben.
Wenn Sie sie mich etwa auf meinem Mobiltelefon anrufen, betreten wir gemeinsam den akustischen Raum, der zwischen uns liegt. Das Mobiltelefon ist so auch ein akustisches Portal zu einem anderen Raum.
Und diese ursprünglich wohl sehr seltsame Erfahrung ist für unsere Körper mittlerweile ja etwas vollkommen Normales. Unsere Körper lernen also, mit technologischen Erweiterungen auf eine ganz normale Art und Weise umzugehen.
ORF.at: Wie wird der menschliche Körper in 20 Jahren aussehen?
Stelarc: Diese Frage ist sehr schwer zu beantworten. Ich glaube, was die Zukunft interessant macht, ist die Vielfalt an Möglichkeiten und auch, dass sich nicht voraussagen lässt, was dabei herauskommt.
Wir sollten der Welt nicht mit irgendwelchen Erwartungen gegenübertreten, denn dann kollabiert die Vielzahl der Möglichkeiten sehr bald. Ich bevorzuge die Indifferenz, denn diese ist für alle Möglichkeiten offen. Dieses Prinzip habe ich auch in vielen meiner Performances verfolgt, weil so viele Ergebnisse möglich werden.
ORF.at: Vielen Dank für das Gespräch.
Stelarc: Wollen Sie noch das Ohr sehen?
(futurezone | Patrick Dax)