Linux-Zwietracht um Multimedia
Unter den Entwicklern ist der Streit über die Kombination des freien Betriebssystems Linux mit patentgeschützter Software wie MP3 wieder voll entbrannt. Hüter der "reinen Lehre" streiten mit Pragmatikern. Hintergrund ist der Nichtangriffspakt zwischen Novell und Microsoft.
Die Reperkussionen des Deals zwischen Microsoft und Novell, der weltweit in den Linux-Communitys erhitzte Diskussionen ausgelöst hat, waren noch nicht verhallt, da krachte es schon wieder.
Nach 13 Jahren hat die Open-Source-Legende Eric S. Raymond am vergangenen Mittwoch dem Fedora-Projekt des US-Marktführers Red Hat Linux wutentbrannt den Rücken gekehrt und ist zur südafrikanischen Newcomer-Distribution Ubuntu gewechselt.
"Verdammte, dreckige Schande"
Die Kultur innerhalb der Kerntruppe der Entwickler sei immer ungesünder geworden, schrieb Raymond in einigen Linux-Foren für Entwickler. Man habe das Fedora-Projekt immer stärker auf "ideologische Reinheit" ausgerichtet, anstatt die Hindernisse zu beseitigen, die Linux zu einem Welterfolg auf dem Desktop noch im Wege stehen.
Die Weltfremdheit und der unduldsame Dogmatismus der das Projekt steuernden "Free Software"-Community seien daran schuld, dass [Red Hat] Fedora seinen großen Vorsprung in Bezug auf Technik und Publikumsakzeptanz verspielt habe.
Das sei, so Raymond schriftlich, eine "verdammte, dreckige Schande".
"Geh sterben ..."
Die Antwort des ebenso bekannten Linux-Gurus Alan Cox fiel ebenso kurz wie grob aus: "Vielleicht ist es Zeit, dass der Begriff 'Open Source' das einzig Richtige macht, nämlich auszusterben - mit dir."
Dabei handelt es sich nicht etwa um eine Prügelei zwischen prominenten Entwicklern, sondern es stehen einander zwei Lager offen feindselig gegenüber, die für Außenstehende zum Verwechseln ähnlich sind.
"Free Software" und "Open Source"
Einerseits sind da die "Free Software"- Gemeinschaften, die "GNU/Linux" entwickeln und auf einer strikten Abtrennung zu allem bestehen, was ihrer Definition von "freier Software" nicht entspricht.
Das heißt, für diesen Kreis um den Ober-Guru Richard Stallmann, der seinen langjährigen Wegbegleiter Raymond längst exkommuniziert hat, käme die Vorstellung, mit einem Anbieter kommerzieller Software über eine punktuelle Kooperation auch nur zu reden, Hochverrat gleich.
Im Kern geht es um die Frage, wie man es mit proprietären Multimedia-Formaten wie MP3, WAV, Flash, diversen anderen Videoformaten hält, die zwar von allen Benutzern gebraucht werden, aber eben gar nicht "freie Software" sind.
"Interface Nazi"
Für "Open Source" steht nämlich das andere, deutlich weniger dogmatische Lager der Linux-Gemeinschaften. [Ungefähr: All das ist hier stark verkürzt dargestellt. Damit nicht in jedem Absatz "eigentlich" oder "genau gesagt "stehen muss.]
Linus Torvalds, Hüter des Linux-Kernels, hatte die Entwickler des Gnome-Desktops anno 2005 als "Interface-Nazis" bezeichnet. Auf dem Altar der leichteren Benutzbarkeit würden die Prinzipien des Projekts über Bord geworfen, lautete die Kritik.
MP3-Codecs und die Legalität
Aus diesen Lizenzgründen sind in den frei erhältlichen Linux-Distributionen die Codecs für diese Multimedia-Formate nicht einfach so enthalten, bis jetzt auch nicht in der Ubuntu-Distribution.
Codecs für MP3 und andere proprietäre Audio- und Video-Software lassen sich zwar mit sehr moderaten Linux-Kenntnissen und etwas Zeitaufwand installieren, für Anfänger stellen sie jedoch eine Herausforderung dar. Außerdem: Wirklich legal ist das nicht.
Debian, Ubuntu ...
Genau das aber ist die Crux und der Hauptgrund, warum Raymond zu Ubuntu überwechselte, das auf der Debian-Distribution basiert, die wiederum eigentlich ein Referenzprodukt der "reinen Lehre" ist. Mark Shuttleworth, IT-Krösus und Gründer der südafrikanischen Firma Canonical, die Ubuntu aus Debian-Paketen zusammenstellt, ist naturgemäß anders gestrickt, nämlich pragmatisch.
Ziel ist es, eine Distribution auszuliefern, in der die Zusammenarbeit aller Programme für den Desktop des Benutzers nach Installation automatisch funktioniert.
... Novell und Microsoft ...
Vor diesem Hintergrund ist auch der gegenseitige Lizenzierungshandel zwischen Novell [Suse Linux] und Microsoft zu sehen.
Die Redmonder brauchen in zunehmendem Maße Interoperabilität, da die existierende IT-Weltlandschaft nun einmal eine zunehmend heterogene mit langsam, aber konstant steigendem Linux-Anteil ist. Novell wiederum benötigt die Zusammenarbeit aus ziemlich genau umgekehrten Gründen, und dazu gehört auch Geld.
... und Software-Patente
Microsoft, einer der ordentlichen MP3-Lizenznehmer des Patentinhabers Fraunhofer, ist gerade jetzt in einem Patentstreit mit Alcatel/Lucent rund um die Integration von MP3 in Windows unterlegen.
Das macht deutlich, dass nicht ganz grundlos um die "reine Lehre" in den Linux-Communitys gestritten wird. Das US-Patentsystem schlägt gerade im Software- und IT-Bereich seit Jahren zunehmend unberechenbarere Kapriolen.
(futurezone | Erich Moechel)