Kritik am "Arzneimittel-Sicherheitsgurt"

22.03.2007

Seit Ende Februar wird in Salzburger Apotheken der so genannte "Arzneimittel-Sicherheitsgurt" angeboten. Mittels E-Card soll dabei die Medikamenteneinnahme überwacht werden, um Wechselwirkungen zu vermeiden. Während das Gesundheitsminsterium das Projekt lobt, übt die Ärztekammer heftige Kritik.

Bei dem auf freiwilliger Zustimmung des Patienten beruhenden System kann eingesehen werden, ob sich in der Gesamtmedikation - bei rezeptpflichtigen und rezeptfreien Arzneimitteln - eventuell Neben- oder Wechselwirkungen ergeben könnten. Derzeit wird das Projekt fast flächendeckend auf EDV-E-Card-Basis in Salzburgs Apotheken erprobt.

Bedarf für ein solches System besteht laut der Apothekerkammer allemal: Demnach sterben pro Jahr bis zu 3.000 Menschen in Österreich an gefährlichen Nebenwirkungen von Arzneimitteln.

Erste Bilanz

"Nach den ersten drei Wochen haben Salzburgs Apotheker schon mehr als 30.000 potenzielle Medikamenten-Nebenwirkungen durch falsche, doppelte oder fehlende Einnahme aufzeigen können", zog Salzburgs Apothekerkammerpräsident Friedemann Bachleitner-Hofmann am Mittwoch eine erste Bilanz.

"Schlag ins Gesicht" für Ärztekammer

Das Pilotprojekt erntet aber nicht nur Lob. Die Ärztekammer stört sich etwa daran, dass sie bei der Entwicklung des Systems nicht beteiligt wurde. "Es war ein Schlag in das Gesicht der Ärzte, das von den Apothekern zu entwickeln, ohne uns in irgendeiner Form einzubinden. Das ergibt ein völlig schräges Bild", sagte der Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Österreichischen Ärztekammer [ÖÄK], Jörg Pruckner, am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Zusätzlich wird die Frage nach der Haftung aufgeworfen.

Österreich will - so wie andere europäische Staaten und die USA auch - in den kommenden Jahren die lebensbegleitende Elektronische Gesundheitsakte [ELGA] einführen. Die technischen und rechtlichen Anforderungen sind jedoch enorm hoch.

Technisch "alles einwandfrei"

Laut Hans Jakesz, Pressesprecher der Landesgeschäftsstelle Salzburg in der Österreichischen Apothekerkammer, wolle man die Ärzte in der jetzigen zweiten Phase "ins Boot holen". Bis jetzt sei vor allem abgetestet worden, wie das System technisch funktioniere.

Jakesz zufolge sei bisher "alles einwandfrei" gelaufen. Mehr als 20.000 Salzburger hätten sich bisher beteiligt. Als Ziel habe man sich 50.000 Teilnehmer bis Ende Juni 2007 vorgenommen.

Rund ein Drittel der Apothekenkunden seien von dem Projekt "hellauf begeistert", während ein weiteres Drittel "strikt dagegen" sei und das fehlende Drittel sich erst eine Meinung bilden wolle, erklärte Jakesz auf Anfrage von ORF.at.

Evaluierungsergebnisse bis zum Herbst

Nach Projektende werde schließlich eine Evaluierung auf pharmakologischer wie ökonomischer Ebene durchgeführt, deren Ergebnisse im Frühherbst dieses Jahres vorliegen sollen.

Diese sollen laut Jakesz auch Basis für die Vorbereitung eines österreichweiten Rollouts des Systems sein. Vor Mitte 2008 sei eine Ausweitung des Projekts auf Rest-Österreich jedoch unrealistisch.

Die Kosten für das Pilotprojekt in Salzburg betragen Jakesz zufolge 600.000 Euro, die von der Österreichischen Apothekerkammer, der pharmazeutischen Gehaltskasse, und dem Hauptverband jeweils zur Hälfte getragen würden.

Bis 2010 österreichweit?

Vorsichtiger gibt man sich da im Gesundheitsministerium: Zwar lobte Ministerin Andrea Kdolsky [ÖVP] das Projekt am Mittwoch.

Auf Anfrage von ORF.at erklärte Kdolsky-Sprecher Jürgen Beilein, dass sich das Ministerium von den Ergebnissen aus Salzburg wichtige Inputs erwarte. "Der 'Arzneimittel-Sicherheitsgurt' ist ein wichtiger Teilbereich unserer e-Health-Initiative", so Beilein. Eine endgültige Lösung müsse aber auch den verschreibenden Arzt inkludieren.

Einen genauen Zeitpunkt für die Ausweitung des Systems auf ganz Österreich wollte Beilein nicht nennen: "Das ist schwer festzumachen, weil so viele Rahmenfaktoren stimmen müssen. Irgendwann zwischen 2010 und 2012 wäre aber denkbar."

Wo wandern die Daten hin?

Gespeichert werden die Daten bei der Pharmazeutischen Gehaltskasse für Österreich, die auch die Verrechnung der Rezepte abwickelt. Dort wird betont, dass der Patient freiwillig entscheidet, welche Medikamente in seiner Datenbank gespeichert und geprüft werden sollen und auch jederzeit eine Löschung dieser Daten beantragen kann.

Ärzte sorgen sich um Haftungsrisiko

Die Ärztekammer findet die Idee des Sicherheitsgurts zwar "prinzipiell gut", kritisiert aber die Zentrierung in den Apotheken. Laut Birgit Merz von der Ärztekammer blieben noch "einige Fragen offen".

Besondere Sorge bereit den Ärzten das Haftungsrisiko. Die Verantwortung liege nämlich weiterhin beim Arzt, wenn der Apotheker etwa ein Medikament aus Vorsicht streiche. Weiters kenne der Apotheker meist auch die Diagnose nicht.

In der jetzigen Form stünden die Ärzte einem österreichweiten Start defensiv gegenüber. "Das Projekt wurde vom falschen Ende aufgezäumt. Jeder hat seinen Platz im System", so Merz. Sie orte hingegen eine Tendenz der Apotheker, ihre Kompetenzen auszuweiten.

(futurezone | Nayla Haddad)