"Permanente Ego-Produktion"
Hype-Alarm: Das Social-Networking-Service Twitter gilt als das nächste große Ding. Was aber macht den Reiz eines Dienstes aus, der vorwiegend zum Austausch von Banalitäten genutzt wird? ORF.at hat sich in der Branche umgehört.
Auf Twitter dreht sich alles um die einzige, triviale Frage "Was machst du gerade?" Die Antwort darauf lassen mittlerweile mehr als 50.000 Leute ihre Freunde und Kontakte wissen. Und wirklich jeden, den es interessieren könnte.
Die 140 Zeichen langen Lageberichte aus dem Alltag können nicht nur auf die eigene Twitter-Seite gepostet, sondern wahlweise auch per Instant Messenger und SMS versandt werden. Natürlich lassen sich die Tweets, wie die Kurzeinträge von den Twitterati genannt werden, auch per RSS abonnieren.
Twitter ging 2006 an den Start. Gegründet wurde der Dienst unter anderen von Evan Williams, der bereits mit der im Jahr 2003 an Google verkauften Weblog-Plattform Blogger und dem Podcasting-Service Odeo für Aufsehen sorgte. Bisher wurden auf Twitter mehr als 1,6 Millionen Einträge veröffentlicht. Durchschnittlich sind es 30.000 pro Tag.
"Verlasse gerade das Büro"
Wie aber erklärt sich der Reiz eines Dienstes, der von seinen Nutzern vorwiegend dazu verwendet wird, um der Welt mitzuteilen, dass sie gerade eine Pizza gegessen oder soeben ihr Büro verlassen haben?
Hype in Weblogs
Allein in der vergangenen Woche stiegen die Zugriffe auf Twitter nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Hitwise um 55 Prozent. Tendenz steigend. Zum Hype um Twitter haben vor allem Blogger beigetragen. Der Weblog-Index Technorati zählte bis Donnerstag Mittag rund 32.000 Blog-Einträge zur Social-Networking-Site.
"Kollektives Resonanzphänomen"
"Twitter ist ein kollektives Resonanzphänomen", meint Tom Fürstner, Mitbegründer des österreichischen Software-Unternehmens System One.
Bemerkenswert am Social-Networking-Dienst seien vor allem zwei Dinge: "Einerseits ist man tatsächlich permanent mit anderen Menschen in Kontakt, also immer verknüpft, und andererseits eignet sich Twitter sehr gut dazu, um Aufmerksamkeit zu erregen und sich für andere Leute interessant zu machen: permanente Ego-Produktion."
Für Fürstner ist Twitter auch deshalb interessant, "weil man es als Protokoll des eigenen Tuns verwenden kann, als reflexives Werkzeug, über das sich der eigene Tagesverlauf erschließen lässt."
Voyeurismus der Nutzer
Der Münchner Kommunikationsberater und Autor ["Corporate Blogs"] Klaus Eck meint, dass mit Twitter zum einen der Voyeurismus der Nutzer bedient werde: "Wie kommen andere in ihrem Alltag zurecht, wir kennen das aus Big Brother."
Zum anderen könne der Dienst auch für Unternehmensanwendungen genutzt werden. So lasse sich etwa im kleinen Rahmen und bei kleinen Projekten die Zusammenarbeit organisieren: "Das gilt vor allem für Unternehmen, die nicht über Software zum Projektmanagement verfügen."
Vor allem aber eigne sich Twitter dazu, um andere auf sich aufmerksam zu machen. "Ich habe etwa bemerkt, dass sich mit Twitter der Traffic auf der eigenen Website erhöhen lässt und dass sich damit auch Kontakte pflegen und ausbauen lassen", meint Eck.
"Ich experimentiere noch damit und überprüfe dabei, wie es für mich funktionieren kann", sagt Eck. Auf seinem Weblog PR Blogger hat Eck zehn Twitter-Thesen für die Online-Kommunikation formuliert:
Soziale Kontrolle als Feature
Wolfgang Zeglovits, Geschäftsführer der Wiener Innovationsagentur Datenwerk, steht Twitter skeptisch gegenüber: "Dienste wie Twitter ermuntern ihre Nutzer zur freiwilligen Beschneidung ihrer Persönlichkeitsrechte." Soziale Kontrolle werde dann nicht mehr als Gefahr, sondern als Feature wahrgenommen, meint Zeglovits.
"Ich bin persönlich vorsichtig, was solche Services betrifft, aber offensichtlich treffen sie den Zeitgeist und daher probieren sie viele Leute aus", sagt Zeglovits.
Twitter lässt sich jedoch auch einfach als RSS-Reader nutzer. Die Feeds von Wired News werden ebenso in den Kommunikationsfluss auf der Plattform eingespeist wie jene der "New York Times" und der BBC.
Vielfältige Nutzungsweisen
"Twitter ist eine jener disruptiven Technologien, wo noch niemand weiß, wie tradierte Nutzungsweisen davon aussehen werden", sagt Fürstner.
Anwendungen von Twitter werden gerade erprobt, sagt auch Eck: "Es wird sich noch herauskristallisieren, ob Nutzer für sich interessante Anwendungen finden." Davon werde es letztlich auch abhängen, ob sich Twitter dauerhaft durchsetzen kann.
Auch die US-Politik hat die Social-Networking-Anwendung bereits für sich entdeckt. So kommuniziert etwa der demokratische Präsidentschaftsanwärter John Edwards über Twitter mit seinen Anhängern und verkündet stolz: "Ich bin heute in San Francisco."
(futurezone | Patrick Dax)