EU-Pässe, Fingerprints, Behinderung

26.03.2007

Die EU wird das umstrittene "Zweizeigefinger"-System für Fingerabdrücke auf den Funkchips in den Reisepässen einführen, obwohl die USA nach vier Betriebsjahren ein solches System gerade abgeschafft haben. Antworten der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auf eine Anfrage von ORF.at.

Auch wenn die USA ihr "Zweizeigefingerabdruck"-System für Grenzkontrollen nach vier Jahren Betrieb Anfang 2007 eingestampft haben und erklärtermaßen auf zehn Fingerabdrück umsteigen, behält die EU ihr "Zweizeigefingerabdruck"-Vorhaben weiter bei.

Die EU habe sich bewusst für das "Zwei Finger flach"-System entschieden, es sei nicht geplant, seitens der EU für maschinenlesbare Reisedokumente auf "Zehn Finger gerollt" umzustellen, heißt es in einer Stellungnahme des deutschen Bundesinnenministeriums auf Anfrage von ORF.at.

Was das Zweifingersystem in den USA scheitern ließ, nämlich der Abgleich der beiden Fingerprints mit einer zentralen Fingerabdruck-Datenbank des Heimatschutzministeriums bei der Grenzkontrolle, stehe in Europa nicht auf der Agenda.

O-Text deutsches Innenministerium:

"Ziel der Einführung elektronischer Reisepässe ist der sichere Abgleich von kontrollierter Person und Dokument beim Grenzübertritt [1:1-Verifikation], wofür zwei Fingerabdrücke geeignet und völlig ausreichend sind. [...]"

"Das europäische Konzept sieht keinen Datenbankabgleich [1:n-Identifikation] vor, wie er beispielsweise in der USA im Rahmen des US-VISIT-Programms erfolgt", so die Stellungnahme des Innenministeriums der augenblicklichen EU-Ratspräsidentschaft zum "E-Pass" weiter.

Das bedeutet:

Die beiden Fingerabdrücke werden nicht zum künftigen Abgleich in einer zentralen Datenbank gespeichert, weil der Abgleich, wie das US-Beipiel gezeigt hat, ab einer gewissen Zahl von enthaltenen Fingerprint-Paaren konstant steigende Fehlerraten produziert. Eine einreisende Person wird tendenziell anhand ihrer Fingerabdrücke als mehrere, dem System bereits bekannte Personen identifiziert.

Das hatte neue Datenbankabfragen und Gegenchecks durch spezielles Sicherheitspersonal zur Folge und beeinträchtigte den US-Luftverkehr immer stärker, da die Fehlerrate mit den im System eingegebenen Datensätzen konstant steigt.

Mit dem EU-Verfahren tatsächlich in der Praxis durchführbar ist der Abgleich 1:1: Das von einem Scanner beim Grenzübertritt live eingelesene Fingerabdruckpaar des Flugreisenden wird mit den beiden Fingerprints im Pass automatisch abgeglichen.

Die nächste Frage ...

Ist der deutschen Bundesregierung eventuell nicht bekannt, welche entscheidenden Schwächen dieses System in der Praxis aufweist?

Etwa dass bei Links- wie Rechtshändern gerade die Zeigefinger der jeweiligen Arbeitshand in der Regel die abgenütztesten Fingerprints von allen zehn Fingern aufweisen? Und dass damit die mithin höchsten möglichen Fehlerraten beim Abgleich garantiert sind?

... und die Antwort

"In Vorbereitung der E-Pass-Einführung in Deutschland wurden im Sommer 2006 Pilottests durchgeführt, bei denen sich die Fingerabdrücke von Zeigefingern als tauglich für den Abgleich erwiesen haben. Zusätzlich läuft derzeit ein Feldtest in mehr als 20 deutschen Passbehörden, bei dem die Erfassung und Qualitätsprüfung der Fingerabdrücke umfassend getestet werden", heißt es in der Stellungnahme.

"Daumen, Mittel- oder Ringfinger"

"Der Standardprozess sieht die Erfassung beider Zeigefinger für den E-Pass vor; im Falle von Verletzungen, Behinderungen oder anderweitigen Qualitätsmängeln der Zeigefingerabdrücke sollen stattdessen die Abdrücke von Daumen, Mittel- oder Ringfinger im E-Pass-Chip gespeichert werden, sodass hohe Fehlerraten bereits im Vorfeld unterbunden werden", so die Stellungnahme weiter.

Das heißt, bekannte Kriminelle ...

Für einen Fingerprint-Abgleich 1:1 an der Grenze genügen zwar zwei Finger, so die Qualität der bei der Passausstellung erfassten Prints nach den oben definierten Kriterien gegeben ist.

Die allerdings lassen sich weder gegen eine Zweifingerdatenbank abgleichen noch ist ein "Matching" gegen die "Zehn Finger gerollt"-Systeme der europäischen Polizeibehörden möglich, deren Fingerabdruck-Datenbanken gerade quer durch die EU vernetzt werden.

... werden durch Fingerprint-Abgleich ...

Damit taugt das EU-System ebenso wenig wie jenes des US-Heimatschutzes dazu, während oder nach der Grenzkontrolle sicher festzustellen, ob jemand unter einer anderen Identität, wohl aber mit den eigenen Fingerabdrücken einreist.

Auch wenn diese bereits in der Kriminellendatenbank der jeweiligen Polizeibehörden enthalten sind, ist es nicht möglich, das anhand eines Vergleichs der Fingerabdrücke allein festzustellen.

... nicht identifiziert

Gesuchte Kriminelle, die sich von einem korrupten Passbeamten irgendwo in EU-Europa einen Reisepass, der ihre echten Fingerabdrücke enthält, auf einen anderen Namen ausstellen ließen, können mit dieser Methode also nicht identifiziert werden.

Genau das hatten drei Biometrieexperten im Gespräch mit ORF.at vehement kritisiert. Das "Biometrie light"-System sei nicht nur wegen der Zeigefingerprint-Vorgaben unprofessionell, sondern habe auch schwere strukturelle Mängel, so der Tenor der drei Fachleute.

Möglichkeit und Missbrauch

Biometrie habe stets von "innen" zu beginnen, also müssten die Handlungen aller beteiligten Beamten vom Ausstellen der Pässe bis zur Kontrolle derselben ebenfalls durch Fingerabdruck-Abgleich kontrolliert werden, um Missbrauch auszuschließen.

Und diese Möglichkeit ist gerade bei den vielen verpflichtenden wie optionalen Datenfeldern in den kommenden EU-Funkchip-Reisepässen gegeben.

Es gibt für jedes Land frei zu wählende Datenfelder, in denen von den Behörden künftig z. B. Anmerkungen bzw. "Schwarze Punkte" direkt auf dem Passchip eingetragen werden können.

Biometrie für Beamte

Es müsse also ein begleitendes, ebenfalls biometrisch abgesichertes Kontrollsystem geben, das aufzeichnet, wann welcher Beamte welche Daten auf dem Passchip eingetragen bzw. verändert hat.

Nur so könne verhindert werden, dass Verbrecher durch Korruption zu falschen "Sicherheitspässen" kämen, so die Experten.

"Spitzelskandale"

Recht gut vergleichbar ist so ein Kontrollmechanismus mit dem vor Jahren eingeführten Protokollieren der Zugriffe von Beamten des österreichischen Innenministeriums auf Datenbanken mit "sensiblen, personenbezogenen" Daten.

Das geschah erst, nachdem hier zu Lande in den 90er Jahren nachgerade seriell "Spitzelskandale" aufgeflogen waren, in die vor allem Beamte besagten Ministeriums, aber auch Politiker verwickelt waren.

Warum die EU mit dem Reisepasssystem bereits das dritte Fingerprint-System einführt - alle drei operieren mit verschiedenen, großteils nicht kompatiblen Ansätzen - und wie es um die Fingerabdrücke in österreichischen Reisepässen steht, erfahren Sie im nächsten Teil unserer Serie "Du, die EU und Deine Fingerprints".

(futurezone | Erich Moechel)