Der schwere Weg zur Demokratie
Nach den ersten basisdemokratischen Wahlen zum ICANN-Direktorium hat das Netz-Establishment der USA das Engagement der Nutzerschaft in der Verwaltung des Internets abgewürgt. Nun gibt es neue zarte Ansätze zur Bürgerbeteiligung in der ICANN, berichtet Netzpolitik-Kenner Wolfgang Kleinwächter.
Anlässlich des Lissaboner Meetings der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers [ICANN] ist am vergangenen Freitag die europäische Nutzerorganisation EURALO offiziell von der ICANN anerkannt worden. Damit ist ein erster Schritt für mehr Mitbestimmung der Nutzer in der Verwaltung des Internet getan.
Chance für mehr Demokratie im Netz
Die so genannten Regional At-Large Advisory Organisations [RALOs], von denen es bisher je eine für Lateinamerika, Afrika, Europa und Asien gibt, entsenden insgesamt zehn Mitglieder in den zentralen Nutzerrat der Internet-Adressverwaltung, das At-Large Advisory Committee [ALAC]. Das ALAC wiederum darf ein Verbindungsmitglied [Liaison] in das Direktorium der ICANN schicken, das allerdings nicht stimmberechtigt ist.
ORF.at sprach mit dem deutschen Politikwissenschaftler und ICANN-Kenner Wolfgang Kleinwächter, der daran beteiligt war, die EURALO zu gründen. Kleinwächter glaubt, dass die ICANN letztlich dazu verdammt ist, sich zu demokratisieren.
Wolfgang Kleinwächter ist Professor für Internationale Kommunikationspolitik und Regulierung an der Universität Aarhus, Dänemark, und Vorstand des Vereins Medienstadt Leipzig. Er hat das Memorandum of Understanding zwischen der Basisorganisation der europäischen Internet-Nutzer [European At Large Organisation - EURALO] und das Regelwerk [Bylaws] für die Zusammenarbeit von EURALO und ICANN mit entwickelt.
ORF.at: Herr Kleinwächter, öffnet sich die ICANN wieder für die Internet-Nutzer?
Wolfgang Kleinwächter: Das Pendel schwingt wieder zurück in Richtung Demokratisierung, ich bin da vorsichtig optimistisch. Als die ICANN gegründet wurde, sollten Regierungen und Nutzer gleichberechtigt sein. Also gab es im Jahr 2000 unter dem Motto "ICANN at large" basisdemokratische Wahlen, über die registrierte Nutzer in jeder Weltregion stimmberechtigte Mitglieder ins Direktorium der ICANN wählen konnten.
Nach den Vorfällen des 11. September 2001 war die US-Regierung allerdings der Ansicht, dass es zu gefährlich sei, auf diese Weise gewählten Direktoren Zugriff auf eine wichtige Ressource zu geben, die als Infrastruktur für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten von kritischer Bedeutung ist. Außerdem gab es auch seitens der Nutzer zum Teil heftige Kritik am Prozedere und an der Legitimation des Wahlprozess, obwohl die Wahlen im Prinzip gut funktioniert hatten.
ORF.at: Die ICANN hat dann also die interne Demokratie abgeschafft.
Wolfgang Kleinwächter: 2002 sind die gewählten At-Large-Direktoren ausgeschieden. Seither wählt ein so genanntes Nomination Committee acht Direktoren. Gleichzeitig wurde ein At-Large Advisory Committee [ALAC] als beratender Internet-Nutzerausschuss geschaffen, der jedoch nur einen nicht stimmberechtigten Direktor in das ICANN Board entsenden konnte.
Formal waren die Nutzer damit mit dem Government Advisory Committee [GAC] gleichgestellt, das ebenfalls ein nicht stimmberechtigtes Mitglied ins Direktorium entsenden konnte. De facto war das aber eine Entmachtung der Nutzer. Bislang war das ALAC auch nur mit provisorischen Mitgliedern besetzt.
ORF.at: Aber die Nutzer hatten nichts mehr zu sagen.
Wolfgang Kleinwächter: Das ALAC wurde zunächst von vielen ICANN-Aktivisten abgelehnt. Drei Jahre lang bewegte sich dann nichts. Nun haben offensichtlich viele eingesehen, dass Blockade und Ignoranz auch nichts bringen und man wohl mit den nun einmal geschaffenen Strukturen eine Zeit lang wird leben müssen. Befördert wurde diese Ansicht auch durch den UN-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft [WSIS] 2005 in Tunis.
Dort gab es starke Forderungen, die Regierungen stärker an der Kontrolle über das Internet zu beteiligen. Die ICANN schmetterte diese Forderungen unter dem Hinweis ab, dass man die relevanten Gruppen im Internet besser ansprechen könne als zum Beispiel die ITU, weil man dafür spezielle Kommunikationskanäle etabliert habe.
Plötzlich wurden die Nutzer für ICANN wieder interessant. Dadurch eröffneten sich in der Tat neue Chancen, an der Politkentwicklung mitzuwirken. Wie weit das geht, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
ORF.at: Aber die ICANN stand von da an im Wort.
Wolfgang Kleinwächter: Ab da war es wieder möglich, sich sinnvoll einzubringen. Die ehemalige ALAC-Vorsitzende Annette Mühlberg hat die Entstehung der Recognized At-Large Structures [ALS] gefördert. Eine ALS ist nichts anderes als eine Organisation, die bei der ICANN akkreditiert ist und an der Nutzervertretung teilhaben darf.
In Europa gibt es schon um die 20 solcher Organisationen, etwa das deutsche Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung oder den Verein Medienstadt Leipzig.
ORF.at: Wie können interessierte Netzbürger und Organisationen in den Diskurs der ICANN einsteigen?
Wolfgang Kleinwächter: Organisationen können sich als ALS beim ALAC akkreditieren lassen. Die sehr allgemeinen Kriterien für eine Akkreditierung und das Verfahren sind auf der ICANN-Website publiziert. Das geht ganz einfach.
Als ALS ist man dann automatisch Mitglied der EURALO, also der Plattform der europäischen Internet-Nutzer. Wir haben vor, schon bald eine Generalversammlung der EURALO-Mitglieder anzuberaumen.
ORF.at: Dürfen da nur Organisationen oder auch Individuen mitmachen?
Wolfgang Kleinwächter: Das war noch ein Streitpunkt auf dem Treffen in Portugal. Die lokalen Organisationen der Internet Society [ISOC], die bisher quasi ein Monopol auf die Willensbildung in vielen Ländern halten, waren dagegen. Jetzt sieht es nach einem Kompromiss aus.
Individuen, die keiner ALS angehören, können sich für Wahlen in den EURALO Board und in das ALAC von einer ALS nominieren lassen. Individuen werden möglicherweise aber in der EURALO über kein Stimmrecht verfügen. Die bleibt bei den ALS.
ORF.at: Wofür werden sich die RALOs konkret einsetzen?
Wolfgang Kleinwächter: Priorität haben die Interessen der individuellen Internet-Nutzer. Das reicht von Themen wie Datenschutz bei Whois bis zur Meinungsäußerungsfreiheit bei Domainnamen. Dabei rückt der Verbraucher- oder Konsumentenschutz, der mit dem Domain Name System zu tun hat immer mehr in den Mittelpunkt.
Nutzer gehen davon aus, dass sie ihren Domainnamen sicher haben. Aber was passiert, wenn plötzlich der Registrar pleite geht und damit auch die Domain verschwindet? Hier gibt es einiges zu tun. Oder nehmen sie die Diskussion in Deutschland über die neue Domain .berlin. Der Bundestag hat eine solche Initiative für Städte-TLDs unterstützt, sieht er doch darin mehr Freiheit und Wahlmöglichkeit für Nutzer.
Der Berliner Senat, der am Betrieb von berlin.de beteiligt ist, sieht darin aber eine Konsumentenverwirrung. Wer hat nun Recht? Hier kann sich die EURALO als Er- und Vermittler einbringen weil sie näher an dem wirklichen Nutzer dran ist.
ORF.at: Könnte es in absehbarer Zeit wieder einen ICANN-Direktor mit Stimmrecht geben, der die Interessen der Nutzerschaft vertritt?
Wolfgang Kleinwächter: Das, denke ich, wird die nächste Diskussion sein. Vielleicht erhält das ALAC bis 2009, wenn das Joint Project Agreement zwischen ICANN und der US-Regierung ausläuft, zwei stimmberechtigte Direktoren wie sie die "Supporting Organisations" haben.
Das liegt auch im Interesse der ICANN. Nutzerbeteiligung ist für die ICANN von existenziellem Interesse. Auch bei den Nutzervertretern selbst sind die politischen Vorstellungen seit 2000 gereift. Und immerhin hat das At-Large Advisory Committee jetzt auch von der ICANN ein Budget bekommen.
Das ist hilfreich, denn die Leute, die sich in den Organisationen der Nutzer engagieren, sind keine Kommunikationsprofis, sondern machen das in freiwilliger Feierabendarbeit.
(futurezone | Günter Hack)