"Man kann Sachen einfach ausprobieren"
Seit fast drei Jahren notiert der Frankfurter Medienjournalist Stefan Niggemeier im Bildblog "die kleinen Merkwürdigkeiten und das große Schlimme" aus Deutschlands größter Boulevardzeitung "Bild". Mit ORF.at hat Niggemeier über das Bildblog und die Möglichkeiten des Weblog-Formates gesprochen.
Mit rund 40.000 Besuchern täglich ist das mehrfach ausgezeichnete Bildblog heute das wahrscheinlich meistgelesene Weblog im deutschen Sprachraum.
Konkrete Strategien oder gar Business-Pläne hat es für das Watch-Blog, mit dem die Macher mittlerweile Geld verdienen, nie gegeben: "Wir haben einfach losgelegt, jeden Tag da was reinzuschreiben", sagte Niggemeier im Gespräch mit ORF.at am Rande der Blogger-Konferenz re:publica vergangene Woche in Berlin. Aber gerade das sei das Schöne am Weblog-Format, so Niggemeier: "Man kann viele Sachen einfach ausprobieren."
Neben dem Bildblog füllt Niggemeier auch noch sein privates Weblog sowie ein Blog zu einem Fernsehlexikon, das er vor kurzem gemeinsam mit Michael Reufsteck geschrieben hat.
ORF.at: Was war Ihre Motivation, Bildblog zu starten?
Niggemeier: Wir haben uns mit ein paar Kollegen, die auch Medienjournalisten sind, jeden Tag über die "Bild"-Zeitung geärgert und haben gemerkt, dass man in Zeitungen nur begrenzt die Möglichkeit hat, darüber zu berichten, weil es natürlich auch andere Themen gibt, sodass man auf der Medienseite nicht jede Woche über "Bild" schreiben kann.
Irgendwann haben wir entdeckt, dass es die Möglichkeit des Blogs gibt, das es quasi fünf Minuten dauert, so etwas erstmal aufzumachen, und haben dann einfach angefangen. Wir haben uns ehrlich gesagt überhaupt keine Gedanken gemacht: Was erreichen wir damit? Wir haben einfach losgelegt, jeden Tag da was reinzuschreiben.
ORF.at: Hatten Sie sich davor schon für Blogs interessiert?
Niggemeier: Eigentlich nicht. Ich habe auch keine Blogs gelesen. Das war eher so ein Spieltrieb von mir, das ich gesehen habe bei Blogger.com, da kann man sich registrieren und dann hat man ein Blog, und das habe ich einfach gemacht.
ORF.at: Wie viel Zeit stecken Sie in Bildblog?
Niggemeier: Der Christoph Schultheis macht den Bildblog als Vollzeit-Job. Ich steck auch noch einige Stunden rein und dann haben wir noch zwei Kollegen, die mithelfen. Man kann das schlecht zusammenzählen, aber es sind mindestens 1,5 Stellen, wenn man das so ausdrücken will.
ORF.at: Gibt es beim Bildblog so etwas wie einen Redaktionsplan?
Niggemeier: Wir haben eigentlich keinen fixen Tagesablauf. Wir sagen jetzt nicht, zu einer bestimmten Uhrzeit muss jemand im Büro sein. Wir haben keine Konferenz oder irgendwas.
Es gibt immer jemanden, der die Leser-Mails im Auge behält und nachsieht, ob da irgendwelche interessante Hinweise kommen, und natürlich gucken wir uns die "Bild"-Zeitung und Bild-online an. Die stellen um Mitternacht immer schon einen großen Teil der Zeitung ins Netz. Abgesehen davon gibt es überhaupt keine Vorschriften oder Regeln, die wir uns machen. Es gibt keine Art von Formalisierung.
ORF.at: Haben Sie auch andere Pläne mit dem Weblog-Format?
Niggemeier: Ich hab ein Fernsehlexikon gemeinsam mit Michael Reufsteck geschrieben, auch dazu gibt es ein Blog. Ich kann mir auch ganz viel vorstellen, mir fehlt aber jetzt ein bisschen die Zeit. Aber man kann viele Sachen einfach ausprobieren, und wenn man sieht, dass es die Leute nicht interessiert, dann lassen wir es halt wieder.
Man braucht da keine Strategien oder Business-Pläne entwickeln, sondern findet das einfach so raus. Das muss einen aber auch selbst begeistern.
ORF.at: Haben Sie Kontakte zu "Bild"?
Niggemeier: Kontakte sind schwierig. Wir haben Kontakte zur Pressestelle, weil wir alle als Medienjournalisten gearbeitet haben und von daher mit denen zu tun hatten. Das ist aber extrem mühsam. Meistens bekommt man überhaupt keine Antwort. Manchmal treffen wir einen Kollegen, oder man hört aus der Redaktion irgendwas. Aber darüber hinaus gibt es keine unmittelbaren Kontakte.
Wir haben auch keine Maulwürfe in der "Bild"-Redaktion sitzen, die uns mit Informationen versorgen. Wir machen unsere Arbeit eigentlich auf der Grundlage dessen, was jeden Tag in der Zeitung steht.
Während die deutsche Boulevardzeitung "Bild" aus ihren Lesermassen Paparazzi rekrutiert, ruft das kritische Bildblog seine Fans dazu auf, "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann abzulichten. Ein Vorstoß an die Grenzen des "Citizen Journalism".
ORF.at: Sie haben "Bild" ja einmal eine Rechnung für das Korrekturlesen geschickt.
Niggemeier: Ja, aber sie haben nicht nur die Rechnung nicht bezahlt, sondern auch unseren Brief nicht beantwortet. Wir haben noch eine Mahnung geschickt, aber das hat auch nichts gebracht. Wir haben unseren Punkt gemacht. Wir wollten das auch nicht zu weit treiben.
ORF.at: Das Prinzip des Bildblog wurde ja auch von vielen anderen Leuten kopiert. Lesen Sie einige davon?
Niggemeier: Es gibt ja ehrlich gesagt gar nicht so viele. Es gibt ein paar regionale Watch-Blogs, die ich auch aus dem Augenwinkel heraus verfolge. Es gibt Spiegelkritik, die den "Spiegel" beobachtet. Ich glaube, es ist für die anderen auch sehr mühsam. Die "Bild"-Zeitung hat in Deutschland eine einzigartige Kombination aus Verantwortungslosigkeit und gleichzeitig Bedeutung. Sie setzt Themen und hat immer noch jeden Tag fast zwölf Millionen Leser.
Ich glaube, es gibt wenige andere Medien, die eine ähnlich große Diskrepanz haben zwischen Bedeutung und Veranwortungslosigkeit. Von daher liegen die Themen nicht auf der Straße. Ich glaube, es bietet sich nicht an, für jede beliebige Zeitung ein Watch-Blog zu machen. Ein paar Watch-Blogs mehr würde ich mir trotzdem wünschen.
ORF.at: Verdienen Sie mit dem Bildblog Geld?
Niggemeier: Inzwischen ja. Als wir angefangen haben war der Bildblog nur ein Hobby, das dann immer größer wurde. Wir haben dann auch mehr Zeit investiert und haben den Leuten gesagt, wir freuen uns, wenn ihr uns Geld spendet. Das haben einige Leute gemacht. Auf Dauer hat das aber nicht gereicht.
Seit einem Jahr kann man auf Bildblog werben und inzwischen funktioniert das ganz gut. Seit Anfang des Jahres können wir uns für unsere Zeit, die wir in den Bildblog investieren, ein Honorar zahlen.
ORF.at: Akquirieren Sie Werbung aktiv, oder haben Sie den Verkauf ausgelagert?
Niggemeier: Beides. Wir haben eine Agentur, die Werbung akquiriert, ohne dass wir was damit zu tun haben. Die fragen uns dann, ob wir die Werbung schalten wollen. Es gibt aber auch Fälle, wo uns Kunden auffallen und wir auf die Leute zugehen.
Das ist aber zugegebenermaßen ein mühsames Geschäft. Es ist nicht so, dass wir uns vor Geld und Werbeangeboten nicht retten könnten. Es ist nicht so, dass wir uns überlegen können, wann wir uns einen Dienstwagen anschaffen. Davon sind wir weit entfernt. Aber wir können vom Bildblog leben, ja.
ORF.at: Sie wurden von "Bild" angegriffen, weil Sie Werbung verkaufen.
Niggemeier: Ich finde das erstaunlich. Was wir machen, ist journalistische Arbeit. Im Grunde genommen meint "Bild" damit, dass man zwar mit der Verletzung von Persönlichkeitsrechten Geld verdienen kann, aber nicht mit der Aufklärung darüber. Das ist einfach Quatsch.
ORF.at: Vor kurzem ist in Berlin auch adical gestartet - ein Werbenetzwerk für Weblogs. Wie beurteilen Sie die Erfolgsaussichten?
Niggemeier: Ich hoffe groß. Ich bin da auch mit meinem privaten Blog und auch mit dem Weblog zum Fernsehlexikon dabei. Wie aufgeschlossen die Werbekunden tatsächlich sind, kann ich jedoch nicht beurteilen. Ich glaube, dass es sich lohnt, da dabei zu sein. Ich glaube, dass die Blogs sehr davon profitieren, wenn die Autoren ein bisschen Geld mit ihrer Arbeit verdienen können.
Das neu gegründete Berliner Unternehmen adical will Weblog-Inhalte an die Werbewirtschaft vermarkten. ORF.at hat mit adical-Mitbegründer Sascha Lobo über das Geschäftsmodell des Weblog-Werbenetzwerkes und über das Geldverdienen mit Blogs gesprochen.
ORF.at: Wie wird es mit dem Bildblog weitergehen?
Niggemeier: Wir hatten da eigentlich nie konkrete Pläne. Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass wir das jetzt nicht 20 Jahre machen können, weil man sich irgendwann doch ein anderes Thema suchen muss als nur diese schreckliche Zeitung. Vielleicht führen den Bildblog ja andere Leute weiter.
Vielleicht entwickeln wir andere Formen, uns mit der "Bild"-Zeitung auseinander zu setzen. Wir hatten etwa auch einen Rechtsratgeber. Das war für uns ein bisschen der Versuch, sich abseits von diesem Jeden-Tag-Bloggen mit der Zeitung auseinander zu setzen.
Die Berliner Konferenz re:publica stand vergangene Woche im Zeichen von Weblogs, Podcasts und dem Mitmach-Web.
(futurezone | Patrick Dax)