Der Preis der freien Wissenschaft
Nach dem Willen von Politikern und EU sollen Wissenschaftler ihre Artikel künftig im Open-Access-Verfahren frei im Internet publizieren statt in teuren Fachzeitschriften. Bruno Bauer, führender österreichischer Experte für Open Access, sieht dadurch allerdings noch mehr Kosten auf die Bibliotheken zukommen.
Die Universitätsbibliotheken stecken in der Klemme. Der Preis für Abonnements wichtiger Fachzeitschriften speziell im medizinischen und technischen Bereich hat sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. So kostet ein Jahresabonnement der Zeitschrift "Brain Research" 20.000 Euro.
Die Privatisierung öffentlichen Wissens
Gleichzeitig sind die Wissenschaftler dazu gezwungen, in den Fachzeitschriften zu publizieren, denn die Veröffentlichungen sichern ihren Status und ihr berufliches Fortkommen in der Branche.
Dass einige wenige Wissenschaftsverlage über diese Mechanik sehr gut verdienen, ist eine Sache. Dass aber die Gesellschaft erst für die Forschung zahlt und die öffentlichen Bibliotheken dann das vom Staat bereits bezahlte Wissen über die hohen Abonnementpreise wieder zurückmieten müssen, stößt immer mehr Wissenschaftlern und Forschungspolitikern sauer auf.
EU-Millionen für Open Access
Erst Anfang dieses Jahres hatte EU-Forschungskommissar Janez Potocnik daher angekündigt, 85 Millionen Euro bereitstellen zu wollen, um damit das Open-Access-Publishing zu fördern. Open Access bedeutet, dass Wissenschaftler ihre Artikel frei für alle zugänglich im Internet publizieren. Die von der Allgemeinheit bezahlten Forschungsergebnisse wären dann frei verfügbar.
Um nachzusehen, wie es um Open Access in Österreich steht und ob das Konzept dabei helfen kann, die oben beschriebene "Zeitschriftenkrise" zu überstehen, hat ORF.at mit Bruno Bauer, dem Leiter der Bibliothek der Medizinischen Universität Wien, gesprochen.
Bauer beschäftigt sich seit geraumer Zeit auf beruflicher und wissenschaftlicher Ebene mit den Möglichkeiten und Grenzen des Open-Access-Publishing und gilt als einer der besten österreichischen Experten auf diesem Gebiet.
Das Thema ist komplex, weswegen auch das Interview sehr lang ausgefallen ist. Wir haben uns trotzdem dazu entschlossen, es in voller Länge zu publizieren, da es einen guten Überblick über dieses Thema bietet. Für jene Leser, die nicht so viel Zeit haben, es zu lesen, seien hier noch einige zentrale Punkte zusammengefasst.
Zusammenfassung
Bauer glaubt nicht, dass Open Access das Patentrezept zur Lösung der Zeitschriftenkrise darstellt. Es gebe zwar schon einige hochwertige Open-Access-Journale, diese aber verlangten für das Publizieren der Artikel genauso viel Geld wie die alteingesessenen Pendants.
Das Open-Access-Modell bevorzuge darüber hinaus die Industrie, die sich bequem aus der Finanzierung des Publikationsbetriebs über Anzeigen und Abonnements zurückziehen und frei auf die Forschungsergebnisse der staatlichen Universitäten zugreifen könne.
Finanzierung sichern
Auch die Finanzierung der Open-Access-Modelle sei noch nicht gesichert. Die bisherigen erfolgreichen Versuche seien von großen Institutionen quersubventioniert worden. Die Bibliotheken brauchten viel Geld, um die Infrastruktur für ein funktionierendes Open-Access-System bereitstellen zu können.
Die Initiative von Janez Potocnik begrüßt Bauer, stellt allerdings fest, dass es sich dabei nur um eine Abschubfinanzierung handelt, bei der die Empfänger die zugeteilte Summe auch selbst noch einmal aufbringen müssten.
Tatenlose Politik
Obwohl hochrangige Vertreter des österreichischen Wissenschaftsbetriebs die wichtigsten Absichtserklärungen zu Gunsten des Open-Access-Publizierens unterschrieben hätten, sei in Österreich in dieser Hinsicht wenig passiert. So gibt es im ganzen Land nur ein einziges Online-Repositorium, das von einer Universitätsbibliothek betrieben wird. In Deutschland gibt es 110 solcher Repositorien.
Die weit beachtete Berliner Erklärung für Open-Access-Publishing von 2003 wurde unter anderen von Georg Winckler, dem Rektor der Universität Wien, und von Georg Wick, dem Präsidenten des Wissenschaftsfonds, unterzeichnet. Getan hat sich in Österreich seither wenig.
Auswege
Die österreichischen Universitätsbibliotheken könnten quasi als Abfallprodukt des Kampfs gegen Plagiate zu ihren Repositorien kommen. Da die qualifizierenden Arbeiten zum Plagiatscheck digital eingereicht werden müssen, wäre es einfach, sie nach Abschluss des Verfahrens in einem Repositorium zu speichern und öffentlich zugänglich zu machen. Das müsste allerdings in den Prüfungsordnungen verankert werden.
Artikel freikaufen
Was den Publikationsbetrieb der professionellen Wissenschaftler angeht, so gibt es auch bei den traditionellen Verlagen bereits Modelle, mit denen sich Artikel aus den renommierten Fachzeitschriften wieder zur offenen Publikation freikaufen lassen.
Fördernde öffentliche Institutionen könnten es bei der Genehmigung von Projekten zur Auflage machen, die Artikel auf diese Weise zu publizieren - und entsprechende Mittel bereitstellen.
Bauer glaubt, dass bei den derzeitigen Verhältnissen dieses "Green Road"-Verfahren dem Open-Access-Publizieren schneller zum Erfolg verhelfen kann als das "Gold Road"-Modell, bei dem die Wissenschaftler ausschließlich in freien Online-Journalen publizieren, von denen es aber noch nicht viele mit hoher Reputation gibt.
Gold Road und Green Road
Im Open-Access-Publishing unterscheidet man zwischen der "Gold Road", dem direkten Publizieren von Artikeln in einem frei zugänglichen Online-Repository, und der "Green Road", dem kombinierten Publizieren in traditionellen Wissenschaftsmedien bei gleichzeitiger Freigabe für Online-Publikation.
Auf der Website des Kognitionswissenschaftlers und Open-Access-Verfechters Stevan Harnad finden sich weitere Informationen zum Thema.
Berücksichtigung in der Wissensbilanz
Bauer schlägt vor, die freie Publikation von Artikeln in öffentlichen Repositorien in der Wissensbilanz zu berücksichtigen, die österreichische Universitäten beim Forschungsministerium abliefern müssen und die als Grundlage für die Verteilung von Mitteln dient.
Bisher werde Open Access auch in der Statistik der Entlehnungen von Dokumenten aus Universitätsbibliotheken nicht berücksichtigt. Wäre das der Fall, wäre automatisch sichergestellt, dass jede österreichische Universitätsbibliothek ein öffentliches Repositorium unterhalten muss.
(futurezone | Günter Hack)