Ein Blick auf den Markt der Politik
Die liberale US-Stiftung Sunlight Foundation versucht, durch geschickte Vernetzung von Daten mehr Transparenz in der Politik der Vereinigten Staaten herzustellen. Mit "Unfluence" können die Bürger nun bequem nachsehen, wer den Wahlkampf ihrer Kandidaten finanziert.
Von den Märkten, die unser Leben regeln, sind nicht alle so übersichtlich, wie wir uns das wünschen würden. Das gilt vor allem für Märkte, auf denen mit Macht gehandelt wird.
Die liberale US-Stiftung Sunlight Foundation finanziert verschiedene Online-Projekte, die dazu beitragen sollen, den Bürgern einen besseren Einblick in die Mechanik der Macht zu geben.
"Follow the money"
Ihr wichtigster Leitsatz dabei: "Follow the money." An den Spendenflüssen diverser Organisationen und Individuen an bestimmte Politiker, so der Gedankengang, ließe sich genauer ablesen, wofür dieser nach den Wahlen eintreten wird, als an seinem offiziellen Programm.
Das Besondere an der Strategie der Sunlight Foundation ist, dass sie gezielt Online-Projekte fördert, deren Ergebnisse sich miteinander vernetzen und kombinieren lassen, um immer neue Blickwinkel auf die Vorgänge in der US-Politik entstehen zu lassen.
So gewann am vergangenen Freitag das Projekt Unfluence den "Mashup Contest" der Stiftung. Unfluence ist eine Flash-basierte Anwendung, die für verschiedene Wahlen in US-Bundesstaaten visualisiert, wer wem wie viel Geld gespendet hat.
Open Source
Unfluence wurde von den US-Programmierern Greg Michalec und Skye Bender-deMoll entwickelt, befindet sich aber noch im Beta-Stadium. Die Entwickler wollen den Code im Lauf der kommenden Wochen frei verfügbar machen.
Gefilterte Klarheit
Der User von Unfluence sucht sich in einem einfachen Menü aus, welche Wahlen er analysieren möchte, und kann dabei auch einstellen, ab welcher Beitragshöhe das System die Spender anzeigt. Besonders nützlich ist die Funktion, mit der sich die Spenden nach Industrien und Interessengruppen filtern lassen.
So ist es dem Benutzer möglich, schnell nachzusehen, welcher Kandidat besonders stark von der Waffen-, der Pharma- oder der Medienlobby unterstützt wird. Das System stellt die Spender je nach Höhe ihrer Beiträge als verschieden große Kreise dar.
Verschleierungstaktik
Ein Nachteil dabei ist allerdings, dass gestückelte Spenden auf diese Weise schnell durch den Filter rutschen, etwa wenn nicht eine bestimmte Firma einen großen Einzelbeitrag gibt, sondern viele ihrer Mitarbeiter kleinere Spenden leisten.
Bisher ist Unfluence noch ein Prototyp. Wenn das System fertig ausgebaut ist, wird es auch möglich sein, auf diversen US-Politikportalen zu den meisten Spendern genauere Daten abzurufen. Auf dem bisher unterstützten Informationsportal VoteSmart sind nur Politiker verfügbar, nicht aber ihre Finanziers.
Quelle der von Unfluence dargestellten Finanzierungsdaten ist das ebenfalls von der Sunlight Foundation unterstützte National Institute on Money in State Politics [NIMSP]. Dieses Institut sammelt die Spendeninformationen und macht sie, und das ist der entscheidende Aspekt, über eine Programmierschnittstelle [API] Dritten frei verfügbar.
Software-Glasnost
Die Sunlight Foundation unterstützt zahlreiche Online-Projekte, die den US-Bürgern mehr Durchblick in Sachen Politik verschaffen sollen, darunter das Parlamentsportal OpenCongress und der beliebte Video-Browser Democracy Player.
Netzwerke im Netzwerk
Wenn die Entwickler es schaffen, Unfluence voll auszubauen, sodass es auch auf Bundesebene funktioniert und die Spendenflüsse im Rahmen von Präsidentschaftswahlen detailliert darstellen kann, wird es ein mächtiges Werkzeug zur Analyse der US-Politik darstellen.
Bis dahin bietet Opensecrets.org, die Website der US-Stiftung Center for Responsive Politics, eine Flash-Grafik, die in bewährter Netzwerk-Manier die wichtigsten Geldgeber der Akteure im bereits laufenden Präsidentschaftswahlkampf 2008 darstellt.
Eifrige Datensammler
Nun mögen Geldspenden am besten dazu geeignet sein, politische Netzwerke sichtbar zu machen - zumal sie in den USA auch veröffentlicht werden müssen. Die Wahlbehörde Federal Election Commission publiziert die Zahlen selbst auf ihrer Website, die Art der Datenaufbereitung ist aber eher für Polit-Profis geeignet als für Bürger, die sich schnell informieren wollen.
Aber auch elegant dargestellte Finanznetzwerke wie Unfluence unterschlagen die in der Politik so wichtige Dimension der persönlichen Netzwerke. Dass auch diese im Web gut dargestellt werden können, zeigte bereits 2001 das Projekt "They Rule", das sich allerdings auf die wichtigsten Akteure des US-Wirtschaftslebens konzentrierte und aufzeigte, wer wo im Aufsichtsrat sitzt.
Dass "They Rule" bisher nur ein Mal aktualisiert wurde, zeigt aber auch, dass es schwieriger ist, solche Beziehungsdaten auf dem neuesten Stand zu halten, weil es zu viele Quellen zu analysieren gilt, während die Finanzdaten aus der Politik von öffentlichen Stellen gesammelt werden und es sie "nur" noch aufzubereiten gilt.
Ratio und Politik
Eine weitere Dimension der Politik, die in Systemen wie Unfluence nur schwach berücksichtigt wird, ist jene der Emotionen. Wenn man ein solches Analysewerkzeug verwendet, stellt sich beim Betrachter nur allzu schnell der Eindruck ein, die wahren, verborgenen Strukturen der politischen Mechanik entdeckt und verstanden zu haben.
Es besteht daher die Gefahr einer übermäßigen Betonung der finanziellen Logik in der Politik, auch wenn Unfluence durchaus nicht nur die Beiträge industrieller, sondern auch weltanschaulicher Lobbyistengruppen darzustellen vermag.
Geld und Ideologie
Der Blick auf das Netz der pekuniären Abhängigkeiten kann suggerieren, dass es in der Politik nur noch ums Geld geht - eine speziell für Demokratien, die vom Engagement ihrer Bürger leben, fatale Illusion. Eine Illusion deshalb, weil Politik eben gerade nicht ein ideologiefreies Geschäft ist, wie es manche Theoretiker seit dem Untergang des sowjetischen Machtblocks wiederholt postuliert haben.
Die Entscheidung der Regierung Bush für den Irak-Krieg, ihre Aktionen gegen Stammzellenforschung und ihre Unterstützung pseudowissenschaftlicher Weltentwürfe wie "Intelligent Design" sind nicht nur auf entsprechende Geldflüsse diverser Unterstützerorganisationen zurückzuführen, sondern folgen der inneren Logik einer starken Ideologie.
Politik der Angst
Das Gleiche gilt für europäische Anti-Terror-Maßnahmen von der Vorratsdatenspeicherung über das Flüssigkeitenverbot an Bord von Flugzeugen bis hin zur vom deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble [CDU] geforderten "Online-Durchsuchung" von Rechnern Verdächtiger ohne deren Wissen. Mag sein, dass die europäische IT- und Biometrie-Industrie durch staatliche Aufträge subventioniert sein will. Aber der eigentliche Treiber, mit dem die politische Entscheidung erst gerechtfertigt und durchgesetzt werden kann, ist die Angst der Bürger vor Terroristen und Verbrechern.
Falls die Franzosen, wie es alle Umfragen voraussagen, Nicolas Sarkozy am heutigen Sonntag tatsächlich zu ihrem Präsidenten wählen, so hätte sein Sieg auch mit seinem erfolgreichen Management der populären Ängste zu tun. Von den Unruhen in den Pariser Banlieues blieben schließlich nicht einmal mehr die Autowracks übrig - Sarkozys Sager über das "Auskärchern" der Vorstädte hängte sich aber bis heute im Bewusstsein fest.
So gesehen wäre es durchaus sinnvoll, zum besseren Verständnis politischer Machtmechanismen ein Netzwerk der Angstfaktoren zu visualisieren. Aber gerade Ängste zeichnen sich dadurch aus, dass sie schwer zu fassen sind. Daraus entsteht eine Unsicherheit, die sich auch durch die besten Analysewerkzeuge nicht beruhigen lässt. Eine Unsicherheit, mit der die zeitgenössische Kontrollgesellschaft aber leben kann, weil sie gerade daraus ihre Kraft bezieht.
(futurezone | Günter Hack)