Neue Plattform für Open Access
Wissenschaftler und Bibliothekare aus Deutschland und haben eine neue Informationsplattform für freies Publizieren im Internet gestartet. Auch österreichische Institutionen sind dazu eingeladen, sich an dem Projekt zu beteiligen, konkrete Zusagen fehlen bisher jedoch.
Am 2. Mai ist Open-access.net, die deutsche Informationsplattform für freies wissenschaftliches Publizieren, online gegangen. Die Gestalter der Website haben es sich zum Ziel gemacht, Wissenschaftler, Politiker und Bürger über die Möglichkeiten des Open-Access-Publizierens zu informieren.
ORF.at sprach mit Anja Kersting, einer der Koordinatorinnen des Projekts, über Perspektiven und Ziele der Open-Access-Initiative.
ORF.at: Wie kam es zur Gründung der Informationsplattform Open Access?
Kersting: Die beteiligten Universitäten Bielefeld, Göttingen, Konstanz und die Freie Universität Berlin sehen den Wandel zu elektronischen Publikationsformen als einen neuen zentralen Schwerpunkt in ihrer Arbeit. In ihrem Bestreben, Wissenschaftlern eine optimale Literatur- und Informationsversorgung zu ermöglichen, entstand großes Interesse und Unterstützung für das Thema Open Access.
Die Zeitschriftenkrise, das erste große Open-Access-Angebot von BioMedCentral und die damit verbundenen Anfragen von Wissenschaftlern waren Auslöser für eine intensive Beschäftigung mit Open Access. In diesem Zusammenhang wurde offensichtlich, dass Informationen zum Thema Open Access nur sehr verstreut und unstrukturiert vorhanden sind.
Daraus entstand die Idee, ein zentrales Informationsangebot zu schaffen, das die bisher verstreut vorhandenen Informationen bündeln und strukturiert aufbereiten sollte. Die Informationsplattform wurde als Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft [DFG] bewilligt und hat seitdem als weitere Unterstützer die Allianz der Wissenschaftsorganisationen, die Hochschulrektorenkonferenz, die Deutsche Initiative für Netzwerkinformation e. V. [DINI] und die Volkswagen-Stiftung gewinnen können.
ORF.at: Was sind die wichtigsten Aspekte, über die Sie informieren möchten?
Kersting: Die Informationsplattform Open-access.net soll natürlich Open Access fördern, ist aber keine Werbeplattform, sondern in diesem Rahmen soll auch eine kritische Auseinandersetzung mit Open Access stattfinden. Open-access.net richtet sich an verschiedene Zielgruppen, für die sehr unterschiedliche Aspekte relevant sind.
Daher haben wir uns entschieden, drei verschiedene Zugänge zur Plattform zu realisieren. Zum einen bieten wir in der thematischen Aufbereitung im Zusammenhang mit Open Access relevante Informationen über die zentralen Begriffe und Formen des Open Access, über Open-Access-Zeitschriften und Repositorien, über die Ursprünge der Open-Access-Bewegung sowie über Geschäftsmodelle und Rechtsfragen.
Zudem werden hier auch Gründe für Open Access wie die erhöhte Sichtbarkeit und damit die erhöhte Wirksamkeit wissenschaftlicher Texte sowie Vorbehalte gegen Open Access
bezüglich der Flüchtigkeit und mangelnden Auffindbarkeit digitaler Daten diskutiert. Neben dem thematischen Einstieg bietet Open-access.net einen fachspezifischen und einen rollenspezifischen Einstieg in das Thema Open Access.
Bei den fachspezifischen Informationen kann sich der Nutzer informieren, inwiefern Open Access in verschiedenen Fächern bereits verbreitet ist und in welcher Form es umgesetzt wird, hier werden etwa disziplinäre Repositorien oder bekannte Open-Access-Zeitschriften der jeweiligen Fächer vorgestellt.
Hinter dem rollenspezifischen Einstieg "Wissenswertes für" [Autoren, Herausgeber von Zeitschriften etc.] werden speziell für die jeweilige Zielgruppe aufbereitete Informationen bereitgehalten. So kann man schnell und unkompliziert spezifische Informationen zu verschiedenen Bereichen erhalten.
Zudem gibt es die Möglichkeit, im Bereich "Praktische Umsetzung" [FAQ] durch die thematische und rollenspezifische Suche gezielt Antworten und Hilfestellungen bei konkreten Fragen zu erhalten.
Die Helmholtz-Gemeinschaft und die
Max-Planck-Gesellschaft haben sich entschieden, Informationen zu Open Access in ihrer jeweiligen Gesellschaft in speziellen Bereichen auf Open-access.net bereitzustellen. Entsprechende Bereiche der Fraunhofer-Gesellschaft und der Leibniz-Gemeinschaft werden folgen. Zudem bietet Open-access.net mit dem Expertenforum in Form einer moderierten Mailing-Liste ein Austauschforum für alle am Thema Open Access Interessierten.
ORF.at: Open-access.net ist also ein rein deutsches Projekt?
Kersting: Ursprünglich war unter dem Arbeitstitel Openaccess-germany.de nur der Aufbau einer deutschen Plattform geplant, doch nachdem sich die Schweizer Forschungsgemeinschaft zur Mitwirkung entschieden hat und Österreich hoffentlich folgen wird, ist das Vorhaben im Laufe des Projektes ausgeweitet und der Domain-Name bereits vor dem Start der Plattform in Open-access.net geändert worden, um eine weitere Internationalisierung kenntlich zu machen und zu fördern.
In Österreich stehen wir bereits in Kontakt mit dem Fonds zur Förderung der Wissenschaftlichen Forschung [FWF]. Grundsätzlich ist dort starkes Interesse an einer Zusammenarbeit mit uns vorhanden.
Geplant ist auch die Übersetzung ins Englische. Einer der nächsten Schritte ist die weitere Ausweitung der Kooperationen.
ORF.at: Stellt Open Access nicht auch eine große finanzielle Belastung für die Universitäten und Bibliotheken dar? Die neue Infrastruktur muss ja zusätzlich zum traditionellen Betrieb aufgebaut werden.
Kersting: In Zukunft werden neben Büchern und Zeitschriften auch elektronische Zugänge und Open Access zentrale Schwerpunkte der Informationsversorgung darstellen. Dadurch entsteht ein Wandel in den Aufgaben von Bibliotheken, der zwar momentan in gewisser Hinsicht Mehraufwand bedeutet, aber als Chance genutzt werden sollte, die Rolle der Bibliotheken als Zentren der Informationsversorgung in einer Institution zu stärken.
Bei gegebenen Ressourcen ist es unumgänglich, den Schwerpunkt von klassischen Aufgabenfeldern auf zukunftsweisende Aufgaben zu verlagern. Zwar wird es für eine Zeit lang notwendig sein, mit Personal- und Sachmitteln zur Förderung von Open Access in Vorleistung zu treten, doch wird man später von den kollektiven Vorteilen profitieren können.
In der Regel sind es neben einzelnen
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vor allem die Bibliotheken, die Open Access in ihren Institutionen voranbringen und implementieren.
Sinnvoll ist dies, da Bibliotheken in engem Kontakt mit den Fachbereichen ihrer Institution und deren spezifischen Interessen an Open-Access-Publikationen stehen und die Bandbreite unterschiedlicher fachlicher Angebote und Erfordernisse im Bereich Open Access sehr gut kennen.
Sie können daher eine für die jeweilige Institution erfolgreiche Strategie zur Umsetzung von Open Access entwickeln. Notwendig sind dabei eine intensive Zusammenarbeit mit der Leitung der jeweiligen Institution und die Einbindung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den Fachbereichen.
Nach dem Willen von Politikern und EU sollen Wissenschaftler ihre Artikel künftig im Open-Access-Verfahren frei im Internet publizieren statt in teuren Fachzeitschriften. Bruno Bauer, führender österreichischer Experte für Open Access, sieht dadurch allerdings noch mehr Kosten auf die Bibliotheken zukommen.
ORF.at: Sie geben auf Ihrer Website auch Ratschläge für Wissenschaftler aus verschiedenen Fachrichtungen. In welchen Disziplinen ist Open-Access-Publishing gut akzeptiert und wo sehen Sie noch Nachholbedarf?
Kersting: Open Access ist vor allem in den STM-Fächern [Naturwissenschaften, Technik und Medizin] bereits recht verbreitet. In der Physik hat Open Access eine lange Tradition und ist in einigen Bereichen fester Bestandteil der Publikationskultur.
Seit Beginn der 1990er Jahre ist die elektronische Selbstarchivierung der Preprints so schnell vorangeschritten, dass die Forschungsliteratur der letzten zehn Jahre über Repositorien wie ArXiv.org, CERN Document Server und SLAC SPIRES fast zu 100 Prozent frei zugänglich ist.
Die Preprints sind zum Teil Vorabversionen von Zeitschriftenartikeln, zum anderen handelt es sich um zunächst nicht anderweitig publizierte vorläufige Ergebnisse oder Diskussionspapiere. Während Open-Access-Publikationen in einigen Fächern also bereits üblich sind und es bereits sehr renommierte Open-Access-Zeitschriften mit hohem Impact-Faktor gibt, ist Open Access vor allem im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich noch nicht sehr weit verbreitet.
Die Vorteile von Open Access gelten in diesen Wissenschaftsbereichen jedoch genauso. Für eine Förderung bedarf es allerdings spezifischer Strategien und Konzepte. Wissenschaftler, die bereits Erfahrung mit Open-Access-Publikationen gemacht haben, sind dem Thema gegenüber zumeist sehr positiv eingestellt, und es ist zu erwarten, dass mit steigenden Open-Access-Angeboten in diesen Bereichen auch Akzeptanz und Nutzung deutlich zunehmen werden.
ORF.at: Was sollten Politik und wissenschaftliche Institutionen tun, um Open Access zu fördern?
Kersting: Der ungehinderte Zugang zu wissenschaftlichen Informationen, für Wissenschaftler und Studierende gleichermaßen eine zentrale Schlüsselressource, ist eine strategische Aufgabe für Hochschulleitungen.
Klassische Lizenz- und Bezahlmodelle für wissenschaftliche Zeitschriften insbesondere in den Lebens- und Naturwissenschaften funktionieren auf Grund einer exorbitanten Gewinnabschöpfung durch einige Verlage nur noch bedingt. Der Zugang zu den betroffenen Fachzeitschriften ist durch das Budget der einzelnen Forschungsinstitution alleine in der Regel nicht länger aufrechtzuerhalten, in der Konsequenz sinkt gleichzeitig auch die Sichtbarkeit der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse der Hochschule.
Desgleichen führen die Informationshemmnisse für die arbeitenden Wissenschaftler auch zu einer Beeinträchtigung der Forschung. Eine Lösung dieser für die Hochschulen drängenden Probleme erfordert grundlegende Strukturveränderungen im Bereich des wissenschaftlichen Publizierens.
Da die Möglichkeiten einer einzelnen Hochschule - in Bezug auf eine prinzipiellere Verbesserung der Informationsversorgung - eher begrenzt sind, können diese Probleme nur kooperativ angegangen und umgesetzt werden, indem die jeweils eigene Hochschule durch einen vertretbaren Einsatz von
Personal- und Sachmitteln zur Förderung von Open Access "in Vorlage tritt", um später von den kollektiven Vorteilen zu profitieren.
In der praktischen Umsetzung bedeutet dies, dass Open Access in einer Institution implementiert werden und Marketing für Open Access betrieben werden muss, die entsprechende Infrastruktur bereitgestellt werden muss, ein Open-Access-Beauftragter oder eine ganze Arbeitsgruppe ernannt werden sollte und die Institution eine Open-Access-Erklärung verfasst, die alle Wissenschaftler auffordert, ihre Ergebnisse Open Access zu publizieren.
Die nachhaltigste Möglichkeit, den Open-Access-Gedanken innerhalb einer Institution zu implementieren, besteht darin, auf eine institutionelle Selbstverpflichtung hinzuwirken.
ORF.at: Wie könnte eine solche Selbstverpflichtung aussehen?
Kersting: Idealerweise geschieht dies in Form einer offiziellen Resolution durch die Leitung einer Institution. Neben einem Bekenntnis der Institution zu Open Access enthält eine solche Selbstverpflichtung in der Regel die Aufforderung an die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, ihre Publikationen Open Access zur Verfügung zu stellen, entweder unmittelbar durch eine Veröffentlichung in Open-Access-Zeitschriften oder - im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten - durch parallele Veröffentlichung der Publikationen im Repositorium ihrer Institution.
ORF.at: Bliebe noch die Unterstützung durch Wissenschaftsförderung und Staat ...
Kersting: Förderorganisationen können neben den direkten Angeboten an Wissenschaftler zur - auch finanziellen - Unterstützung ihrer Open-Access-Publikationen und der Verdeutlichung, dass Open-Access-Publikationen grundsätzlich wahrgenommen und wertgeschätzt werden, auch vielfältige Unterstützungen bei Infrastrukturmaßnahmen gewährleisten.
Möglich sind Förderprogramme zur Unterstützung der Gründung von Open-Access-Zeitschriften, zur Verbesserung des quantitativen und qualitativen Angebots an disziplinären und institutionellen Repositorien und zur Verbreitung des Wissens über
Open-Access-Publikationsformen.
Für die Förderung von Open Access durch die Politik sind ebenso oben genannte Fördermöglichkeiten denkbar sowie Open-Access-freundliche Gesetzesänderungen, beispielsweise des Urheberrechts.
(futurezone | Günter Hack)