Wien lauscht dem Blinzeln der Sterne
Im Dachstuhl der Wiener Universitätssternwarte steht die unscheinbare Bodenstation des Weltraumteleskops COROT. Mit einer einfachen Ausrüstung empfangen die österreichischen Astronomen Bilder ferner Sonnen, die Aufschluss über die Existenz erdähnlicher Planeten geben sollen.
Theaterarchitekten haben vor 133 Jahren die Universitätssternwarte im Wiener Stadtteil Währing entworfen. Auch heute noch betrachten dort Astronomen das älteste Schauspiel, das sich der Menschheit bietet.
Zu Zeiten Kaiser Franz Josephs I. lag der Bau noch außerhalb Wiens. Jetzt ist das Observatorium von der Stadt umgeben, deren Lichtmüll Beobachtungen in einer Präzision, wie sie Astronomen heute für ihre Forschungen benötigen, unmöglich macht. Deshalb weichen die Wissenschaftler in den Weltraum selbst aus. Kompakte Teleskope auf Satelliten liefern bessere Daten, als es ihre Pendants auf der Erde jemals könnten, denn ihr Blick ist von der Atmosphäre ungetrübt.
Das Vibrieren der Luft
"Das Flimmern der Sterne, das eine schöne Sommernacht ausmacht, ist unheimlich romantisch", sagt Werner Weiss, Spezialist für stellarastrophysikalische Fragen an der Universität Wien. "Für den beobachtenden Astronomen bedeutet dieses Vibrieren der Luft allerdings den Ruin der Datenqualität."
Für die Arbeit von Weiss ist ein möglichst klarer und konstanter Blick auf die Sterne grundlegend wichtig. "Wir beobachten kleinste Helligkeitsänderungen von Sternen und leiten aus diesen den inneren Aufbau und die Struktur von Sternen ab", sagt der Astronom und führt den Besucher verwinkelte Gänge und Treppenhäuser hinauf, bis in den Dachstuhl der 1883 eröffneten Sternwarte.
Hier, unter dem Dach des Südtrakts, steht eine kleine Kabine, vollgestopft mit Elektronik. Auf sechs Quadratmetern drängen sich drei voll besetzte mannshohe Racks, befächelt von einer Klimaanlage im R2D2-Format. Direkt darüber, auf dem Dach, steht die Antennenanlage. Sie stellt die Verbindung zu zwei Weltraumteleskopen im Orbit der Erde her.
Die Bodenstation
"Sie sehen hier die Bodenstation für die Satelliten MOST und COROT", sagt die Astronomin Konstanze Zwintz, die im Rahmen eines dreijährigen Forschungsprojekts über junge Sterne mit den Daten der künstlichen Erdtrabanten arbeitet.
"Auf dem Dach steht eine Parabolantenne für den Datenempfang und eine Yagi-Antenne, über die wir Kommandos an MOST senden", sagt Zwintz. An COROT kann die Wiener Bodenstation keine Kommandos übermitteln. Das übernimmt die Zentrale in Frankreich. "Für COROT sind wir nur Backup-Bodenstation."
MOST steht für "Microvariability and Oscillation of Stars". Der kanadische Satellit ist am 30. Juni 2003 gestartet und beobachtet Sterne mit einem 15-Zentimeter-Spiegelteleskop.
Astronomin Konstanze Zwintz am Steuerungsrechner der COROT-Bodenstation.
Corot steht für "COnvection, ROtation
& planetary Transits". Der unter französischer Leitung gebaute Satellit wurde 2006 gestartet und beherbergt ein 27-cm-Teleskop, dessen Bildinformationen von vier speziellen CCDs aufgenommen werden. COROT kann damit kleinste Helligkeitsschwankungen von Sternen registrieren. Die Mission kostet 30 Millionen Euro.
Einfache Technik
Die Systeme zur Kommunikation mit MOST und COROT ähneln sich stark. Beide hängen an Satellitenmodems vom Typ Datum Systems psm 4900. Die Steuerungsrechner sind handelsübliche PCs, die unter Windows XP Professional laufen. Eine Software namens Nova registriert die aktuelle Position der Satelliten und richtet die Parabolantenne nach ihnen aus.
"Dazu kommt noch die Sturmabschaltung", sagt Zwintz. "Wenn der Wind mit mehr als 50 km/h weht, fährt die Antenne automatisch in Parkposition, damit sie keine Angriffsfläche bietet." Eine gegenüber der Anlage auf dem Dach montierte Webcam inklusive zuschaltbarer Beleuchtung erlaubt es den Wissenschaftlern, jederzeit über das Netz nach dem Zustand der Antenne zu sehen.
Warten auf den Überflug
Sowohl MOST als auch COROT überfliegen die Erde in einer Höhe von 830 bis 890 Kilometern. Bis zu acht Mal am Tag steht die Bodenstation in Wien mit ihnen in Kontakt. Allerdings kann immer nur eines der beiden Steuerungssysteme die Kontrolle über die Antenne übernehmen.
Die Kommunikation mit MOST hat in Wien Priorität vor dem Datenverkehr mit COROT. "Wenn die Bodenstation in Frankreich Probleme hat, reserviert sie bei uns Kapazitäten", erläutert Zwintz. "Eine von der TU Wien geschriebene Software prüft dann, ob es einen Konflikt mit MOST gibt. Wenn die Durchgänge gleichzeitig stattfinden, können wir die Daten von COROT nicht nehmen", sagt Zwintz.
Konstanze Zwintz vor der Kammer mit den Rechnern der COROT-Bodenstation im Dachstuhl der Universitätssternwarte Wien.
==Rivalisierende Satelliten==
Gibt es keinen Konflikt mit dem kanadischen Satelliten, übernimmt drei Minuten vor dem Durchgang von COROT der ihm gewidmete Steuerungsrechner die Kontrolle über die Bodenstation. 15 Minuten hat der Satellit Zeit, um die Daten auf die Erde zu übertragen, dann verschwindet Corot wieder hinter dem Horizont.
"Wir übertragen die Daten mit einer Geschwindigkeit von 840 Kilobit pro Sekunde", sagt Werner Keim, der die Anlage für COROT gebaut hat. "Insgesamt werden bei einem Durchgang zehn bis 15 Megabyte an Bilddaten übertragen." Der Satellit hat eine Sendeleistung von gerade einmal einem halben Watt. "Das ist ein Viertel der maximalen Sendeleistung eines GSM-Handys", sagt Keim.
Gesendet wird auf der Frequenz 2,28 GHz, wobei in der Kommunikation das Standardprotokoll der ESA-Satelliten verwendet wird. Das Satellitenmodem wandelt COROTs Signale in computerlesbare Informationen um und speichert die Bilddaten aus dem Weltraum in einem speziellen Server, von dem aus sie über eine Secure-FTP-Verbindung in die Zentrale nach Frankreich gelangen.
Die Parabolantenne auf dem Dach der Universitätssternwarte, genau über der Kammer mit den Computern, dient dem Empfang der Daten von COROT. Die Yagi-Antennen rechts dienen dazu, Kommandos an den kanadischen Satelliten MOST zu schicken.
==Vom Lesen der Lichtkurven==
COROT erfasst die Bilder der anvisierten Weltraumregionen mit vier CCDs, die jeweils eine Auflösung von 2048 x 4096 Pixel haben. "Jeweils zwei Chips sind für die stellare Astroseismologie vorgesehen und die anderen beiden für die Entdeckung von Planeten", sagt Werner Weiss. "Die Chips registrieren Farbe und Helligkeitswerte von Sternen. Daraus lassen sich die Lichtkurven der Sonnen rekonstruieren."
Die Astroseismologie-CCDs machen pro Sekunde eine Aufnahme. Sie haben maximal zehn Sterne permanent unter Beobachtung. "Auf der exoplanetaren Seite des Systems ist die Situation auf den ersten Blick weniger dramatisch", sagt Weiss, "hier kann man bis zu 500 Sekunden in eine Aufnahme integrieren. Aber man beobachtet dafür bis zu 12.000 Sterne gleichzeitig."
Corots CCDs sind sehr empfindlich. "Die Messgenauigkeit liegt bei einem Teil in einer Million", sagt Weiss. "Das heißt, wenn Sie sich das Empire State Building vorstellen, in dem jedes Fenster hell erleuchtet ist und jemand eine Jalousie um ein paar Zentimeter herunterzieht, dann ändert sich die abgestrahlte Lichtmenge etwa in diesem Verhältnis."
Geschickte Datenkompression
Die Bilddaten werden noch an Bord des Satelliten komprimiert. Dafür sorgt der Extraktor, eine Spezialhardware, die am Grazer Institut für Weltraumforschung der österreichischen Akademie der Wissenschaften entwickelt wurde. "Der Extraktor wählt die Pixel aus, die für uns wesentliche Informationen beinhalten, und unterdrückt die Pixel, die den Himmelshintergrund zeigen und uns nicht interessieren", sagt Weiss. "Wenn der Extraktor ausfallen würde, bräche die ganze Datenübertragung zusammen."
Aus den so gewonnenen Daten erstellen die Astronomen die besagten Lichtkurven der Sterne. Die Lichtkurven könnte ein Betrachter auf den ersten Blick auch für das Produkt eines nervösen Seismographen halten, der gerade ein Erdbeben aufgezeichnet hat.
Werner Weiss kann aus den Kurven herauslesen, woraus ein Stern besteht und ob Planeten ihn umkreisen. Es ist, als ob die Sterne den Astronomen auf der Erde ihre Geheimnisse zuzwinkern würden.
Seinen ersten Planeten hat COROT bereits während des Testbetriebs am 3. Mai entdeckt. Das beobachtete System ist 1.500 Lichtjahre entfernt.
Astroseismologie
Aus dem Licht, das von fernen Sonnen zu uns gelangt, ziehen Astronomen Rückschlüsse auf deren chemische Zusammensetzung. Denn die Sonnen stehen keineswegs starr im Raum, sondern sind von Wellen durchlaufen, was ihre Helligkeit beeinflusst.
"Aus diesem Vibrationsverhalten der Sterne kann man eine Art Röntgenbild erzeugen", sagt Weiss. "Man hat Modellvorstellungen vom Aufbau eines Sterns und in welcher Frequenz er schwingt. Diese Modelle bringen wir mit den Messungen von COROT in Einklang."
Die mathematischen Modelle der Astroseismologie sind komplex und müssen laufend an die Beobachtungen der Astronomen angepasst werden. "Bei unserer Sonne hat sich herausgestellt, dass die beobachteten Frequenzen - einige zehntausend - zum Teil nicht mit dem übereinstimmen, was anhand des Sonnen-Standardmodells eigentlich zu erwarten gewesen wäre", sagt Weiss. "Das Problem ließ sich erst lösen, nachdem man berücksichtigt hat, dass das Helium nicht über die ganze Sonne gleichmäßig verteilt ist, dass es Zonen gibt, in denen Helium an- oder abgereichert wird. Als man das in die Modellrechnungen eingebracht hat, stimmten Erwartungen und Beobachtungen viel besser überein."
Bewegung ist Stillstand
COROT umkreist die Erde auf einer polaren Bahn entlang der Tag-Nacht-Grenze und behält dabei 150 Tage lang das gleiche Areal am Himmel im Blickfeld. Danach wird der Satellit um 180 Grad gedreht und beobachtet wieder für 150 Tage ein Gebiet im Raum. Auf der Erde wäre eine solche Langzeitbeobachtung unmöglich, sagt Werner Weiss: "Zeitreihen von Helligkeitsänderungen werden hier periodisch unterbrochen. Von einem 24-Stunden-Zyklus können wir nur sechs Stunden für astronomische Beobachtungen nutzen. Das reißt Löcher in die Beobachtungsreihen, die eine Analyse der Daten unmöglich machen."
Es gäbe zwar die Option, Beobachtungsreihen an verschiedenen Orten der Erde vorzunehmen. "Dazu bräuchte man aber sechs Observatorien, um wirklich kontinuierlich Daten erhalten zu können. In der Praxis funktioniert das aber so gut wie nie, weil das Wetter nie an allen Standorten photometrisch brauchbar ist", sagt Weiss.
Katastrophe und Erfolg
Angesichts dieser Schwierigkeiten ist es in jeder Hinsicht sonnenklar, warum Weiss und seine Kollegen ins All ausgewichen sind. Zehn Jahre haben die Arbeiten an COROT gedauert. Ein Vorgängerexperiment, an dem er mitgearbeitet hat, ist vor elf Jahren mit dem Satelliten Mars 96 in den Pazifik gestürzt. Umso glücklicher ist Weiss nun darüber, dass COROT perfekt funktioniert.
Mindestens zwei Jahre lang soll der Satellit nun wertvolle Daten liefern. "Wenn alles gut geht, werden wir alle Reserven ausschöpfen und vielleicht wird er länger seinen Dienst tun", sagt Weiss. Die Hauptdarsteller auf der Bühne des Weltraums haben ihm noch viel zu sagen.
(futurezone | Günter Hack)