Funkchip-Boom in der Steiermark

21.05.2007

In den vergangen Monaten ist die Nachfrage nach Funk- und anderen Spezialchips rasant gestiegen. Drei der bedeutendsten Player auf dem Weltmarkt - NXP, Infineon und austriamicrosystems - haben ihre Entwicklungszentren in und um Graz. Man sucht dringend Personal.

"Wenn Sie irgendwo in der Welt einen der neuen elektronischen Pässe in der Hand halten, dann ist die Chance, dass dieser Chip aus der Steiermark kommt, extrem hoch", sagt Stefan Rohringer, Leiter des Funkchip-Entwicklungszentrums von Infineon in Graz.

Ebenso wie Konkurrent Infineon hat auch der niederländische NXP-Konzern sein Entwicklungszentrum für RFIDs [Radio Frequency Identification], also Funkchips, in der Steiermark.

Konkurrenten, Reisepässe

Beide Unternehmen liefern nicht nur die Chips für die neuen österreichischen Reisepässe, überall, wo es auf dem Weltmarkt eine Ausschreibung für kombinierte Chip-Karten-Systeme auf kontaktloser Basis gebe, "treffen wir uns wieder", sagt Rohringer. So hat Infineon etwa einen Lieferauftrag für US-Reisepässe und die MasterCards der näheren Zukunft erhalten, die ebenfalls berührungsfrei auslesbar sind.

Der in dem MasterCard-Projekt eingesetzte Chip wurde wie alle anderen in Infineons Development-Center in Graz entwickelt.

NXP-Technologie

NXP, die ehemalige Halbleitersparte des niederländischen Philips-Konzerns, hält wiederum einen Gutteil aller Patente für "kontaktlose Smart Cards", was wieder eine andere Bezeichnung für eine spezielle Sorte "intelligenter" Funkchips ist. Laut eigenen Angaben ist NXP-Technologie bei 80 Prozent aller weltweit eingeführten elektronischen Reisepasssysteme im Einsatz.

Für das E-Pass-Programm der USA liefert NXP seine Chip-Technologie an den Smart-Card-Hersteller Gemalto, den Generalunternehmer für die Bereitstellung der Smart-Card-Packages für die neuen US-Reisepässe.

Im Wettbewerb

Man konkurriert also und muss dennoch in vielen Bereichen laufend zusammenarbeiten. Das beginnt bei der Lizenzierung von [Teil-]Patenten im Bereich RFID, in dem der Philips-Ableger NXP besonders gut aufgestellt ist. Der Konzern verfügt nach eigenen Angaben über 25.000 einschlägige Patente.

Weitere Orte des Zusammentreffens der rivalisierenden Chip-Designer aus Graz und Gratkorn sind die internationalen Normierungs- und Standard-Organisationen. Auch hier muss man sich einigen, im Sinne des Gesamtgeschäfts.

Zusammenarbeit als Pflicht

Diese durch Markt und Technologie gewissermaßen vorgegebenen Plichtsynergien setzen sich bei der Imagepflege nahtlos fort. Infineon und NXP ziehen es aus Imagegründen vor, statt "RFID" oder "Funkchip" prinzipiell den Begriff "kontaktlose Smart Card" zu verwenden.

Bekanntlich hatten die ersten Feldversuche mit Funkchips in Supermärkten sowohl in England wie in den USA wütende Proteste von Konsumentenschützern gegen die "Spionagechips" hervorgerufen.

"Der Markt boomt"

In einem weiteren Punkt ist man sich ebenfalls einig: "Der Markt boomt", sagt Alexander Tarzi von NXP kurz und knapp. Seit einem halben Jahr haben die Aufträge für Spezialchip-Hersteller extrem angezogen, die Tendenz ist auch weiterhin stark steigend.

So soll allein der Markt für kontaktlose Bezahlkarten pro Jahr um durchschnittlich 63 Prozent wachsen, die Nachfrage an Funkchips im Sektor "Automotive" steigt ebenfalls rasant. Logistik, Lagerhaltung und Produktionsstraßen werden überall mit RFID-Systemen vernetzt und in bestehende Datenverarbeitungsanlagen integriert.

Der dritte große Player

Während die Funkchips so vom Auto bis zum Reisepass in praktisch alle sozialen Instanzen rasant vordringen, kann ein Bereich der österreichischen Gesellschaft nicht wirklich mithalten: die Ausbildung.

Die Funkchip-Konstrukteure der beiden internationalen Halbleiterkonzerne Infineon und NXP plagt dasselbe Problem, mit dem auch der alteingessenene steirische Halbleiterproduzent austriamicrosystems [ams] zu kämpfen hat.

Das ist der dritte große Player in der Steiermark, hergestellt werden Chips für MP3-Player, Handys und den Automobilbereich. Dazu kommen GPS- Empfänger, Herzschrittmacher, Computertomographen, Wegfahrsperren mit Funkschlüssel, elektronische Stromzähler usw.

Headquarter Unterpremstätten

Neben Standorten in den USA, Asien und Afrika hat ams Fertigung und Headquarter seit 25 Jahren unverändert in Unterpremstätten bei Graz, aktueller Beschäftigungsstand dort ist 850 Mitarbeiter, Kosten der 2000 errichteten Produktionsstätte: 280 Millionen Euro.

Was qualifiziertes Personal betrifft, ist ams genauso wie Infineon und NXP permanent auf der Suche. Zwölf Stellen allein für Chip-Designer sind bei ams momentan ausgeschrieben, Infineon und NXP geht es nicht anders. Insgesamt sind es wohl um die 300 neue Arbeitsplätze für hoch qualifiziertes Personal aus dem Halbleiterbereich, die spätestens bis Jahresende besetzt werden müssen.

Dringend gebraucht werden ...

Darum haben sich die drei Unternehmen zusammengetan und im Oktober 2006 das Master-Studium für analoges Chip-Design an der TU Graz ins Leben gerufen.

Daraus sollen im Rahmen des Studiums der Elektrotechnik nach vier Semestern endlich die Fachingenieure hervorgehen, die von den steirischen Chip-Entwicklern momentan so dringend gebraucht werden.

... Analog-Designer

Der Chip-Boom geht nämlich in den nächsten Jahren weiter, und Motor dafür sind keineswegs nur digitale Chips. Vom MP3-Player über das Handy bis zum RFID-System sind in sämtlichen elektronischen Geräten mit Schnittstelle zu unserer stockanalogen Lebenswelt zwangsläufig auch analoge Chips enthalten.

Sie wandeln Schwingungen in digitale 0/1-Sequenzen um und umgekehrt und kommen überall dort zum Einsatz, wo Mikrofone, Lautsprecher oder Funkantennen angesteuert werden.

NXP Semiconductors Gratkorn

NXP Semiconductors Gratkorn, vormals Philips Gratkorn, ist zweitgrößter Halbleiterhersteller Europas und unter den Top Ten weltweit. Die Firma ist Teil einer weltweiten Gruppe, der Firmensitz ist Wien, wirtschaftlicher Schwerpunkt ist aber in der Steiermark.

Der Hauptsitz ist Eindhoven in den Niederlanden, der Umsatz betrug 2006 6,365 Milliarden USD. Von 37.000 Mitarbeiter in 26 Ländern sitzen 670 Österreich, die Anzahl der Mitarbeiter hat sich in den letzten beiden Jahren verdoppelt.

Beschäftigte in Gratkorn: ca. 270, Tendenz steigend. Eigentümer sind Equity- und Investmentfonds. Kohlberg Kravis Roberts & Co., Bain Capital, Silver Lake Partners, Apax und AlpInvest Partners NV halten 80,1 Prozent der Anteile, Philips verfügt noch über 19,9 Prozent.

Infineon in Graz

Infineon Technologies Austria AG hat seinen Unternehmenssitz in Villach, die RFID-Entwicklung ist in Graz. Österreich-Umsatz mit Halbleiter- und Systemlösungen ist 1,09 Mrd. Euro [2005/2006]. Infineon wurde 1999 als Spin-off von Siemens gegründet.

Mit 41.600 Mitarbeitern wurden 2006 7,93 Mrd. Euro umgesetzt. Pro Jahr entstehen ungefähr 350 Erfindungen, von denen rund die Hälfte zum Patent angemeldet wird. Weltweit werden 1.600 Erfindungen patentiert. Die Produktion der Mikrochips erfolgt in Villach, dem Kompetenzzentrum für Leistungshalbleiter.

An den Forschungsstandorten Villach, Graz, Linz und Klagenfurt arbeiten Entwicklungsingenieure an Konzepten für zukünftige Chip-Generationen und Systemlösungen. Die Firma ist zu 79,8 Prozent in Streubesitz [Börse], den Rest teilen sich The Capital Group, Brandes Investment und Dodge & Cox.

Teil zwei: Chip-Designer dringend gesucht

An welchen Technikern es der steirischen Chip-Industrie am meisten mangelt und was alles gegen den Engpass unternommen wird, erfahren Sie im nächsten Teil dieser Koproduktion mit den Studenten des Fachbereichs Journalismus und Kommunikation an der Fachhochschule Joanneum Graz.

(futurezone | JUK04 FH Joanneum)