Später Widerstand gegen Data-Retention
Bei einer Diskussion im Republikanischen Club haben Dienstagabend österreichische Gegner der Vorratsdatenspeicherung öffentlich über mögliche Aktionen gegen die Überwachungspläne nachgedacht.
Am Dienstagabend fand im Republikanischen Club in Wien eine Informationsveranstaltung zur Vorratsdatenspeicherung statt. Dabei handelt es sich um eine Richtlinie der Europäischen Union, die derzeit auch in Österreich umgesetzt wird und verlangt, dass die Anbieter von Kommunikationsdienstleistungen mindestens sechs Monate lang sämtliche Verbindungsdaten ihrer Kunden zum Abruf durch Strafverfolger bereithalten müssen.
Die Gegner dieses EU-Überwachungsplans waren im Republikanischen Club unter sich, immerhin in großer Zahl, mindestens 70 Zuhörer drängten sich im Hinterzimmer des Cafes Hebenstreit.
Dicht war auch die Atmosphäre der Bedrohung, die von den Diskutanten angesichts des aktuellen österreichischen Gesetzesentwurfs zur Datenspeicherung heraufbeschworen wurde.
Jeder verdächtig
"Jeder wird automatisch zum Verdächtigen", stellte Alexander Zach, Nationalratsabgeordneter des Liberalen Forums fest, der bereits eine parlamentarische Anfrage in Sachen Vorratsdatenspeicherung an Justizministerin Maria Berger [SPÖ] gestellt hat und den Abend moderierte.
Aus Sicht eines SPÖ-Mitglieds
Nationalratsabgeordneter Johann Maier [SPÖ], Konsumentenschutzsprecher seiner Partei und stellvertretender Vorsitzender des Datenschutzrats, referierte über den bisherigen Werdegang der Richtlinie.
Die ersten Entwürfe zur Data-Retention seien schon lange vor dem 11. September 2001 auf dem Parkett der EU-Politik erschienen. Als treibende Kraft identifizierte er die britische Labour-Regierung.
Maier hob hervor, dass die Umsetzung der Richtlinie mit der laufenden Novelle des Telekommunikationsgesetzes nicht zu einer "Kriminalisierung der Schulhöfe" führen dürfe. Die aus dem Sicherheitspolizeigesetz entlehnte Beschreibung der "erheblichen" Straftaten, zu deren Verfolgung die gesammelten Daten herangezogen werden dürften, sei viel zu weit gefasst.
Er plädierte dafür, die Nutzung der gespeicherten Daten durch die Behörden auf die in den Paragrafen 278 und 278 a-d des Strafgesetzbuchs definierten Straftaten einzuschränken. Das Mindeststrafmaß solle drei Jahre betragen, nicht nur ein Jahr, wie im ersten Entwurf des Verkehrsministeriums vorgesehen.
Fehlende Öffentlichkeit
Besondere Kritik übte Maier an der österreichischen Öffentlichkeit. Der Datenschutzrat habe sich regelmäßig mit Informationen über die Datenspeicherungspläne an die Presse gewandt, die Öffentlichkeit habe aber erst reagiert, nachdem die bereits fixen EU-Richtlinien in nationales Recht gegossen worden seien.
Damit habe es kaum eine öffentliche Diskussion über dieses Thema gegeben.
In den Paragrafen 278 und 278 a-d sind die Strafen für Terrorismus und organisiertes Verbrechen definiert.
Aus Sicht des Datenschützers
ARGE-Daten-Chef Hans Zeger, der auf einem grünen Ticket im Datenschutzrat sitzt, bezeichnete die Rechtfertigung der EU, mit dem Zugriff auf Verbindungsdaten den Terrrorismus bekämpfen zu wollen, als puren Populismus. Er zog Parallelen zu der in den 1990er Jahren diskutierten Rasterfahndung und stellte fest, dass diese nun zur Verfügung stehe, aber in keinem einzigen Fall eingesetzt worden sei.
Auch Zeger monierte an dem ersten Entwurf aus dem Infrastrukturministerium, dass das Strafmaß "so niedrig angesetzt worden ist, dass die Täter gar nicht wissen, dass sie eine Straftat begehen". Darunter fielen Delikte wie unlizenzierte Musikdownloads und schwach definierte Taten wie Stalking.
Schwache Abwehr der Berufsstände
Wie auch Maier wunderte sich Zeger über den schwachen oder gar nicht vorhandenen Widerstand von Standesvertretern besonders von der Datenspeicherung betroffener Berufsgruppen wie Rechtsanwälten, Ärzten, Therapeuten, Priestern und Journalisten.
Ein kurzer Konflikt entspann sich zwischen Zeger und Maier über eine Formulierung in der letzten Stellungnahme des Datenschutzrats zur Vorratsdatenspeicherung. Die Kritik an dem Vorhaben sei zu unterwürfig formuliert, meinte Zeger; Maier wiederum warf dem ARGE-Daten-Chef vor, das ganze Dokument nur auf Grund einer einzelnen vorsichtig formulierten Passage zurückzuweisen.
Aus Perspektive des Juristen
Der Jurist Christian Schmaus, für den Mitveranstalter, das Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte, auf dem Podium, rekonstruierte nochmals den jahrelangen stillen Weg der Datenspeicherpläne durch die Institutionen der EU.
Die Richtlinie sei vom Ministerrat mit Hilfe der Spitzen der beiden größten Fraktionen im EU-Parlament "in einem extrem beschleunigten Verfahren" durchgepeitscht worden. "Das ist kein Musterbeispiel demokratischer Politik", sagte Schmaus. der Ministerrat habe den zuständigen Ausschuss des Parlaments überrumpelt und damit den demokratischen Prozess ausgehebelt.
Schmaus betonte, die Vorratsdatenspeicherung stehe im krassen Widerspruch zum Artikel 8 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten des Europarats. In diesem Artikel steht: Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.
Jede Maßnahme, die in dieses Recht eingreife, müsse wohlbegründet und verhältnismäßig sein. Eine pauschale Datenspeicherung ohne jegliches Verdachtsmoment sei, so Schmaus, als Akt der Willkür zu interpretieren und verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskommission.
Aus Sicht des Informatikers
Quintessenz-Vorsitzender Adrian Dabrowsky stellte fest, dass die Datenspeicherung die anonyme Kommunikation schlicht verteuern würde, was für die mit beträchtlichen Mitteln ausgestatteten Mitglieder terroristischer Vereinigungen und krimineller Organisationen allerdings kein Problem darstelle.
Auch mit Hilfe von Calling Cards, über Nebenstellen großer Firmen oder Telefonläden sei es ohne großen finanziellen Aufwand einfach, die Data-Retention zu überlisten. Es sei auch sinnvoll, einen Blick auf die Anonymitätsstrategien stark überwachter Gesellschaften zu werfen. Im Iran gebe es beispielsweise Börsen zum Austausch von Telefonwertkarten. Schon durch diesen simplen Tausch sei es den Behörden nicht mehr möglich, Anrufe eindeutig zurückzuverfolgen.
Die Macht der Netze
Andererseits sei die Verbindungsdatenspeicherung ein mächtiges Werkzeug zur Analyse sozialer Netze, das tief in die Privatsphäre jedes Bürgers eingreifen könne. Entscheidend sei, dass diese Analyse automatisiert werden könne. Letztendlich komme es durch den in der Datenspeicherung materialisierten Pauschalverdacht zu einem grundsätzlichen Bruch im Verhältnis des Staats zu seinen Bürgern. "Der Staat sagt: Ich misstraue der persönlichen Freiheit", so Dabrowsky.
Eine Wortmeldung aus dem Publikum ergänzte Dabrowskys Ausführungen noch um das Detail, dass laut dem Entwurf der TKG-Novelle auch die bisher nicht von den Telekoms gespeicherten Notrufe, die passiven Anrufe und die nicht zu Stande gekommenen Verbindungen gespeichert würden. Dadurch sei es schnell passiert, dass auch Unschuldige automatisch ins Netz der Fahnder gerieten - ein Verdächtiger müsse sich nur verwählen.
Sowohl Zeger als auch Maier wiesen darauf hin, dass die nationale Umsetzung der Datenspeicherpflicht für Internet-Anbieter erst noch ausstehe und diese noch komplizierter umzusetzen sei als die Speicherung der Verbindungs-, Personen- und Standortdaten der Telefoniekunden.
Was tun?
Die Diskutanten auf dem Podium und im Publikum waren sich einig, dass die Datenspeicherung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre der Bürger darstellte. Die Frage, wie diese nun noch zu verhindern sei, beantworteten die Podiumsteilnehmer nach politischer Zugehörigkeit unterschiedlich.
Maier ließ durchblicken, dass er mit seiner Opposition gegen die Datenspeicherung nicht die Meinung des SPÖ-Mainstreams vertrete. Er warnte davor, sich auf die laufenden Klagen vor dem EU-Gerichtshof gegen die Datenspeicherung zu verlassen. "Der Ministerrat drückt das Projekt dann über die dritte Säule mit noch härteren Vorschriften durch", sagte Maier.
Überwachung der Überwacher
Der SPÖ-Vertreter plädierte dafür, die Daten wirklich nur für die Bekämpfung von Terror und organisierter Kriminalität einzusetzen und die TKG-Novelle entsprechend einschränkend anzupassen. Außerdem sei es dringend notwendig, in dem Gesetz Sanktionen für Beamte festzuschreiben, die den Zugriff auf die Daten missbrauchen. Für das bestehende Gesetz würde er im Nationalrat nicht stimmen.
Vertragsverletzungsverfahren
Zeger sagte, der Staat könne es auf ein Vertragsverletzungsverfahren ankommen lassen und die EU-Richtlinie einfach nicht umsetzen. Im Kontext des Verfahrens, das öffentlich geführt werden müsste, könne dann offen über das weitere Vorgehen debattiert werden.
Dabrowsky wies wie Zeger abschließend darauf hin, dass das bloße Vorhandensein der gespeicherten Daten schnell dazu führen würde, sie auch zur Bearbeitung von Bagatelldelikten zu verwenden. Es reiche ein einzelner spekakulärer Fall und die Beschränkungen würden verschwinden.
Fälle von Verbindungsdatenmissbrauch in Italien hätten außerdem gezeigt, wie schwach die Überwacher selbst kontrolliert würden. Außerdem gebe es noch die Möglichkeit, die Daten schlicht zu manipulieren.
"Vor 20 Jahren sind in Mitteleuropa Staaten zusammengebrochen, obwohl oder gerade weil sie ein perfektes Überwachungssystem installiert hatten", sagte Dabrowsky. "Sie hatten das Vertrauen ihrer Bürger verloren."
Korrektur: Vertragsverletzungsverfahren.
Im obigen Abschnitt des Artikels hieß es ursprünglich: "Zeger und Schmaus sagten, der Staat solle es auf ein Vertragsverletzungsverfahren ankommen lassen und die EU-Richtlinie einfach nicht umsetzen. Im Kontext des Verfahrens, das öffentlich geführt werden müsste, könne dann offen über das weitere Vorgehen debattiert werden."
Christian Schmaus hat die Redaktion der Futurezone am 25. Mai darauf hingewiesen, dass diese Aussage auf dem Podium zwar gefallen sei, er es aber nicht gewesen sei, der sie getätigt habe. Günter Hack, der Verfasser dieses Artikels, entschuldigt sich für diesen Fehler bei Christian Schmaus und der Leserschaft der Futurezone.