Interview mit einem Spammer
Er war der Albtraum jedes Internet-Nutzers: "Spammer X" verdiente mit unerwünschten Werbemails bis zu 350.000 Dollar pro Jahr. Im Interview mit ORF.at erzählt er, warum er aufgehört hat: "Ich wollte kein asoziales Element mehr sein."
Träfe man den jungen Mann, der sich selbst Spammer X nennt, auf der Straße oder im Cafe, würde man nie auf die Idee kommen, dass dieser Mann einst einer, wie er selbst sagt, "asozialen Gruppe" angehört hat.
Die kurzen, blonden Haare sind unter einer Schirmkappe versteckt, darunter blitzt ein verschmitztes und sympathisches Augenpaar in die heiße Wiener Sonne.
350.000 Dollar Einkommen pro Jahr
"Ich habe Zeit", sagt er, nur zu seinem Vortrag im Rahmen des EU-Spam-Symposions am Technikum Wien müsse er rechtzeitig kommen.
Arbeiten muss Spammer X mit 25 Jahren laut eigenen Angaben nicht mehr: "Ich habe zum Schluss durchschnittlich 350.000 Dollar pro Jahr verdient, vor Steuern."
Warum er aufgehört hat? "Ich habe mich am Schluss als Abschaum gefühlt. Meine Eltern hassten, was ich tat, und ich konnte auch schlecht in einer Bar ein Mädchen ansprechen: Hi, ich bin Spammer."
Spammer X war im Alter von 17 bis 22 als Spammer aktiv. In dieser Zeit verschickte er unzählige Werbemails. Im Anschluss schrieb er mit "Inside the Spam Cartel" ein aufschlussreiches Buch über die Hintergründe.
"Ich hatte nichts zu verlieren"
Angefangen hat Spammer X, der großen Wert auf seine Anonymität legt, mit 17 Jahren: "Ich flog von der High School und hatte nichts zu verlieren. Einige Freunde von mir waren bereits Spammer und so bin ich reingewachsen. Es hatte auch irgendwie etwas Rebellisches, ich war ja noch ein Teenager."
Das erste Jahr verbrachte der US-Amerikaner mit Lernen, so wie er überhaupt die meiste Zeit mit Recherche verbrachte: "Ich musste herausfinden, wie die diversen Spam-Filter zu überlisten sind, technologisch immer einen Schritt voraus sein."
70 Prozent seiner Zeit gingen dafür drauf, die restliche Zeit seines durchschnittlich 14-Stunden-Tages spammte er.
Spam für "Balloon popping Fetish"
Und zwar für die unglaublichsten Dinge: "Das Absurdeste, was ich jemals gemacht habe, war ein Newsletter für 'Balloon popping Fetish', das sind Aufnahmen von bekleideten Frauen, die auf Ballons sitzen, die dann zum Platzen gebracht werden. Ich erreichte damit 1.000 bis 2.000 Mitglieder, also nicht sehr viel."
Diese Art von gezieltem Marketing sei eine Goldgrube für Spammer: "Du kannst mit Spam mehr Menschen erreichen als mit einem Werbespot bei der Super Bowl, und das für einen Bruchteil des Geldes."
Ironport, Anbieter für E-Mail-Sicherheit, verfolgte gezielt einen Spammer, der es schaffte, in zwei Wochen 20 Milliarden Spam-E-Mails abzusetzen. Wenn jede 100.000. E-Mail durchkomme und davon jeder hunderste Empfänger etwas bestelle, rechne sich so eine Aktion auf jeden Fall, so Ironport.
Medikamentenmarkt als Goldgrube
Das echte Geld liege bei Medikamenten gegen Depressionen, Neurosen oder Ängste. "In den USA sind geschätzte neun Millionen Menschen medikamentensüchtig. Das erste Rezept holen sie sich noch beim Arzt, ab dann bestellen sie online", erklärt Spammer X.
"Spammer haben kein soziales Gewissen"
Ob er jemals Gewissensbisse gehabt habe, weil er die Not oder Ängste anderer Menschen ausgenützt hat? "Nein, Spammer haben kein soziales Gewissen."
Er habe auch kein schlechtes Gewissen gehabt, als er Zombie-Netze für seine Zwecke nutzte, also durch bestimmte Programme infizierte Computer, die Spammer so für ihre Zwecke nutzen können.
Wie er an die Zombies herangekommen ist? "Es gibt eigene Newsgroups für Spammer, wo man binnen Stunden alles Notwendige zusammenbekommt. Du gehst rein und suchst dir aus, was du brauchst, und los geht's."
Auf dem Spam-Symposion, das noch bis Freitag tagt, waren aus der Spam-Szene auch beunruhigende Nachrichten zu erfahren: Alleine am 23. Mai registrierte die Spamhaus Exploits Block List 892.565 neue Zombie-Rechner. Zwischen Infektion und erstem Spam-Versand liegt laut Spamhaus.org oft nur eine halbe Minute.
"Wie ein Entzug"
Irgendwann aber sei der Punkt gekommen, wo er wieder Teil der Gesellschaft sein wollte, erzählt Spammer X weiter: "Mein Gewissen meldete sich. Als Spammer gehst du über Leichen, das wollte ich nicht mehr."
Der Ausstieg sei nicht ganz leicht gewesen: "Es ist quasi wie ein Entzug, ich kannte ja fast nur Leute aus dem Spam-Universum, alle meine Freunde waren auch Spammer." Ein, zwei Jahre habe er gebraucht, nun genieße er sein Leben mit ein wenig Surfen, Lesen und viel Nachdenken.
"Das ist Kapitalismus"
Deswegen sei er auch zum Spam-Symposion gekommen, um dort auch Aufklärung zu bieten: "Nicht die Technik ist schuld, sondern die Gesellschaft. Solange jemand wegen oder durch Spam kauft, wird es Spam geben. Das ist Kapitalismus."
Heute spiele der Computer nur noch eine untergeordnete Rolle in seinem Leben, er genieße lieber die Offline-Welt: "Am Ende des Tages drehe ich den PC ab und das Internet ist weg. Ich mag das", erklärt Spammer X und macht sich auf den Weg zu seinem Vortrag.
(futurezone | Nadja Igler)