Linux für Blinde, aber nicht nur
Zum Abschluss der Linuxwochen in Wien 2007 wurde Knoppix für Blinde präsentiert. Mit Spracherkennung, Viertastennavigation und Braille-Ausgabe können von WWW, E-Mail bis SMS nicht nur von blinden Personen die wichtigsten Kommunikationsprogramme einfach benutzt werden.
"Wir haben das so nach und nach gemacht", sagen Adriane und Klaus Knopper fast gleichzeitig über den Beginn der Arbeit an "Knoppix ADRIANE", die Linuxdistribution für blinde Nutzer.
Nach schlechten Erfahrungen von Gattin Adriane mit Windows auf der Blindenschule wollte sie von Computern eine Zeit lang wenig wissen. Doch SMS senden und selbst etwas auf eBay ersteigern zu können und zu chatten war dann doch interessant genug, um sich mit Computern wieder einzulassen.
Der Audio-Desktop
2003 begann für Knopper, dessen Knoppix-Version der Linux-Distribution Debian sich seit Jahren großer Beliebtheit erfreut, [siehe unten] die Schreibarbeit an Knoppix ADRIANE [Audio Desktop Reference Implementation and Networking Environment].
200 Arbeitsstunden Code-Arbeit habe er bis jetzt in das Projekt gesteckt, sagte Knopper, der anlässlich der Linuxwochen am Wochenenende in Wien weilte, zu ORF.at.
Wie bitte?
Nur 200 Stunden für eine sprachgesteuerte Linux-Distribution, die nach völlig anderen Kriterien zusammengestellt und aufgebaut ist als alle grafischen wie Befehlszeilen-orientierten Linux-Distris?
"Hätte ich alle Komponenten selber herstellen müssen, wäre ich nie fertig geworden", sagte Knopper, "aber zum Glück gibt es ja freie Software. Die Einzelteile waren schon vorhanden, ich habe sie zusammengebaut."
Zu den 200 Stunden reinen Code-Schreibens käme natürlich schon das Testen von Programmen dazu, die für das Blinden-Interface möglicherweise geeignet seien, De-Bugging und so weiter, also doch deutlich mehr Zeit, sagte Knopper zu ORF.at.
Sprachausgabe, Blindenschrift
Knoppix ADRIANE funktioniert mit Sprachausgabe und [haptischem] Braille-Interface, die Ausgabe auf dem Bildschirm für Sehende besteht jeweils nur aus einer Zeile Text, die dazu maschinell vorgelesen wird.
Ebenso wenig wie einen Bildschirm braucht es eine Maus, die beiden Cursortatsten [rauf, runter] genügen, um in den Menüs zu navigieren, die Eingabetaste führt aus. Die seit Aussterben der mechanischen Schreibmaschine reichlich obsolete CAPS-Lock-Taste [Großbuchstaben] wurde von Knopper sinnvollerweise mit der Sprachsteuerung belegt.
Spartanische Menüs, gut geführt
Da diese paar Steuerungstasten allesamt an den Rändern der Tastatur sitzen, sind sie schwer zu verfehlen.
Die Programme selbst wurden nach Vorgaben kombiniert, die Adriane Knopper beim Gespräch so zusammenfasste: "Es interessiert mich nicht, was für eine Technik dahinter steckt, es muss funktionieren."
Surfen, Mailen, Chat, SMS
Also wurden erst einmal der Webbrowser elinks für sprachausgabegestütztes Surfen im WWW und der mächtige, alte textbasierte E-Mail-Client Mutt zum supereinfachen Internet-Tool für blinde Personen umgemodelt.
Dazu kommt Zubehör, das in Debian-Linux ohnehin integriert ist, ein Textclient, ein Taschenrechner und eine von Knopper geschriebene Adressverwaltung, die programmübergreifend funktioniert. Auch SMS verschickt man über dasselbe Adressbuch, via Bluetooth und Handy.
SuSE-Blind-Linux Screenreader
Über die Braille-Zeile, ein haptisches Lesegerät für Blindenschrift, ist "Korrekturlesen" möglich, denn die Sprachsteuerung allein genügt nicht, um korrekte, längere Texte zu produzieren.
Hinter den Kulissen des Blinden-Interface werken der SuSE-Blind-Linux-Screenreader, der Phonemgenerator für die deutsche Sprache festival, sowie übergangsweise mbrola für die Sprachsynthese. Im Moment testet Knopper das Google-Tool OCR-Opus, um es in seine Distribution zu integrieren.
Für Blinde ...
Für sehbehinderte User sei die spartanische ADRIANE-Distribution weniger gedacht gewesen, sagte Knopper, denn die wären mit den Lupenfunktionen für die grafischen Desktops [KDE, Gnome] ohnehin gut bedient.
"Das System ist zusätzlich für andere", sagte Adriane Knopper, "für Menschen, die sich vor Computern fürchten."
Tatsächlich ist die Knoppersche Distribution sehr gut dafür geeignet, zur Schließung des "Digital Divide" wenigstens auf der Ebene des Lebensalters beizutragen.
... und gegen "Digital Divide"
Senioren, die noch nie einen Computer bedient haben und vermeinen, bis an ihr Lebensende ohne Rechner auskommen zu müssen, können über eine Kommunikationssuite verfügen, mit der sie ihre Enkel in deren eigenen Kommunikationskanälen erreichen.
Die Bildschirmversion von Knoppix ADRIANE ist mit allen eingebauten Internet- und Telefonie-Funktionen nämlich einfacher zu handhaben als eine TV-Fernbedienung.
Windows-User brauchen Knoppix
Was Knopper ebenfalls nicht als Arbeitszeit am Projekt mitgezählt hat, ist, dass ADRIANE natürlich alle Annehmlichkeiten der Live-Distribution von Knoppix nützt, die kurz vor ihrem Release in Version 5.2 steht.
Knoppix ist die einzige Linux-Distribution, die eine große Zahl von Nur-Windows-Usern bereits benutzt hat, weil gerade Windows-User Knoppix gut brauchen können.
Wenn unter Windows nicht mehr viel geht, dann hilft das Einlegen der Knoppix-CD samt Neustart dabei, um festzustellen, ob und wo ein Hardwaredefekt vorliegt, ein "Windows-Systemfehler" oder ob ein Virus regiert.
Das Brillante daran ist: Man legt die CD in das Laufwerk einer heruntergefahrenen Windows-Maschine ein und sie startet selbst unter widrigen Umständen und wird zu einer vollwertigen Linux-Maschine.
Wenn auf den Windows-Partitionenen der Festplatte allerhand in Trümmern liegt, dann ist es praktisch, dass ein Betriebssystem allein im Wechselspiel von CD-Laufwerk und RAM-Speiecher funktioniert.
(futurezone | Erich Moechel)