Europas Piraten in Wien
Bei ihrem ersten internationalen Treffen haben die Piratenparteien Europas am Sonntag in Wien beschlossen, bei der Wahl zum EU-Parlament 2009 anzutreten. Erklärtes Ziel der Piraten ist es, im EU-Parlament Fraktionsstatus zu erreichen.
"Da treffen sich Piraten in Wien, um über Brüssel zu diskutieren, klingt das nicht surreal?" fragte Rick Falkvinge, Gründer der schwedischen Piratenpartei, etwas rhetorisch auf seinem Vortrag im Wiener MuseumsQuartier.
Vertreter von neun nationalen europäischen Piratenparteien saßen am Sonntag im Wiener MuseumsQuartier zusammen, um die Frage "Next steps politics - Piraten nach Brüssel?" zu diskutieren. Es war das erste internationale Treffen der nicht einmal ein Jahr alten Bewegung, die vor allem bei sehr jungen Menschen großen Zulauf hat.
Eva Lichtenberger [Grüne], Rick Falkvinge [Piratpartiet], Stephen Kovats [Kurator Transmediale], Adrian Dabrowski [quintessenz] auf der von Leo Findeisen [nicht im Bild, Akademie der bildenden Künste Wien] moderierten Abschlussdiskussion am Sonntag im Wiener MuseumsQuartier.
==Ziel Fraktionstatus in der EU==
Ziel der Piraten ist es, bei der EU-Wahl 2009 19 Sitze in fünf verschiedenen Staaten für das EU-Parlament zu erringen. Das würde die Bildung einer eigenen Parlamentsfraktion ermöglichen, ohne die im EU-Parlament keine effiziente Politik möglich ist.
Ein vollständiges Parteiprogramm haben die Piraten nicht, auch wollen sie sich nicht zu einer "Vollpartei" entwickeln, die das komplette politische Spektrum abdeckt.
Vielmehr gelte es darum, die zentralen Anliegen der "Piraten" zu vertreten, die von allen anderen Parteien links liegen gelassen werden. "Etablierte Politiker" stünden den Forderungen der Piraten nämlich "bestenfalls ignorant, schlimmstenfalls feindlich" gegenüber. Die einzige Möglichkeit sei deshalb gewesen, die etablierten Parteien schlicht zu übergehen.
Piraten als Sammelpartei
Nicht ganz. "Wenn ich gefragt werde, welche Jugendorganisation die Piratenpartei hat, so sage ich immer 'sieben'. Wir haben nämlich überall in den Jugendorganisationen der etablierten Parteien in Schweden Unterstützer, das reicht von den Kommunisten am linken Rand bis zur Liberalen Partei auf der rechten Seite reicht", sagte Falkvinge am Rande der Konferenz zu ORF.at. "Wir sind die Partei, die sich gegen Copyright-Kontrolle, Wissenskontrolle und gegen die Errichtung eines Polizeistaats ausspricht."
Engagement und Skepsis: Lichtenberger betonte, wie wichtig es sei, betroffene Künstler und Wissenschaftler auf die Seite der Kritiker verschärfter Urheberrechtsbestimmungen zu ziehen. Falkvinge will mit dem Enthusiasmus junger Bürger ins Europaparlament gelangen.
==Die zentralen Anliegen==
Die zentralen Anliegen der Piraten sind, kurz zusammengefasst: Wahrung der Privatsphäre für den Bürger, aber Transparenz innerstaatlicher Vorgänge, das Recht auf Tausch, Verbreitung, Veränderung und Verbesserung von Inhalten.
Überzogene Copyright-Ansprüche seien in Zeiten des weltumspannenden Internets ebenso ein Fortschrittshemmnis, wie die Abschaffung des veralteten Patentwesens längst überfällig sei, so Falkvinge weiter.
EU-Richtlinie gegen Piraten
Dort, wo die Piraten hin wollen, nämlich in Brüssel, biegt gerade die zweite EU-Richtlinie zum "Schutz geistigen Eigentums" [IPRED2] Richtung Zielgerade.
Zentraler Streitpunkt dabei ist, ob diese Richtlinie [alias IPRED2] tatsächlich nur die Strafverfolgung Krimineller wie Produktpiraten enthält - oder ob Millionen Tauschbörsen-User in der EU nach der zivilrechtlichen nun auch strafrechtliche Verfolgung befürchten müssen.
"Raubkopierer sind Verbrecher"
Letzteres war und ist die erklärte Absicht maßgeblicher Proponenten der Musik- und Fimindustrie. In Deutschland aber auch in Österreich hatte die Branche ihre Ansichten mit einer Medienkampagne unter dem Slogan "Raubkopierer sind Verbrecher" hinreichend kundgetan.
Verstöße gegen das Urheberecht ohne kommerziellen Hintergrund sind etwa in Österreich keineswegs ein Verbrechen, sondern Vergehen, die mit einem Strafrahmen von maximal einem halben Jahr geahndet werden.
Der Architekt und Medienkünstler Stephen Kovats, Kurator des Berliner Festivals Transmediale, zeigte Sympathie für die Position der Piratenparteien und betonte die politische Dimension der Kunst. Künstler, die als Bürger ständig überwacht werden würden, könnten nicht mehr frei arbeiten. Adrian Dabrowski von der österreichischen Bürgerrechtsorganisation quintessenz bezweifelte, dass die Piraten als monothematische Parteien Erfolg haben könnten.
==Der Stand der EU-Richtlinie, aktuell==
In einem Schreiben der deutschen EU-Ratspräsidentschaft an die EU-Ratsarbeitsgruppe "Substantial Criminal Law Working Committee" [DROIPEN] vom vergangenen Montag fehlt eine vom EU-Parlament vehement in die Richtlinie reklamierte Passage plötzlich.
Sie schreibt den definitiven Ausschluss der strafrechtlichen Verfolgung von Urheberrechtsverstößen durch private User ohne kommerzielle Interessen fest.
Aus der für Urheberstrafrecht zuständigen Abteilung des österreichischen Bundesministeriums für Justiz erreichte uns am Samstag dazu folgende Stellungnahme.
O-Text Justizministerium
"Das Papier des Vorsitzes verfolgt den Zweck, die wesentlichen Änderungen, die das Europ. Parlament [EP] vorschlägt, überblicksweise zusammenzufassen. Im angesprochenen Punkt besteht der wesentliche Unterschied zum Vorschlag der Kommission darin, dass dieser es den Mitgliedstaaten überlässt, den Begriff "in gewerbsmäßigem Umfang" zu definieren, während nun das EP eine Definition in der Richtlinie vorschlägt."
So lange die Richtlinie aber auf den gewerbsmäßigen Umfang begrenzt ist [und darüber will bisher niemand hinausgehen], sind Handlungen für private Zwecke ohnehin nicht erfasst, ob man dies nun ausdrücklich sagt oder nicht. Das Papier des Vorsitzes ist, wie gesagt, nur ein Überblick über die in den nächsten Monaten zu behandelnden Fragen und keineswegs als Formulierungsvorschlag anzusehen".
Interessanterweise wurde in diesem "Überblick" der umstrittenste Punkt der geplanten Richtlinie durch die EU-Ratspräsidentschaft so verkürzt dargestellt, dass der dem Parlament wichtigste Zusatz wegfiel.
Die Richtlinie wird nach ihrer Behandlung durch den Rat zur zweiten Lesung im Herbst in das EU-Parlament zurückkehren. Offener Streitpunkt ist noch, ob die Richtlinie eine genaue Definition des Begriffs "kommerzielles Ausmaß" vornehmen soll, oder ob dies den Mitgliedsstaaten überlassen bleibt.
Einer EU-weiten Festschreibung der "Delikthöhe" aber widersetzt sich die Kultur- und Unterhaltungsindustrie. Die Definition, was "kommerzielles Ausmaß" bei schwarzkopierten Dateien bedeute und was eine "schwere Straftat" sei, möge man doch den nationalen Gesetzgebungen überlassen, lautet der Tenor der Industrie.
Kommentar der "Etablierten"
Auf der europäischen Piratenversammlung zu Wien war als einzige Vertreterin der etablierten Parteien die EU-Parlamentariern Eva Lichtenberger [Grüne] zugegen.
Die meinte auf dem abschließenden Panel der Piratentagung: Je stärker zum Beispiel Copyrightprobleme, Internet-Überwachung und andere Themen der Piraten dadurch in die öffentliche Diskussion geräten und weitere Kreise zögen, desto besser. Eine Garantie für das Funktionieren oder Scheitern der Piratenstrategie gebe es natürlich nicht.
(futurezone | Erich Moechel)