MySpace für Prolos, Facebook für Popper

25.06.2007

Die beliebten Sozialen Netzwerke bilden im Internet zunehmend die harten Klassenunterschiede der US-amerikanischen Gesellschaft ab, meint die Soziologin Danah Boyd.

Die Mediensoziologin, die sich schon seit geraumer Zeit mit dem komplexen Paralleluniversum der Sozialen Netzwerke im Internet beschäftigt, hat sich in einem am Sonntag auf ihrer Website publizierten Aufsatz mit der Frage auseinander gesetzt, inwieweit MySpace und Facebook tatsächliche Klassenunterschiede in der US-amerikanischen Gesellschaft abbilden.

Ikea vs. Bling

Boyds Text ist mangels empirischer Daten zwar kein wissenschaftlicher Aufsatz, sondern nur ein Essay, aber er weist dennoch auf wichtige Fragestellungen hin, die Ausgangspunkt für tiefergehende Forschung sein könnten.

Zusammengefasst argumentiert Boyd, dass im Verlauf der vergangenen sechs bis neun Monate die Trennung zwischen den Usern von MySpace und Facebook immer deutlicher hervorgetreten sei.

Während MySpace eher von der ethnisch gemischten Unterschicht der Vereinigten Staaten und High-School-Schülern benutzt werde, tendierten die meist weißen Oberschicht-College-Studenten zum skandinavisch clean gestalteten Facebook. MySpace dagegen repräsentiere mit seinem chaotischen Design eher die "Bling"-Kultur der Hip-Hop-Underdogs.

Schau mal, wer da hämmert! Hässlichkeit kann im Sozialen Web eine Voraussetzung für den Erfolg sein.

Netzwerk definiert soziale Schicht

In Anlehnung an die Theorien der Soziologin Nalini Kotamraju definiert Boyd Klassenunterschiede in den USA nicht entlang von Einkommensgrenzen, sondern anhand der sozialen Netzwerke, in die Menschen eingebettet sind. Ihre antikapitalistisch eingestellten Kumpel vom College würden zwar wenig verdienen, schreibt Boyd, zählten aber auf Grund ihrer Einstellungen, ihrer Bildung und ihres sozialen Hintergrunds keineswegs zur Arbeiterklasse.

Da sich die Zugehörigkeit zur sozialen Schicht auch in den entsprechenden Web-Werkzeugen abbilde, würden sich die Nutzerschaften von MySpace und Facebook allmählich trennen. Während Facebook schon immer auf College-Studenten zugeschnitten gewesen sei und man ursprünglich nur über eine Einladung Zugang zum Netzwerk habe erhalten können, habe MySpace noch 2005 vor allem wegen seiner Beliebtheit bei Musikfreunden und Bands noch ein recht gemischtes Publikum angezogen. Auch die sensationalistische Berichterstattung über MySpace habe die "guten Kids" eher abgeschreckt und zu Facebook vertrieben.

In stiller Anlehnung an den italienischen Theoretiker Antonio Gramsci nennt Boyd diese "guten Kids" "Hegemonie-Teens", weil sie für die Werte der herrschenden Gesellschaftsordnung eintreten, die MySpace-User bezeichnet sie dagegen als "subalterne Teens". Rebellierende Teenager würden sich für MySpace entscheiden wie für einen Punk-Club. Boyd: "Ihre Entscheidung für MySpace statt für Facebook zeigt, dass sie die Werte der herrschenden Hegemonie zurückweisen und nicht einmal online mit den Poppern abhängen wollen."

Futurezone.ORF.at sprach mit Danah Boyd über ihre Arbeit mit Sozialen Netzwerken.

Militärisch präzise Trennung

Eine weitere interessante Beobachtung von Boyd ist, dass sich diese Trennung auch innerhalb des US-Militärs reproduziere. Sie habe mitverfolgt, wie zum Start des Irak-Krieges viele junge Soldaten auf MySpace ihre patriotischen beziehungsweise hasserfüllten und fremdenfeindlichen Einstellungen äußerten. Ihre besser gebildeten Offizierskameraden hingegen pflegten ihre Kontakte auf Facebook.

Dass das US-Militär vor kurzem seinen Angehörigen verboten hat, MySpace zu verwenden, ist, folgt man Boyd, darauf zurückzuführen, dass die jungen Soldaten mit zunehmender Kriegserfahrung auch immer mehr kritische Artikel veröffentlichten und damit die Rekrutierungsinitiativen des Militärs unterliefen. Der Zugriff auf Facebook sei den Truppen dagegen weiterhin erlaubt.

Das US-Verteidigungsministerium sperrte am 14. Mai für US-Soldaten den Zugang zu den Social-Networking-Sites und Online-Videoplattformen YouTube, MySpace, Metacafe, IFilm, StupidVideos, FileCabi, BlackPlanet, Hi5 sowie zu Pandora, MTV, live365 und der Foto-Sharing-Site Photobucket.

Hegemonie-Teens und Hip-Hopper

Insgesamt zeigt sich Boyd alarmiert von der Tatsache, dass sich die Verwerfungen in den verschiedenen Gesellschaften auch online so präzise abbilden würden. Der Wechsel eines "Hegemonie-Teens" zu Facebook sei vergleichbar damit, wenn ein weißer Manager in einer Großstadt beim Anblick einer Gruppe Hip-Hop-Fans auf die andere Straßenseite gehe.

Das Phänomen betreffe nicht nur die USA. "Als Orkut in Indien beliebter wurde, haben die User auch das dort übliche Kastensystem online reproduziert." Es schmerze sie, so Boyd, dass die Trennungen in der US-Gesellschaft auch im Web zunehmend eine Rolle spielten: "Es ist seltsam, einer Generation dabei zuzusehen, wie sie sich von selbst in Klassen oder Lebensstile trennt oder wie man diese sozialen Unterschiede auch immer nennen mag."