Passagierdaten - "Volksverdummung"
Stasi-Experte Thilo Weichert über das neue Abkommen mit den USA zur Weitergabe von EU-Flugpassagierdaten und die kommende europäische "Union der Beobachtung und Kontrolle". Am 16. Juli tagen die EU-Datenschutzbeauftragten deswegen in Wien.
"Da ist der Zug abgefahren, an dem Abkommen kann man nichts mehr ändern", sagte Waltraut Kotschy auf Anfrage von ORF.at am Dienstag Nachmittag.
Auf Einladung Österreichs treffen sich die Datenschutzbeauftragten aller EU-Staaten am 16. Juli in Wien, um die praktischen Auswirkungen des umstrittenen Abkommens zu diskutieren.
Immerhin wird von den Fluglinien eine Unzahl an persönlichen Daten jedes Reisenden an die US-Heimatschutzbehörden weitergegeben, die anlasslos sieben Jahre im System aktiv gespeichert bleiben.
Ruhende Daten, ausgewertet
Hernach werden sie weitere acht Jahre im Status "dormant" gehalten, die Daten werden also ruhend gestellt, wobei es Zugriff nur unter "besonderen Umständen" geben soll. Dass sie danach, also nach 15 Jahren, gelöscht werden, "sei zu erwarten", heißt es im Begleitbrief der US-Seite zum Abkommen.
Es ist mit großer Sicherheit davon auszugehen, dass diese nach sieben Jahren "ruhend" gestellten, "halbrohen" Datensätze der europäischen Reisenden ohnehin nach allen Regeln der Kunst ausgewertet worden sind.
Ein Beispiel: Koffer
Anstatt von zehn Flügen das jeweilige Datenfeld "Zahl der mitgeführten Gepäcksstücke" einzeln zu speichern, lässt sich danach auch ein Metafeld generieren, das die Information "Passagier flog bisher immer mit Gepäck nicht unter 15 Kilo" enthält. Oder: "Der Passagier benötigt seit 2004 eine Begleitperson und isst vegetarisch."
Die insgesamt 19 von den USA geforderten Punkte sind breiter gefasst als die bisherigen 34 aus der europäischen Amadeus-Datenbank "abgeholten" Datenfelder. Die Austrian Airlines mochten das auf Anfrage von ORF.at am Dienstag weder bestätigen noch dementieren.
Das Muster "Reduktion"
Man ist ganz einfach von der technischen Datenfelddefinition der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt [ICAO] abgegangen und hat eine eigene Liste erstellt.
Es handelt sich dabei um weitgehend dasselbe Muster: "halbrohe" Daten werden nach "Vorgaben reduziert". "Halbroh" bedeutet, sie wurden erhoben und jeweils nach den US-Vorgaben aktualisiert, ab einer kritischen Menge in Kombination mit der zunehmenden Historizität der Daten können sie "eingedampft" werden.
Deutliche "Volksverdummung"
Thilo Weichert, Vorsitzender des unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz in Schleswig-Holstein findet schon etwas deutlichere Worte als seine österreichische Kollegin Kotschy.
Das Vorgehen der EU-Kommission, öffentlich eine Reduktion der an die USA gelieferten 34 Datensätze zu verkünden und deren Inhalt - und wahrscheinlich mehr - in 19 Punkten zusammenzufassen, sei schlichtweg eine "Schweinerei", weil sie den Tatbestand der "Volksverdummung" erfülle.
Union der Beobachtung
Geradezu grotesk sei es, so Weichert am Telefon zu ORF.at, wie aus der "Union der Freiheiten" eine Union der "Beobachtung und Kontrolle" werde.
Der von EU-Kommissar Franco Frattini und dem deutschen Innenminister Wolfgang Schäuble ventilierte Plan für ein eigenes EU-System zur Passagierdatenauswertung stehe diametral im Gegensatz zur Reise- und Bewegungsfreiheit, den Gründungsideen der EU.
An "sichere Häfen" ...
"Die Safe-Harbour-Zusagen der USA glaube ich einfach nicht", sagte Weichert abschließend. Der gesamte Aufwand lohne sich doch überhaupt nur, wenn die Passagierdaten systematisch gerastert würden.
"Safe-Harbour" bedeutet, dass die Daten der Europäer gemäß europäischen Datenschutzmaßstäben in den USA behandelt würden.
... glaubt der Stasi-Kenner nicht
Thilo Weichert hat langjährige Erfahrung mit geheimdienstlichen Methoden. Vor seiner Funktion als Datenschutzbeauftragter war Weichert jahrelang juristischer Berater der Bürgerkomitees zur Auflösung des DDR-Staatssicherheitsdienstes [Stasi].
Ratifizierung Ende Juli
Aus dem österreichischen Außenministerium war am Dienstag zu erfahren, dass der wahrscheinlichste Termin der Ratifizierung des Vertrags durch den EU-Ministerrat der 23. oder 24. Juli ist.
Das mittlerweile von mehreren Websites verbreitete Volltextdokument ist mit hoher Wahrscheinlichkeit identisch mit der Endfassung des Vertrags.
(futurezone | Erich Moechel)