Deals mit der Ressource Zukunft

13.07.2007

In seinem Buch "Imaginary Futures" beschreibt der britische Politologe Richard Barbrook, wie Ideologen in Ost und West den Traum von der vernetzten Gesellschaft als Waffe im Kalten Krieg zu nutzen wussten. Im Gespräch mit ORF.at warnt er davor, die Zukunft des Internet von repressiven Technokraten planen zu lassen.

Das Internet besteht nicht nur aus Hard- und Software, es ist auch die Verwirklichung wissenschaftlicher und politischer Ideen aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Richard Barbrook zeichnet in "Imaginary Futures" nach, wie die Ideen von Norbert Wiener, dem Begründer der Kybernetik, und jene des kanadischen Medientheoretikers Marshall McLuhan, der aus den elektronischen Kommunikationsnetzwerken ein globales Dorf entstehen sah, von politischen Strategen und Geheimdienstlern in den USA und der Sowjetunion dazu benutzt wurde, die Bevölkerung für die Ziele des jeweiligen Systems einzuspannen.

Planwirtschaft und Supermarkt

Während Sowjet-Wissenschaftler mit Hilfe kybernetischer Steuerungsprozesse die Planwirtschaft optimieren wollten, sollte im Westen der perfekte Weltmarkt durch die Segnungen der Automatisierung sein Füllhorn über die Bevölkerung ausschütten. So weit die Fassade. Im Hintergrund arbeiteten beide Systeme eifrig an den militärischen Anwendungen der Technologien, nachdem diese ihren zumeist idealistischen Erfindern entwunden worden waren.

"Imaginary Futures" zieht aus der Ideengeschichte der Netzwerke und künstlichen Intelligenz eine klare Lehre: Wer der Gesellschaft die attraktivere Zukunft bieten kann, dem gehört die Gegenwart.

Zur Person

Richard Barbrook war von 1995 bis 2005 Koordinator des Hypermedia Research Centre der Universität von Westminster, wo er heute Politologie lehrt. Barbrook beschäftigt sich seit den 1980er Jahren mit der emanzipativen Nutzung von Medien, etwa durch Piratenradiosender.

In seinem mit Andy Cameron im Jahr 1995 publizierten Aufsatz "Die kalifornische Ideologie" rechnete Barbrook mit den neoliberalen Phantasien der durch das damals dominante US-Magazin "Wired" verbreiteten Auffassung vom Internet als Marktplatz des reibungslosen Kapitalismus ab.

ORF.at: Eigentlich gilt die Utopie als traditionelles Motiv linker Politik. Nach der Lektüre Ihres Buchs könnte man aber glauben, dass Utopien als politische Werkzeuge auf Seiten der Rechten wesentlich produktiver waren.

Richard Barbrook: Ihrer Frage liegt die Annahme zu Grunde, dass das Konzept der Utopie gemeinhin eher mit der Linken als mit der Rechten identifiziert wird. Sie scheinen zu unterstellen, dass es überraschend ist, dass Vertreter des Neoliberalismus ihre eigene Version der Verkündigung der Informationsgesellschaft propagieren.

Besonders neu ist das alles aber nicht. Mitte des vergangenen Jahrhunderts waren es faschistische Bewegungen, die technologische und biologische Phantasien dazu genutzt haben, ihre Art der Utopie durchzusetzen. Der wunderbare Titel von Jeffrey Herfs Buch "Reaktionärer Modernismus" stellt die Widersprüche dieser Spielart rechter Politik treffend dar.

Seither hat sich aber einiges geändert.

In den letzten dreißig Jahren waren es die Neoliberalen, die sich ähnlicher politischer Taschenspielertricks bedienten. Sie verbreiteten die Meinung, dass technischer Fortschritt unvermeidlich zu sozialen Rückschritten führen würde.

Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts hat es einen großen Umschwung auf Seiten der rechten Ideologen gegeben. Statt nationaler Autarkie und dem starken Staat propagieren sie nun eine Zukunft der freien Märkte und der Globalisierung. Sich für eine imaginäre Zukunft einzusetzen, bedeutet immer auch, einen Anspruch auf Kontrolle der Gegenwart zu erheben.

Und die Linken?

Die meisten ihrer linken Gegner haben ihren Glauben an utopische Konzepte verloren. Die Implosion der Sowjetunion hat nicht nur die imaginären Zukünfte der Stalinisten, Trotzkisten und Maoisten diskreditiert, sondern ironischerweise auch jene ihrer sozialdemokratischen, grünen und anarchistischen Gegner.

Dass heute der postmoderne Pessimismus die Hegemonie über die akademischen Debatten hält, ist ein Symptom dessen, dass die Progressiven ihren Glauben an die Zukunft verloren haben.

Aber wenn man die sozialistische Gesellschaft als Ziel aufgibt, wird man sich nicht von der Tyrannei der "großen Erzählungen" befreien können, wie schon Jean-Francois Lyotard festgestellt hat. Wie Tony Blair und andere europäische Politiker gezeigt haben, wird man am Ende an die imaginären Zukünfte der Neoliberalen und Neokonservativen glauben!

Wenn die Linke irgendetwas Vernünftiges erreichen möchte, muss sie wissen, wo sie hinwill. Wie schon Oscar Wilde sagte: "Karten, auf denen Utopia nicht verzeichnet ist, taugen nichts."

Taugt die vernetzte Gesellschaft überhaupt noch zur Utopie? Vernetzte Computer gehören heute zum Alltag. Nur mit der künstlichen Intelligenz hapert es noch.

Auf dem Umschlag von "Imaginary Futures" steht der Slogan "Die Zukunft findet jetzt statt." Diese widersprüchliche Aussage bezieht sich darauf, dass das utopische Ziel des globalen Dorfs bereits erreicht ist.

Im Gegensatz dazu wird die imaginäre Zukunft der künstlichen Intelligenz immer weiter nach hinten geschoben. Jedesmal, wenn die Forschung ihr Ziel, eine denkende Maschine zu schaffen, nicht erreicht hat, wird wieder einer ihrer Propheten vortreten und vorhersagen, dass der nächste Schritt in der Entwicklung von Hard- und Software zur Erfüllung ihres Traums führen wird.

Das erinnert an den Markt für PC-Software.

Die Visionäre der Informationsgesellschaft haben ein Problem. Sie können die Realisierung ihrer Ziele nicht ewig nach hinten verschieben. Ironischerweise müssen sie nun in ihrer eigenen imaginären Zukunft leben.

In den entwickelten Staaten hat heute der größte Teil der Bevölkerung Zugang zum Internet und anderen fortgeschrittenen Informationstechnologien. Es ist also genau so gekommen, wie der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan 1964 vorhergesagt hat: Wir leben in einem globalen Dorf.

Mit der Realisierung dieses Traums macht sich aber auch Ernüchterung breit. Das Netz hat keineswegs die Macht von Zentralregierungen oder Großkonzernen über unser Leben gebrochen. Alles geht weiter wie zuvor, obwohl die Massen nun die Werkzeuge in der Hand hätten, mit denen sie das Spektakel zerstören könnten.

Sie beschreiben in ihrem Buch sehr genau, wie US-Geheimdienste nach dem Zweiten Weltkrieg linke europäische Intellektuelle auf ihre Seite ziehen konnten, indem sie die USA überzeugend als Land des Individualismus und der Freiheit dargestellt haben. In jüngster Zeit scheinen die angloamerikanischen Gesellschaften ihren traditionellen Liberalismus aufgegeben zu haben - und damit auch ihre Vorbildwirkung für Kontinentaleuropa. Wie konnte das passieren?

In "Imaginary Futures" wird gezeigt, wie westeuropäische Intellektuelle vom Reichtum und von den Freiheiten der USA verführt wurden. Ich kann mich daran erinnern, wie ich in den frühen 60er Jahren als Kind von meinem Vater nach Salzburg zu einem Treffen des von der CIA finanzierten Congress of Cultural Freedom mitgenommen worden bin.

Heute íst mir bewusst, dass dieses Bild der USA als einem demokratischen Staat verzerrt war. Das vorletzte Kapitel in meinem Buch beschreibt, wie die imaginäre High-Tech-Zukunft des McLuhanimus dazu genutzt wurde, um den Angriff auf Vietnam zu rechtfertigen.

Lange vor den Ereignissen im Irak-Krieg, in Afghanistan und Guantanamo haben das US-Militär und die CIA in Vietnam gefoltert. Von 1965 bis 1975 hat die demokratisch gewählte Regierung der USA schlimmere Akte des Totalitarismus verantwortet als die stalinistische Guerilla Vietnams! Wenn wir uns an diese Tragödie erinnern, dann überrascht das gegenwärtige Verhalten der USA und ihrer Verbündeten nicht mehr so sehr.

Welche Rolle spielen die von Ihnen untersuchten Visionen der Computertechnik in diesem Szenario?

Wie in Vietnam dienen Computer auch heute der Kriegsführung und Unterdrückung. Von der neuen Linken des Kalten Kriegs kann man lernen, wie man diese Maschinen für fortschrittliche Zwecke nutzt.

Ist es überhaupt noch möglich, das Netz als Grundlage für eine progressive Utopie zu verwenden?

Das Internet mag im Inneren des militärisch-industriellen Komplexes erfunden worden sein, aber es hat sich zu einem Werkzeug entwickelt, mit dem sich Wissen vermitteln und Ideen verwirklichen lassen.

Die Aufgabe besteht darin, diese Erfahrungen aus der virtuellen Welt im Alltag wirksam zu machen und aufs Leben in der Realität zu übertragen.

(futurezone | Günter Hack)