Online-Durchsuchung ist Vertrauenssache

18.07.2007

Innenpolitiker und Strafverfolger in Deutschland und Österreich streben gesetzliche Regeln an, die der Polizei verdeckte Online-Durchsuchungen von Computern verdächtiger Personen ermöglichen sollen. ORF.at sprach mit dem Richter und Internet-Rechtsexperten Franz Schmidbauer darüber, ob mit diesen Methoden ermittelte Daten vor Gericht überhaupt als Beweis zählen.

Mit dem Instrument der verdeckten Online-Durchsuchung würde den Strafverfolgungsbehörden ein besonders mächtiges Werkzeug zuwachsen.

Im Gespräch mit ORF.at verortet Richter Franz Schmidbauer die Online-Durchsuchung zwischen der herkömmlichen Hausdurchsuchung und der Telefonüberwachung. Während die Umsetzung in österreichisches Recht vergleichsweise trivial zu sein scheint, wachsen die Herausforderungen an die Rechtsprechung.

Abgesehen von den Folgen der Durchsuchungspläne für das Lebensgefühl im demokratischen Rechtsstaat stellt sich die Frage, inwieweit ein unter den Bedingungen der verdeckten Online-Ermittlung recherchiertes digitales Dokument vor Gericht als Beweis zählen kann.

Zur Person:

Franz Schmidbauer ist Richter in Salzburg und seit 2005 Vorsitzender des Domainbeirates der Internet-Privatstiftung Austria. Seit 2000 unterhält Schmidbauer die Website internet4jurists.at, auf der er über aktuelle rechtliche Themen rund um das Internet informiert.

Franz Schmidbauer hat zum Thema Online-Durchsuchung auf seiner Website einen Artikel verfasst, den er nach der heftigen Resonanz auf dieses Interview noch um zusätzliche klärende Stellungnahmen ergänzt hat.

ORF.at: Herr Schmidbauer, in Deutschland hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble [CDU] seine Absicht wiederholt bekräftigt, die Polizei mit Befugnissen zur heimlichen Online-Durchsuchung von Computern Verdächtiger auszustatten. Der österreichische Innenminister Günther Platter [ÖVP] hat durchblicken lassen, dass er dem deutschen Vorbild gerne folgen würde.

Franz Schmidbauer: Bisher ist nicht klar, mit welchen technischen Mitteln diese Online-Durchsuchung durchgeführt werden soll. Was die Behörden da offenbar vorhaben, ist eine Durchsuchung von Computern verdächtiger Personen, ähnlich wie bei der Hausdurchsuchung und der Beschlagnahme.

In den Artikeln 139 und 143 der Strafprozessordnung gibt es Bestimmungen über die Haus- und Personendurchsuchung und die Beschlagnahme von Sachen, auf deren Grundlage schon heute Computer beschlagnahmt werden können. Die Polizei darf auch eine Kopie einer Festplatte anfertigen.

Warten auf Deutschland

Auf Nachfrage von ORF.at zu diesem Thema sagte Platters Sprecherin Michaela Huber Ende Juni, das Innenministerium würde alle Methoden, die der Kriminalitätsbekämpfung dienten, unter genauer Beobachtung halten. Die Online-Durchsuchung sei aber lediglich eine von vielen Fahndungsmöglichkeiten. Man würde beobachten, wie man in Deutschland mit dem Thema weiterverfahre.

Die Online-Durchsuchung soll aber so vonstatten gehen, dass der Verdächtige zunächst nichts von der Maßnahme bemerkt.

Schmidbauer: Eine Hausdurchsuchung erfolgt offen. Es gibt Zeugen, es gibt einen Durchsuchungsbefehl. Weil die Online-Durchsuchung heimlich geschehen soll, ähnelt sie auch der Telefonüberwachung, die im Artikel 149a der Strafprozessordnung geregelt ist.

Die Polizei will Informationen über den Verdächtigen gewinnen, ohne ihn vorher zu warnen. Bei dem untersuchten Fall muss es sich aber um ein schweres Delikt handeln. Bei der Online-Durchsuchung handelt es sich also um eine Ermittlungsmethode, die zwischen der Hausdurchsuchung und der Telefonüberwachung steht.

Demnach wäre es heute in Österreich für die Polizei bereits legal, solche Online-Durchsuchungen zu machen.

Schmidbauer: Nein. Derzeit wäre das absolut unzulässig. Es wäre ein Privatrechtseingriff, der durch geltendes Recht nicht gedeckt ist. Es müsste dazu eine ausdrückliche Regelung kommen - und es wird wahrscheinlich auch eine kommen.

Die Online-Durchsuchung müsste ähnlich geregelt werden wie die Fernmeldeüberwachung. Es handelt sich dabei um einen schweren Eingriff in die Privatsphäre, also sollte ihr Einsatz auf die Ermittlung im Rahmen schwerer Delikte beschränkt sein.

Würde die Polizei eher versuchen, bei den Providern den Datenverkehr abzuziehen, oder würde man lieber auf die PCs der Verdächtigen direkt zugreifen?

Schmidbauer: Nein, wie ich es verstehe, geht es der Polizei darum, direkten Zugriff auf den Rechner des Verdächtigen zu haben. Dabei gibt es zahlreiche technische Probleme. Sie muss dabei an Virenschutzprogrammen und Firewalls vorbei.

Die Überwachungssoftware der Polizei kann dabei vom Verdächtigen entdeckt werden. Es wird nicht möglich sein, alle Hersteller von Virenschutz- und Sicherheitsprogrammen darauf zu verpflichten, die Software der Polizei zu ignorieren. Die Polizei wird darauf vertrauen, dass die Masse der Nutzer eher sorglos mit der Sicherheit im Netz umgeht.

Nehmen wir an, die Polizei verfügte über technische und rechtliche Voraussetzungen, solche Online-Durchsuchungen abzuwickeln. Dürften die Ergebnisse aus solchen Ermittlungen dann überhaupt vor Gericht verwendet werden?

Schmidbauer: Ich glaube nicht, dass in Österreich ein Beweisverwertungsverbot für Material bestünde, das mit Hilfe einer Fahndungssoftware der Polizei im Rahmen einer Online-Durchsuchung sichergestellt wurde. In Deutschland ist man in dieser Hinsicht viel strenger als bei uns.

Die österreichische Polizei hat schon heute die Möglichkeit, die Festplatte des Verdächtigen zu beschlagnahmen. Die Online-Durchsuchung läuft ja ähnlich ab.

Die Online-Durchsuchung geht aber verdeckt vor sich. Wie will der Gesetzgeber verhindern, dass ein Polizist, der sich nicht an die Regeln hält, einem Verdächtigen ein paar Megabyte Kinderporno-Bilder unterschiebt?

Schmidbauer: Beweisverfälschung ist immer möglich. Die Gerichte sind davon abhängig, dass die Polizei gut arbeitet. Wenn die Polizei selbst kriminell vorgeht, dann hat man ein Problem.

Im Zweifelsfall hat die Polizei vor Gericht eine höhere Glaubwürdigkeit als ein Angeklagter. Gerade deshalb sollte das Verfahren möglichst nachvollziehbar ausgestaltet werden.

Der Polizei fällt mit dem Werkzeug der Online-Durchsuchung jedenfalls viel Macht zu. Wie sieht es eigentlich mit der Beweiskraft digitaler Daten aus?

Schmidbauer: Es ist ja schon schwer, dem Täter Vorsatz nachzuweisen. In Schweden gab es vor einigen Jahren den Fall eines Lehrers, der wegen Besitz von Kinderpornografie angeklagt war. Es stellte sich dann heraus, dass sein Rechner von jemand anderem missbraucht worden war. Solchen Problemen wird sich die Justiz in Zukunft häufiger stellen müssen.

Oder nehmen Sie E-Mails. Die sind sehr einfach zu fälschen. In der Regel sind sie aber vor Gericht unstrittig. Parteien bestreiten die Authentizität einer als Beweis vorgelegten E-Mail nur sehr selten. Wenn sie das aber tun, ist der Beweiswert einer E-Mail in der Regel gleich null. Man müsste die Mail dann mit Hilfe der Verbindungsdaten von Provider zu Provider rückverfolgen können. Diese Daten sind aber meistens schon gelöscht.

Drängen die Strafverfolger deshalb so stark auf die Einführung der Vorratsdatenspeicherung? Um E-Mails vor Gericht Beweiskraft zu verleihen?

Schmidbauer: Ich glaube nicht, dass das der Grund ist. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es der Exekutive allgemein um die Aufklärung von Verbrechen. Die Rückverfolgbarkeit von E-Mails spielt dabei nur zum Teil eine Rolle. Wesentlicher ist die Frage der Zuordnung von IP-Adressen, mit der die Anonymität im Netz aufgehoben werden kann.

Jedenfalls sind digitale Daten keine besonders solide Entscheidungsgrundlage für einen Richter.

Schmidbauer: Na ja, auch Briefe, Faxe und Unterschriften können gefälscht werden. Die Situation ist nicht neu. Nur anders.

Zurück zur Online-Durchsuchung. Welche Kontrollen kann der Gesetzgeber einführen, um Manipulationen seitens der Strafverfolger vorzubeugen?

Schmidbauer: Wenn die Lebensmittelpolizei in einem Betrieb auf einen Verdacht hin Proben nimmt, zieht sie von demselben Material auch so genannte Gegenproben, die sie dem Kontrollierten übergibt. Damit wird sicher gestellt, dass die von der Polizei untersuchte Probe im Zweifelsfall gegengeprüft werden kann.

Man müsste es auch bei der Durchsuchung von Computern so machen, dass die beschuldigte Seite die gleichen Daten bekommt wie die Polizei. Immerhin kann auch bei der Untersuchung fahrlässig ein Fehler passieren. Man braucht nur eine Datei zu öffnen und das Datum des letzten Zugriffs ändert sich.

Bei der Online-Durchsuchung geht das aber nicht. Sie soll ja verdeckt vonstatten gehen.

Schmidbauer: Es gibt in der Strafprozessordnung jetzt schon Vorschriften, nach denen die Polizei bei Untersuchungen Zeugen hinzuziehen muss. Bei Online-Durchsuchungen könnte es einen Dritten als Vertrauensperson geben.

Einen Datenschutzbeauftragten, beispielsweise, der die Kopie und das Protokoll der Untersuchung, den Code des Trojaners und die Logdatei bekommt. Diese Vertrauensperson sollte außerhalb des Einflussbereichs der Polizei stehen. Wenn so ein massiver Eingriff in die Privatsphäre geschieht wie bei der Online-Untersuchung, dann sollte der Gesetzgeber allen Eventualitäten vorbeugen.

Wie würde die Online-Durchsuchung im österreichischen Recht umgesetzt werden? Bedarf es dazu einer Verfassungsänderung?

Schmidbauer: Die Verfassung müsste dafür nicht geändert werden. In der Strafprozessordnung sind die Ausnahmen und die Voraussetzungen geregelt, unter denen die Polizei in verschiedene Grundrechte eingreifen darf. Diese müssen auch der Verhältnismäßigkeit Genüge tun. Für die Online-Durchsuchung würde es daher reichen, eine entsprechende Regelung in die Strafprozessordnung einzufügen.

Große Bedenken hätte ich, wenn die Online-Durchsuchung im Rahmen des Sicherheitspolizeigesetzes ohne Gerichtskontrolle ermöglicht werden sollte. Mit dem 1. Jänner 2008 greift in Österreich übrigens eine große Reform der Strafprozessordnung, im Rahmen derer sich die Voruntersuchung vom Gericht zur Staatsanwaltschaft verlagert.

Das heißt, die Online-Durchsuchung wäre nur noch Sache der Exekutive?

Schmidbauer: Nein. Weil es sich dabei um einen grundrechtsrelevanten Eingriff handelt, würde ein so genannter Ermittlungsrichter über die Zulässigkeit der Verfolgungsmaßnahme entscheiden. Es wird hier nach wie vor der Richtervorbehalt gelten.

(futurezone | Günter Hack)