Tod auf allen Frequenzen
Im Irak verliert die US-Armee trotz großer technischer Überlegenheit die Lufthoheit über den Funkraum. Immer mehr Breitband-Störsender richten gegen vergleichsweise primitive Funkzünderbomben immer weniger aus, die monatlichen Opferzahlen steigen mit jeder neuen Welle kontinuierlich.
Der Anfangs dieser Woche erteilte Großauftrag im Wert 200 Millionen Dollar an die kalifornische EDO Communications für die Lieferung von 3000 Funkstörsendern war nicht der einzige seiner Art.
Im April hatte die Impact Science & Technology [New Hampshire] eine Bestellung von 1.100 Stück solcher Geräte erhalten, die im Militärjargon "Counter Radio-Controlled Improvised Explosive Device Electronic Warfare System" heißen.
3.900 tragbare Störsender
Im September 2006 war die britische BAE Systems bereits mit einem Auftrag über 80 Millionen Dollar für knapp 3.900 tragbare Funkstörsender bedacht worden.
Mit diesen Massenbestellungen von immer leistungsfähigeren Störsender-Systemen versucht die US-Armee, den zahlreichen Varianten funkgezündeter Bomben zu begegnen. Deren tödliche Raffinesse liegt darin, das Auslösersignal über eine von der US-Funkabwehr gerade nicht gestörte Frequenz bis zur Bombe durchzubekommen.
Ungleicher Rüstungswettlauf
Der US-Aufwand wird angesichts der Opferbilanz, die immer schneller steigt, nur zu verständlich. Funkzünder-Bomben sind für mehr als zwei Drittel aller Gefallenen der US-Armee verantwortlich. Der Mai 2007 war mit 90 US-Toten durch Fernzünder-Bomben der bisher blutigste Monat seit Beginn des Krieges im Irak.
Dort ist derzeit ein ungleicher Rüstungswettlauf in Gang. Während die US-Armee immer neue und leistungsfähigere Störsender-Systeme [Jammer] gegen Funkzünder-Bomben ordert, wechseln die Attentäter laufend die Frequenzen, über die sie ihre selbstgebauten Bomben auslösen.
Tod durch GSM
Anfangs waren es offenbar vor allem GSM-Handys, die verwendet wurden, denn die Opferbilanz durch Funkzünder-Bomben stieg mit dem Aufbau der mittlerweile fünf GSM-Netze deutlich an.
Da im Irak nur GSM-900-Frequenzen benutzt werden, genügte es anfangs für die US-Konvois, das betreffende Band [890-960 MHZ] durch auf Fahrzeugen montierte Störsender zu blockieren. Die Attentäter setzten daraufhin Thuraya-Satellitenhandys als Fernzünder ein, die in den Bereichen von 1,6 bzw 2,2 GHz senden.
Bombjammer.com
Einfache GSM-900-Störsender waren hier wirkungslos, daher wurde seitens der US-Streitkräfte auf leistungsfähigere Systeme umgestellt.
Alle Funk-Jammer neuerer Bauart umfassen nun den Bereich bis zwei GHz, wie leistungsfähig die Geräte tatsächlich sind, wollen die Hersteller aus gutem Grund nicht verraten. Anfragen von ORF.at bei Produzenten wie EDO Communications, Bombjammer.com und Shogi Communications [Indien] blieben ergebnislos .
Stand der Technik
Etwas mehr über den Stand dieser Technik verrät da der Wassenaar-Vertrag. Dieses internationale Abkommen regelt die Exporte so genannter "dual-use goods", also technischer Geräte, die sowohl für militärische wie zivile Zwecke nutzbar sind.
In allen Unterzeichnerstaaten - darunter ist die gesamte EU - muss zum Beispiel der Export von leistungsfähigen "Spektrum-Analysatoren" gemeldet werden.
Eine Millisekunde Reaktionszeit
Diese bestehen aus mehreren Empfangseinheiten, die große Teile des Frequenzspektrums abdecken, dieses rasend schnell durchsuchen und die abgefangenen Funksignale automatisch analysieren können.
Einer Exportgenehmigung bedürfen laut Punkt 5.A.1.b.5. des Wassenaar-Vertrags "digital gesteuerte Funkemfänger mit mehr als 1.000 Kanälen und einer Umschaltzeit von weniger als einer Millisekunde", so diese zusätzlich über eine "automatische Suchfunktion und Identifizierung des abgefangenen Signals bzw. des Senders" verfügen.
Funkaufklärung
Dies ist die Beschreibung eines hochwertigen Spektrum-Analysators samt der nötigen Peripherie, wie er an Bord von Flugzeugen zur Funkaufklärung oder eben auf Militärfahrzeugen im Irak zum Einsatz kommt. Signale, die als potenziell feindlich eingestuft werden, blockiert dann der Störsender, mit dem die Analyseeinheit verbunden ist.
Der Wassenaar-Vertrag listet denn auch GSM-Jammer als genehmigungspflichtiges Exportgut auf, [5. A. 1. f.]. Durch die lassen sich zum Beispiel die GSM-900-Frequenzen zwar vollständig blockieren, die im Irak verbreiteten Thuraya-Satellitenhandys [ca 1,6 GHz] werden freilich ebensowenig davon erfasst wie etwa simple Fernsteuerungen für Modellflugzeuge [in Europa 27 bis 40 MHz] .
Es sind ganz einfach zu viele verschiedene Frequenzen, die kontrolliert und geblockt werden müssten.
Das ist die Crux der US-Streitkräfte, die monatlich immer höher steigenden Opferzahlen durch funkgezündete Bomben zeigen: Den irakischen Bombenbauern mit ihrer Kombination aus Alltags- bzw. Freizeittechnologie und einfachen analog-elektronischen Zündungsvorrichtungen konnten die technisch haushoch überlegenen US-Truppen seit 2003 nicht beikommen.
Der elektronische Krieg
Die US-Armee verfügt seit dem Einmarsch über sehr leistungsfähige, in Flugzeugen stationierte Störsender, die offenbar gegen diese neue Art von Bedrohung nicht besonders wirksam waren.
Im herkömmlichen "elektronischen Krieg" zwischen zwei regulären Armeen werden fliegende "Jammer" vor allem dazu eingesetzt, um feindliche Radarstationen und angreifende Jets elektronisch zu blenden.
Selbst gebaute Bomben, die abwechselnd mit Handys, DECT-Telefonen, Amateurfunkgeräten, Walkie-Talkies, Fernsteuerungen und einfachster Analogelektronik gezündet werden, waren bis zum Irak-Krieg offensichtlich nicht im Fokus der Militärs.
Der indische Hersteller Shogi bietet zwar ebensowenig Information wie seine Mitbwerber, hat aber ein frei erhältliches Weißbuch, in dem diese "klassische" elektronische Kriegsführung gut verständlich erläutert wird.
Bomben-"Innovationszyklen"
Auf makabre Weise spiegelt die Bilanz der durch Funkzünder-Bomben gefallenen US-Soldaten die "Innovationszyklen" der Bombenbauer wider.
Wie die Statistik zeigt, war jede neue Attentatswelle seit 2003 von einem deutlichen Anstieg der US-Opfer begleitet. Die ersten Spitzen fallen in den Aufbau der irakischen GSM-Netze.
Sendeverbot fürAmateurfunker
Dass die US-Streitkräfte trotz ihres technisch so überlegenen Geräts keine Lufthoheit über den Äther des Irak erreicht haben, zeigt das im April ausgesprochene Sendeverbot auf allen Amateurfunkbändern.
Addiert man zu den weiter oben erwähnten die vielen Frequenzbereiche von Amateurfunk-Sendern mit jenen von militärischem Funkgerät aus der Saddam-Ära sowie der Funkausrüstung ziviler Hilfsorganisationen - dann kommt eine Unzahl von möglichen Frequenzbereichen zusammen.
Tödliches Wettrennen
Ob irgendwo im drei MHz-Bereich, in den internationalen Flugfunkbändern, in GSM-900-Netzen oder den Bereichen für Schnurlostelefone - der Tod kann mittlerweile überall lauern. Denn in diesem tödlichen Wettrennen mit der US-Armee eignen sich die irakischen Bombenbauer kontinuierlich neue Fertigkeiten an.
Sobald dieses Wissen nach Europa einsickert, sind keine dilettantisch ausgeführten Attentate wie jüngst in Glasgow mehr zu erwarten, sondern mit mörderischer Präzision geführte Schläge gegen Ziele in den Zivilgesellschaften der westlichen Welt.
Über 1.100 tote Iraker im Juli
Darum geht es im dritten Teil der Serie. Für diese Folge, in der bis jetzt nur von US-Gefallenen die Rede war, ist nachzutragen: Im Juli wurden bis jetzt 165 tote irakische Militärs und Polizisten sowie 965 Zivilpersonen gezählt. Ein großer Teil davon kam ebenfalls durch ferngezündete Bomben um.
(futurezone | Erich Moechel)